Peter Marginter: "Der Baron und die Fische"


Fantasievoll, extravagant und stilsicher: ein kultivierter "Lügenbaron" von österreichischem Format

Der Roman "Der Baron und die Fische", erstmals im Jahr 1966 im Verlag "Langen Müller" publiziert, teilt das Schicksal zahlreicher lesenswerter Werke: Er ist über die Jahrzehnte in Vergessenheit geraten und seit langer Zeit nur noch antiquarisch erhältlich. Die gegenständlich besprochene, 1969 im DDR-Verlag "Volk und Welt" erschienene Lizenzausgabe umfasst einschließlich des von Wolfgang Joho verfassten Nachworts 411 Seiten und ist mit kongenialen Schwarzweißillustrationen aus der Feder des 1996 für sein Gesamtwerk mit der "Hans-Christian-Andersen-Medaille", der höchsten internationalen Ehrung für die Illustration von Kinder- und Jugendbüchern, preisgekrönten deutschen Grafikers Klaus Ensikat ausgestattet.

Wer durch und durch österreichischen Erzählcharme, Lokalkolorit, kleine Bosheiten, einen beachtlichen Sprachschatz, absurde Episoden und kuriose Romanfiguren schätzt, ist bei Peter Marginter gut aufgehoben. Doch wer war der u.A. mit dem "Anton-Wildgans-Preis" (1970) und dem "Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse" (1996) ausgezeichnete, seit dem Jahr 1962 nebenberuflich schriftstellernde Jurist, Übersetzer und Kulturdiplomat, der sich von der Literaturszene tendenziell fernhielt und ganz allgemein ein zurückgezogenes Leben führte?
Peter Marginter wurde am 26. Oktober 1934 in Wien geboren. Er wuchs aufgrund eines Unglücks vaterlos in Bad Fischau (Niederösterreich) und kriegswirrenbedingt in Vorarlberg auf, studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Innsbruck und Wien und war bei der Wiener Handelskammer beschäftigt. Im Jahr 1971 wechselte er in den Kulturdienst des österreichischen Außenministeriums. In den Jahren 1971 bis 1975 war DDr. Peter Marginter als Kultur- und Presserat an der Botschaft in Ankara tätig und wurde in den folgenden Jahren an die Botschaft in Moskau und an das Österreichische Kulturinstitut in London entsandt, das er von 1990 bis 1995 leitete. Als Pensionist unternahm er ausgedehnte Reisen, z.B. nach China, Indien und Tibet. Peter Marginter starb am 10. Februar 2008 im Alter von 73 Jahren in Wien. Sein Nachlass, darunter seine Schreibmaschine, befindet sich übrigens in der "Wienbibliothek im Rathaus".

"Der Baron und die Fische", Marginters Debütroman, sollte auch sein erfolgreichster bleiben. Es folgten vier weitere:  "Der tote Onkel" (1967), "Königrufen" (1973), "Das Rettungslos" (1983) und "Der Kopfstand des Antipoden" (1985). Weiters schrieb der neben seinem Brotberuf äußerst schaffensfreudige Jurist einen Erzählband "Leichenschmaus" (1969), eine große Erzählung mit dem Titel "Zu den schönsten Aussichten" (1978), Kinder- und Jugendbücher sowie viele Essays, etliche Hörspiele und Drehbücher. Auch war er als Übersetzer aus dem Englischen und als Generalsekretär des österreichischen "PEN-Clubs" tätig.

"Der Baron und die Fische": ein nostalgisch-fantastischer Abenteuerroman

"Herr Doktor", brach der Baron plötzlich das Schweigen, "wollen Sie mein Sekretär werden?" (S. 37)
Nach einem launigen Exkurs über die Unterschiede zwischen Gärtnern, Blumenhändlerinnen und Gemüsefrauen führt der Roman "Der Baron und die Fische" den Leser schnurstracks in eine Wiener Blumenhandlung, wo der Baron Elias Creutz-Querheim zielsicher einen in einem Blumentopf verborgenen Engerling aufstöbert, was für einige Turbulenzen sorgt.
Dr. Simon Eybel, zu dieser Zeit kurz vor der Pragmatisierung stehender lustloser Jungjurist ("Arbeit ist Opium für das Volk.") beim Lotterieamt, mit Hang zur Dichtkunst gesegnet, Sohn des Vorstands des Pilzmuseums, das der Baron noch als Kind mit seiner Mutter besucht hat, ist unter den anwesenden Kunden. Das Schicksal hat ihn zu dieser Zeit an diesem Ort mit dem Baron zusammengeführt. Sein Vater, August Irenäus Eybel, hat dem Sprössling einst die Familiengeschichte des Barons erzählt: Vor langer Zeit hatte sich eine Adelige mit einem Maulwurf eingelassen, das durch diesen Seitensprung in die Familie eingeschleuste Erbgut trieb immer wieder bemerkenswerte Blüten, und das Wort "Maulwurf" sollte in Gegenwart von Angehörigen dieses Geschlechts tunlichst vermieden werden. Einer der Vorfahren des Barons, mit schwarzem Pelz behaart, brachte es gar zum Chef der Geheimpolizei und wurde von Rudolf II. in Prag mit dem Titel "von Kreuz und Querheim" baronisiert.

Die beiden Männer kommen nach dem Vorfall im Blumengeschäft ins Gespräch und sind einander auf Anhieb sympathisch. Nach einem Besuch in den Kellergewölben eines Spezialfischhändlers, dramatischen Vorfällen mit bösartigen Fischottern und der Erörterung der politischen Bedeutung selbiger, unterbreitet der Baron, ein weltweit anerkannter Ichthyologe und Fischesammler, der mit seinen Bediensteten standesbewusst in einem noblen Palais mit Park lebt, Simon Eybel das oben zitierte unwiderstehliche Angebot. Zu den Bediensteten des Barons zählt auch der treue, vielseitig begabte schwarze Diener Joseph Buonaparte Novak, genannt Pepi.
Nach kurzer Bedenkzeit kündigt Simon in einer famosen Szene seine missliebige Stellung im Lotterieamt, sagt auch der geldgierigen Zimmervermieterin Schweinbarth adieu und begibt sich als gutbezahlter Privatsekretär in die Dienste des Barons.

Die traute Zusammenarbeit währt ein halbes Jahr, bis eines Abends ein geheimnisvoller Amtsdiener dem Baron berichtet, man sei aufgrund seiner politischen Einstellung hinter dem Adelsspross her; Konspiration und Hochverrat stehen im Raum. Also Flucht! Überstürzt werden Koffer gepackt, die wertvollsten Fische reisefertig verstaut, und schon sitzen der Herr Baron, Simon und Pepi im Wagen und begeben sich eiligst nach Schottland, zu Verwandten in die Heimat der Mutter des Barons, nämlich in das Schloss der MacKillies.
Am Laurentiustag kommt die zahlreiche Verwandtschaft zu traditionellen Festivitäten zusammen, und der in einem Whiskyfass "aufbewahrte" 631 Jahre alte Urahn Laird Ivor, der nur an seinen Geburtstagen herausgeholt wird, hat - wie üblich - bei allen Entscheidungen das letzte Wort. Aufgrund der Konfiskation des Vermögens des Barons durch die österreichische Regierung wird eine großangelegte Ballonexpedition gegen Österreich vorbereitet, und am 29. September heben die schwerbewaffneten Nobelfluggeräte ab.
Doch ein Unwetter zerstreut die schottische Flotte über dem Kontinent in alle Winde; der Ballon mit dem Baron, Simon und Pepi an Bord muss bei Panticosa, einem spanischen Kurort, der wahrlich schon bessere Zeiten gesehen hat, notlanden. In Panticosa treffen der Baron und Pepi auf alte Bekannte, und im Kaffeehaus "Zum singenden Fisch" werden die Weichen für kommende Geschehnisse gestellt.
Auch das Wirken okkulter Kräfte macht sich zunehmend bemerkbar, wodurch der Roman etwa ab der Mitte eine zusätzliche Ebene gewinnt, die abschnittsweise Simon in den Mittelpunkt rückt. Dieser erhält z.B. ein Werk Athanasius Kirchners und wird von einer Verwandten des Barons für eine bedeutende Persönlichkeit gehalten, in einer angeblich unbewohnten Ruine begegnet ihm und Theano ein unheimliches Trio schier aus der Zeit gefallener Gestalten, er empfängt einen Brief aus der Vergangenheit, entdeckt seine Fähigkeit zur Levitation ...

Während der Baron beim Bürgermeister und seinem alten Bekannten Kofler de Rapp den Gerüchten über in den Terpuelo-Höhlen lebende singende Fische nachgeht (" ... bestätigen übereinstimmend, dass in den Terpuelo-Höhlen ein Fisch lebt, der süße, melodische Töne von sich gibt, ja regelrechte Arien singt.", S. 184), suchen Simon und Pepi die weise Hellseherin Salome Samprotti, eigentlich eine Prinzessin von Salvalun, auf, deren Nichte Theano Simon in Wien einmal flüchtig im Zirkus gesehen hat, und mit der sich eine zarte, wenngleich aussichtslose Liebelei anbahnt.
Da die Terpuelo-Höhlen militärisches Sperrgebiet sind, erschwert sich das Vorhaben, die singenden Fische aufzuspüren, und der Aufenthalt im Haus Salome Samprottis verlängert sich. Glücklicherweise kann der Baron auf einen in Basel angelegten Teil seines Vermögens zugreifen.
Der Baron und Pepi machen sich eines Tages dennoch auf, die verbotenen Höhlen zu erforschen. Die Erkundung des "Zwingers neptunischer Sängerknaben" endet tragisch und nicht mit der gewünschten Entdeckung. Nach der langwierigen Genesung des Barons, seiner Rehabilitierung seitens der österreichischen Machthaber, der Aufhebung des Haftbefehls gegen ihn sowie dem Sturz der Otterliebhaber, überstürzen sich die Ereignisse in einem Schloss dreier sonderbarer Wissenschaftler, die obskure Apparaturen entwickelt haben und einer Geheimlehre anhängen: Neben Simons voranschreitender Metamorphose, der er schließlich selbst Einhalt gebietet, wird der Baron versehentlich verkleinert, verwandelt sich daraufhin in eine Sardine, stirbt, kehrt ins Leben zurück und wird letztendlich einem künstlich geschaffenen Menschenkörper einverleibt ...

In die ebenso einfallsreich erdachte wie fantasievolle Handlung hat Peter Marginter neben überraschenden Details auch ungebrochen aktuelle Feststellungen eingestreut, beispielsweise: "Ich kenne den Österreicher als wohlgenährten und gutartigen Menschen, der murrend seinen Beitrag für die Regierungspartei zahlt, weil er von ihr erwartet, dass sie nichts Weltbewegendes tut, oder für die Opposition, weil er hofft, dass diese nichts tun kann: er unterstützt grundsätzlich die Partei, die seine Kreise nicht stört." (S. 105). Aber auch über Beamtentum zu Kaisers Zeiten (und nahezu unverändert danach), abstoßende Auswirkungen von Touristenscharen, politische Kleingeisterbahnen und viele andere Entwicklungen äußert sich der Autor mit spitzer Feder: die Gesellschaft im Umbruch, Adelige und Bürgerliche in gewohnten und neuen Rollen, Manieren und sonstige Gepflogenheiten, kulinarische Köstlichkeiten, gute Weine, Lebensart; überambitionierte Naturwissenschaftler, unheilvolle Sammelleidenschaften, Liebesverirrungen, über Schicksalsfäden, sogenannte Zufälle, Patriotismus, Proletariat, Auswüchse der Bürokratie usw. usf.

Peter Marginter war nie Teil der literarischen Massenabfertigung. "Der Baron und die Fische" bietet vergnügliche Lektüre in der Tradition von Doderer und Herzmanovsky-Orlando, gewürzt mit einer kräftigen Prise Meyrink.
Und es wäre höchste Zeit für eine Neuauflage dieses originellen Romans!

(kre; 04/2016)


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Noch ein Buchtipp:

Claudio Magris: "Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur"

Claudio Magris' Buch über den habsburgischen Mythos ist in den vierzig Jahren seit seiner Entstehung selbst zum Mythos geworden, zum "Lebensroman seines Autors", ja zur "Karte seiner geistigen und kulturellen Geografie", wie Magris im Vorwort dieser Neuauflage schreibt. In sechs Kapiteln - von der Zeit Maria Theresias über Nestroy und Grillparzer zu Hofmannsthal, Kraus und Musil - zeichnete der damals zwanzigjährige Triestiner die Geschichte der habsburgischen Kultur nach und versuchte, in der Vielfalt eine "große Linie zu finden".
Magris' viel diskutiertes Buch legte damit den Grundstein zu der Wiederentdeckung des k.u.k. Österreich, seiner kulturellen Kontinuitäten und politischen Brüche. (Zsolnay)
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Leseprobe:

(...) Andere werden zu Beamten aus ursprünglicher innerer Berufung, aus einer bestimmten Disposition des Charakters als Folge einer Mutation. Zum Bewusstsein ihrer Berufung gelangen sie meist durch das Beispiel eines goldgeäderten Greises, der zu ihnen im Verhältnis eines Paten, Onkels oder näheren Bekannten der Familie steht und nicht mit seinem Namen, auch nicht mit "Herr Doktor" angesprochen wird, sondern mit einem Titel, der fast immer die Würde "Rat" in geheimnisvollen Zusammensetzungen enthält. Künftige Beamte aus Berufung oder Vererbung sind unschwer erkennbar: ruhige, folgsame Kinder, die ihre Spielsachen gut behandeln und sich stundenlang mit sich selbst beschäftigen. Die - zu ihrer Ehre sei es gesagt - kleinste Gruppe unter den Beamten sind die dummen und arbeitsscheuen, die es nur deshalb in die Ämter zieht, weil sie dort ihren besonderen Lebensstil zu verwirklichen hoffen. Sie werden mit Vorliebe als Schalterbeamte im Parteienverkehr eingesetzt, denn sie verstehen es wie niemand anderer, mit einem einzigen angewiderten Seitenblick die Nichtigkeit der Petenten bis auf die Knochen zu enthüllen. Sonst werden sie auch gern als Quellmittel von Vorgesetzten verwendet, die zur Hebung der eigenen Importanz den Personalstand ihrer Abteilung vergrößern wollen; die dummen und arbeitsscheuen Beamten entwickeln den Spürsinn von Trüffelschweinen, wenn es um negative Kompetenzkonflikte (natürlich nur amtsinterne) geht, so dass immer wieder Fälle auftauchen, für die niemand zuständig ist und infolgedessen jemand herbeigeschafft werden muss. Wenn der betreffende Vorgesetzte dazu wiederum einen dummen und arbeitsscheuen Beamten zu besorgen weiß, lässt sich der gewünschte Effekt mühelos verdoppeln und verdreifachen.
Bei den eigentlichen Beamten, von denen bisher die Rede war, gibt es vier Dienstklassen: in der untersten, der Dienstklasse D, ist man gar nichts, in der Klasse C nichts, in der Klasse B Maturant und in der Klasse A Jurist. Außerdem gibt es noch den uneigentlichen oder wissenschaftlichen Beamten, der einen Gutteil seiner Dienstzeit damit verbringt, um die Aufnahme in eine dieser Klassen zu kämpfen. Er ist eine ziemlich rare Erscheinung, da ihm nur in Ausnahmefällen die Weihe der Pragmatisierung gespendet wird. Andererseits ist aber die Pragmatisierung gerade bei den uneigentlichen oder wissenschaftlichen Beamten oft eine Existenzfrage, denn nur der Staat kann es sich leisten, Reservate für mittellose Wissenschaftler einzurichten, in denen scheinbar zwecklose und abseitige Dinge getrieben werden. (S. 42-44)
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Leseprobe:

(...) Dann stülpte er den neuen, silbergrauen Zylinder auf den Kopf, legte sich die dazu passende Pelerine um die Schultern und begab sich leichten Fußes in das Amt. Statt respektvoll und unauffällig an den Schreibtisch zu huschen, wie man es sonst von Zuspätkommenden erwartete, begrüßte er den Oberkommissär Anton Wedelmayer, das Gegenüber (ihre Schreibtische standen Stirn an Stirn), mit einem lauten "Böööh!", das bis nebenan zu Ministerialrat Kreppel drang.
Der Ministerialrat riss die Verbindungstür auf und schrie wütend: "Eybel!"
Simon zog die Brauen hoch und sah ihn kopfschüttelnd an.
"Eybel!"
"Kreppel?"
"Sie unverschämter Ignorant! Kommen Sie her!"
"Nein, nein, Herr Ministerialrat", feixte Simon, rückte den Parteienstuhl in die Mitte des Zimmers, setzte sich darauf, streckte die Beine weit von sich und die Zunge heraus.
Dem Ministerialrat verschlug es vor Entsetzen die Rede. Er lief bis an den Zenit seiner Glatze blaurot an und fuchtelte wild mit einem Lineal.
"Herr Ministerialrat, der Eybel ist wahnsinnig geworden!" keuchte Oberkommissär Wedelmayer.
"O nein, süßer Schlammbeißer", korrigierte Simon, "ganz konträr! Mich berauscht die Vernunft."
Er erhob sich und klopfte mit einem losen Handschuh seinen Hosenboden ab. "Ich scheide hiermit aus dem Personalstand des Amtes!" Er verbeugte sich gegen die beiden Herren. "Vergeben Sie mir die kindische Demonstration meiner so lange unterdrückten Antipathie. Bezüglich meiner Akten würde ich Ihnen vorschlagen, sie zu verbrennen: so könnten sie doch noch ein wenig Wärme in den grauen Alltag bringen. Die Kriminalromane, die Sie in meiner rechten Lade finden, empfehle ich Ihrer geschätzten Lektüre. Ich habe die Ehre!"
Nach diesen Worten verließ Simon den Ministerialrat und den Oberkommissär, die ihm entgeistert nachschauten, durchmaß die langen, staubölgetränkten Gänge, die zum Haupttor des Lotterieamts führten, rief dem Portier ein weiteres "Böööh!" zu und ging geradewegs zum Palais Creutz-Querheim. (S.58, 59)
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