sJana Beňová: "Café Hyena"


Schattenspieler und erstaunlich planlose Begleiter der eigenen Existenz

Touristen, die Bratislava besuchen, bewegen sich naturgemäß fast ausschließlich durch die hübsche, kleine Innenstadt und schlendern, von asiatischen Reisegruppen einmal abgesehen, lässig durch Restaurantzeilen, um sich in einem der zahlreichen Lokale das eine oder andere Päuschen zu gönnen. Zudem sind in den letzten Jahren auch vermehrt feuchtfröhliche, lautstarke Junggesellenabschiede mit schrill kostümierten, eigens von weither angereisten Teilnehmern zu beobachten. Sie alle ahnen vermutlich nichts von der "anderen Seite", jener ab dem Jahr 1973 errichteten abgesonderten Plattenbautenwelt im Stadtteil Petržalka (deutsch in etwa "Petersilien"), wo die Slowakei ihre höchste Bevölkerungsdichte aufweist und ein vollkommen anderes Gesicht zeigt.

In allen derartigen städtischen Betonwüsten entstehen wohl oder übel ganz eigene Biotope, die sich grundlegend von tourismustauglichen Gegenden und sogenannten "besseren" Vierteln unterscheiden, wobei die Schattenseiten beider Lebenswelten nicht selten gewisse Übereinstimmungen aufweisen, Stichwort "Wohlstandsverwahrlosung". Genau jene gewaltige Hochhäuserlandschaft und einige ihrer offenbar idealtypischen Bewohner stellte die am 24. November 1974 in Bratislava geborene Kultautorin Jana Beňová in den Mittelpunkt ihres Romans "Café Hyena", für den sie mit dem "Literaturpreis der Europäischen Union 2012" ausgezeichnet wurde.

"Elfman behauptet, dass der Genius Loci von Petržalka darin besteht, dass jeder sich nach einer gewissen Zeit wie ein Arschloch fühlt, weil er es im Leben nirgendwohin gebracht hat. Man hatte es nicht geschafft, für sich selbst oder die Familie zu sorgen. Man hatte sich nicht durchgebissen, man hatte es nicht geschafft, zu den Häusern hinaufzuklettern, die auf den Hügeln und Anhöhen der Stadt emporragen." (S. 112)
Hellhörige Wohnungen, Nachbarschaftsstreitigkeiten, allerlei soziale Missstände, kahlköpfige, tätowierte Zeitgenossen, und mittendrin die paarweise gruppierten Hauptfiguren Elza und Ian, Rebeka und Lukas Elfman, die man als Leser jeweils ein Stück ihres selbst geschilderten Weges begleitet, flankiert von immer wieder eingeschobenen stimmungsvollen Erzählpassagen.

Das Quartett trifft sich häufig im "Café Hyena" jenseits der Donau, relativ wahllos angenommene und kurzfristig wieder aufgegebene Erwerbsarbeitsplätze sind lediglich Mittel zum Zweck und niemals Daseinszweck, entsprechend ist keiner der Vier Angehöriger der glorreichen Emporkömmlingsgesellschaft, vielmehr gibt man sich studentisch, künstlerisch angehaucht und bisweilen bürgerschrecklich. Es wird reichlich Alkohol getrunken, viel diskutiert, geschrieben und von besseren Orten geträumt. Der Lebensunterhalt wird mittels eines selbst entwickelten sogenannten "Stipendienmodells" bestritten.

In fünfzehn Kurzkapiteln ("Petržalka - Galapagos", "Café Hyena", "Kalisto Tanzi", "Sommer", "Herbst", "Winter", "Der zweite Sommer", "Das Meer", "CarlSolomon", "Kindheit", "Jugend", "Das Ende (der Kindheit und der Jugend)", "Der Begleitplan", "Der zweite Winter", "Im Rückspiegel") werden im Zeitraffer Kindheitserinnerungen, Beziehungsgeschichten, Milieustudien usw. abgehandelt, darunter Elzas seltsame Affäre mit dem Tänzer Kalisto Tanzi, Ians heißblütige, wenn auch sehr späte Reaktion, die Hochwasser führende Donau, Rebekas der Fantasie entsprungene Kindheitsgefährten, auch ein modischer Abstecher in die Psychiatrie, der gewisse Aspekte der gelebten Wirklichkeit beeinflusst, darf selbstverständlich keineswegs fehlen.
Man liest von eigenartigen Versprechern, bezahlten Stadtspaziergängern, dem penetranten Piepsen der Supermarktkassen, von allerlei Filmprojekten und Menschen im Sadomasowürgegriff des Geldverdienens, vom gemeinsamen Urlaub auf Patmos im September 2001. Weiters finden sich Erinnerungen an "Pinocchio", an das Schicksal eines üblen Dackels namens Aladár, an eine frühe wegweisende Begegnung zwischen der damals "Polly" genannten Elza und dem zu jener Zeit nicht halb so alten Ian, dazwischen überrascht der Text mit einem unmotivierten Dekonstruktionsversuch, der Schilderung von Uriniererlebnissen und des haarklein beschriebenen Verfalls von Ians kranker Mutter.
Dies alles in bemerkenswert frostigem Stil, der kaum Nähe zu den sich eigentlich recht wacker schlagenden Protagonisten aufkommen lässt und mitunter an diverse Bekenntnisgesprächsrunden im Fernsehen erinnert, wenn Zeitgenossen kurz aus ihren Nähkästchen plaudern dürfen oder auch müssen.
Eindeutig steht die lese- und schreibbegeisterte Elza im Mittelpunkt, ihr widmet die Autorin viel Raum und Aufmerksamkeit.

Sofern man sich auf den eigenwilligen Rhythmus des Romans einzulassen vermag, bekommt man einmal zauberhafte, dann wieder oberflächliche Alltagsszenen kredenzt, dazu Impressionen von allem Anschein nach recht normalen Lebensläufen in losen Zusammenhängen. Zwischendurch geistert Poesie durch den Text, und es finden sich variantenreiche Spielereien mit Wahrnehmung, Betroffenheitsposen und heutzutage oft und gern verfasster Bewältigungsprosa.
Es geht um das abhandenkommende Interesse an der eigenen Entwicklung, um Trägheit, Bequemlichkeit und mangelhafte Selbsteinschätzung, um das Verstreichen von Lebenszeit, um Sehnsüchte, Lügen und Illusionen in den - stellvertretend für viele europäische Städte fungierenden - vorbildlichen Fortschrittskulissen Bratislavas.

Der Roman "Café Hyena" streift einige durchaus kritikwürdige Aspekte der Gegenwart und der menschlichen Rollenspiele, beispielsweise Konsumwut, bleibt jedoch - vielleicht absichtlich - auffallend unter jenen Möglichkeiten, welche die Literatur als Darstellungsform bietet und wirkt stellenweise eher wie die Vorstufe zu einem geplanten Dokumentarfilm. Womöglich von der Autorin mitkalkulierter Nebeneffekt: Man sehnt sich geradezu nach Zeiten, in denen echte Kaffeehäuser noch lebendige Intellektuellentreffpunkte waren!

Der Motivreigen schließt sich zwar am Ende mehr oder minder, eine allenfalls innewohnende Symbolik erschließt sich jedoch nicht unbedingt. Es bleibt der Eindruck von in ihrer Gegenwart umherirrenden Figuren, die sich im eigenen Schatten am wohlsten fühlen und ansonsten planlos in die Tage und Nächte hineinleben.
Die übersichtlich gestalteten Kapitel lassen dem Leser jedenfalls genügend Raum zum fantasievollen Lückenfüllen und Nachsinnen über die eigene Stellung in einer monströsen Welt, die den Einzelnen primär als ferngesteuerten Konsumenten, nicht jedoch als denkendes und fühlendes Individuum wertschätzt.

(kre; 09/2017)


Jana Beňová: "Café Hyena"
(Originaltitel "Café Hyena. Plan odprevádzania")
Aus dem Slowakischen übersetzt von Andrea Reynolds.
Residenz Verlag, 2017. 172 Seiten.
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Jana Beňová studierte Dramaturgie an der Akademie für darstellende Kunst. Sie lebt in der Slowakei und in Spanien und hat Lyrikbände, Kurzgeschichten sowie  Romane publiziert. Für ihr Werk hat sie schon zahlreiche Stipendien und Preise erhalten.

Zur Netzpräsenz des Stadtteils Petržalka ...

Ein weiteres Buch der Autorin:

"Abhauen!"

Rosa, das Mädchen vom Hauptbahnhof, aufgewachsen im Plattenbau hinter den Geleisen, weiß: Sie muss abhauen, den Alltag hinter sich und Träume wahr werden lassen, aufbrechen ins Unbekannte, unterwegs sein, egal wohin. Auch die erwachsene Rosa, nunmehr verheiratet mit dem Dichter Son, flieht vor einem Alltag aus Ehe, Arbeit, Sex, Cellulitis und politischer Theorie. Sie geht mit dem Marionettenspieler Corman auf eine atemlose Reise voller Verheißungen, vielleicht ans Meer, vielleicht nach Paris. (Residenz)
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