Jonas Lüscher: "Kraft"


Kraft in Stanford

Nach Jonas Lüschers vielbeachtetem Debüt, der Novelle "Frühling der Barbaren", ist nun der erste Roman des 1976 in der Schweiz geborenen Wahlmünchners Jonas Lüscher erschienen.

Richard Kraft, der Hauptprotagonist dieses nicht sehr umfangreichen Romans, ist ein Klischeebild eines zerstreuten, unfähigen, vom Pech verfolgten Professors. Professorenromane gibt es ja definitiv wie Sand am Meer, die meisten davon in sexuellen Nöten wie bei Philip Roth oder Howard Jacobson, andere einfach nur zerstreut und rein, wie beispielsweise Vladimir Nabokovs Pnin. Jene Figur, die womöglich zumindest unbewusst im Hinterkopf für Richard Kraft Pate gestanden haben könnte, ist Saul Bellows Moses Herzog. Zumindest, was die Ausgangslage betrifft. Der intellektuelle Eigenbrötler, der alles deuten und verstehen will, der sein Umfeld und die Welt kritisiert, der sich erklären will. Der mit und an seinen Frauen scheitert.

Allerdings schwebt Saul Bellows wahrlich grandioser Roman wie ein Damoklesschwert über Lüschers professoralem Würstchen, das sich selbst und den Leser hier durch knapp 237 Seiten begleitet. Selten passiert es, dass sich ein so schmaler Roman wie ein Epos anfühlt, das man nur mit großer Kraft bezwingen kann. Denn da, wo Moses Herzog brillant ist, ist Richard Kraft nur kraftlos und schal. Möglicherweise beabsichtigt von Jonas Lüscher, doch selbst bei dieser Lesart überzeugt der Roman leider nicht.

Natürlich gibt es wirklich gute und starke Momente, Jonas Lüscher kann schreiben, und wie noch dazu. Hier sei nur der Moment an der Berliner Mauer erwähnt, als Richard Kraft ein Kind zu sich zieht und überrascht in sein Ebenbild sieht. Hier entsteht eine wirklich gelungene Überschneidung diverser Linien, die Lüscher extrem gut gelungen ist. Auch wenn der Leser längst informiert ist, was unter Anderem auch an dem auktorialen Erzähler liegt, der immer wieder verschwörerisch mit dem Leser kommuniziert, so ist der Überraschungsmoment doch frappierend. Der Autor will nur viel zu viel, will zu sehr unterhalten und belustigen, sodass all das, was dem armseligen Richard Kraft widerfährt, in so inflationärer Menge genau das Gegenteil davon bewirkt.

Kraft treibt es zu Beginn des Romans nach Stanford, wo ein wissenschaftlicher Wettbewerb ein Preisgeld von einer Million Dollar verspricht. Geld, das der Tübinger Rhetorikprofessor Richard Kraft dringend benötigen würde, um seine Geldsorgen und eine zweite Ehe hinter sich lassen zu können. Alimente und Scheidung würden eine echte Bedrohung seines derzeitigen Lebensstandards bedeuten. In Rückblenden werden Krafts gescheiterte Beziehungen und seine Freundschaft zu István dargestellt, nicht immer sinnvoll mit dem Geschehen um den Wettbewerb in Einklang zu bringen. Zumindest erschließt sich dem Leser nicht durchgehend, wo die genau jetzt die Zusammenhänge sein sollen.

Diese Intellektuellen- oder Gelehrtensatire verliert sich immer wieder im Wunsch, auch eine Art Zeitgeist- und Gesellschaftskritik zu sein. Der Besuch im allerbesten "Mac&Cheese"-Lokal im Reich der Modischen, Erfolgreichen und Schönen ist beispielhaft für die überzeichnete Gesellschaftskritik. Nachdem der Kellner einen Vortrag über die hier verwendeten Käsesorten gehalten hat, zieht er mit theatralischer Geste eine lange Reibe aus einer Bambusscheibe und hobelt jedem am Tisch ein paar Späne des höhlengereiften Jack-Cheese auf die Brötchen. Dass die Reibe von einem alten Japaner in Big Sur aus fünfzig Lagen Damaszenerstahl geschmiedet ist, rundet die Umstände bezeichnend ab.

Auch Krafts Ruderausflug scheitert an den Slapstick-Bemühungen Lüschers, weil Kraft, nachdem er mit wasserdichtem Sack fürs Mobiltelefon aufgerüstet, auferlegtem Zeitlimit und Warnung vor den Gefahren der Strömung natürlich genau das Mobiltelefon im Wasser verliert, von der Strömung und dem Wetter überrascht und überrumpelt wird, dazu führt, dass er ein sündteures Ruderboot zerstört. Könnte witzig sein, ist es nur leider nicht. Ebensowenig wie die "dicke Mexikanerin", die in jener Bibliothek, in der sich Kraft vom Überseeflug erholt, andauernd an derselben Stelle staubsaugt. Wirklich gar nicht überzeugend sind Lüschers Frauenbeschreibungen, die teilweise sexistisch, plump, klischeehaft und repetitiv ausfallen. So scheitert der Rhetorikprofessor, indem er auch seinen Mitstreitern rhetorisch unterlegen ist. Vielleicht ist ihm deshalb keine einzige wirkliche direkte Rede vergönnt.

Und die Verbindung von Privatem mit der Politik bleibt bei einer Art Namenaneinanderreihung und dem Aufzählen von bekannten Schlüsselmomenten in Zufälligkeiten stecken, die sich dermaßen häufen, dass sie einfach zu viel des Guten sind. Lüschers politische Ausführungen hätten wahrscheinlich in einem satirischen politischen Essay mehr Raum zur Entfaltung gehabt, als hier.

Der seltsam altmodische Erzählduktus, der von Zeit zu Zeit in einer Art Pluralis Majestatis Genugtuung findet, setzt dem Ganzen endgültig die Krone auf. Zu unsicher, zu vage und vor allem zu unpersönlich ist das, um aus den vorhandenen Zutaten wirklich einen gelungenen Roman zu zaubern.

Ohne zu viel vorwegzunehmen, nimmt man es fast mit einem Lächeln zur Kenntnis, dass Richard Kraft letztendlich endgültig scheitert.

(Roland Freisitzer; 03/2017)


Jonas Lüscher: "Kraft"
C.H. Beck, 2017. 237 Seiten.
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