Paulus Hochgatterer: "Der Tag, an dem mein Großvater ein Held wurde"


Erzählung

Ein dreizehnjähriges Mädchen taucht im Oktober 1944 plötzlich auf einem Bauernhof in Niederösterreich auf. Schließlich kommt ein Russe hinzu, der aus der Kriegsgefangenenschaft geflohen scheint. Und wiederum etwas später finden sich ein Leutnant und ein Gefreiter der Wehrmacht ein. So einfach könnte die Geschichte zusammengefasst werden. Doch so einfach ist es natürlich nicht.
Denn das Mädchen kann sich nicht erinnern, woher es kommt. Es gibt hierzu Mutmaßungen, die aber nicht unbedingt stimmen müssen. Der Russe hat nur eine Leinwandrolle bei sich, das eingerollte suprematistische Gemälde sorgt für Aufregung bei den Soldaten, während das Mädchen dieser Kunst etwas abgewinnen kann und den Russen in sein Herz schließt. Und der Leutnant benimmt sich aggressiv, er pocht gleich am Tag seines Eintreffens darauf, Fleisch zu essen, obzwar in Kriegszeiten Fleisch nur spärlich vorhanden und zudem auch noch Karfreitag ist.

Es geht also um Beziehungen zwischen Menschen. Es geht um Erinnerungen und den Verlust von Erinnerungen. Und es geht um die Kriegswirren, was sie anrichten und wie sie Familienverbände zerstören. Eingestreut sind zwei positiv endende Geschichten, die so etwas wie eine Ergänzung der Erzählung sind.
Erzählt ist das Ganze weitgehend aus der Perspektive des Mädchens. Die vielleicht beste Szene des Buchs führt es wieder hinaus, möglicherweise dorthin, woher es gekommen ist.

Dem Rezensenten stellte sich bei der Lektüre immer wieder die Frage: Wie ist es, wenn Erinnerungen verschwunden sind oder dermaßen verdrängt werden, dass sie sich nicht mehr rühren können? Was bleibt dann von einem Leben? Ohne Erinnerungen verläuft das Leben des Betreffenden in einem Nebel, der nicht durchdrungen werden kann. Es herrscht das Gefühl der Leere, eine existenzielle Krise ist da kaum zu verhindern. Aber so verhält es sich bei Nelli, dem von der Bauernfamilie aufgenommenen Mädchen nicht! Sie erfreut sich am Leben, sie interessiert sich für ihre Mitmenschen, sie zeigt starkes Mitgefühl.
Also weiß sie doch, woher sie kommt, wer sie ist? Ist es ein Spiel für sie, eine Art Rätsel für jene, die nun mit ihr zu tun haben?

Letztlich geht es darum, Farbe zu bekennen, Menschlichkeit an den Tag zu legen in einer unmenschlichen Zeit. So ist wohl der Titel dieses Buchs zu verstehen, das viele Fragen beantwortet, aber noch viel mehr Fragen stellt, die der Leser für sich zu beantworten versucht sein kann.

(Jürgen Heimlich; 07/2017)


Paulus Hochgatterer: "Der Tag, an dem mein Großvater ein Held wurde"
Deuticke, 2017. 112 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Digitalbuch bei amazon.de bestellen