Mascha Kaléko: "Feine Pflänzchen"

Mit Illustrationen von Eva Schöffmann-Davidov


An Kalékos Werk "Feine Pflänzchen" ist es besonders die Liebe zu Details und die Bedeutung, die auf Kleinigkeiten gelegt wird, die diese Besonderheit auszeichnen. Schon der Titel ist ein zarter Gruß aus der Botanik. Der Buchumschlag ist wunderschön und liebevoll, sehr farbenfroh mit verschiedenen Blumensträußen in Vasen, Vögeln und Schmetterlingen gestaltet. Neben jedem Gedicht im Werk ist eine fantasievolle, träumerische Zeichnung. Das Ganze wirkt schon jetzt wie ein kleiner Vorbote des Frühlings - mitten im Winter.

Das Veilchen, zart und violett,
War Ehrengast auf dem Bankett,
Und jeder rühmte seine Tugend,
Und seine Schönheit, seine Jugend.

Das Veilchen drauf, mit scheuer Miene,
"Ihr lobt mich mehr als ich verdiene.
Doch eine Tugend, die mich ziert,
Die habt ihr alle ignoriert."
- Verbeugte sich nach edlem Brauch,
Und sprach: "Bescheiden - bin ich auch."


Das Buch ist klein und schmal, mit den kurzen Gedichten der 1907 in Polen Geborenen. Somit ist es möglich, den Lyrikband auch so zu behandeln, wie er das verdient - er sollte überall dabei sein! Ob zum Schmökern oder Bilder Betrachten, zum Schmunzeln oder Nachdenken.

Die Nelke kommt im Blumenflor
Zumeist nebst "Rose, Tulpe" vor
Und welkt selbdritt, Gott weiß warum
In jedem Pohäsie-Album.


Die in "Feine Pflänzchen" aufgenommenen Blumen, Gemüse und Kräuter werden verschieden charakterisiert und individuell gezeichnet. Sie bekommen durch die Dichterin eine Persönlichkeit, die manchmal positiv und manchmal eher negativ ist. Nichtsdestotrotz kann man fast sagen, dass alle Gedichte eine gewisse Wärme ausstrahlen. Die raffinierten und sorgsam gewählten Reime vermitteln ein Gefühl der Wertschätzung für die Pflänzchen, aber auch den Leser.

Fremdländisch duftet der Jasmin,
Doch blüht er auch in Groß-Berlin.
Wer Orchideen züchtet ist,
Hierorts ein Orchidealist.


Das kleine Büchlein passt in jede Tasche und ist in der Lage, jedwede Stimmung des Lesers aufzunehmen. Kaléko-Liebhaber haben mit "Feine Pflänzchen" nicht nur ein weiteres Werk der großartigen Literatin in der Hand - es ist auch noch ein besonders sanftes, anschmiegsames, zugängliches, handliches Buch. Von Erbsen und Kartoffeln, Spinat und Maiglöckchen, Sonnenblumen und Rosen - Mascha Kaléko bietet ein sehr wertvolles Lexikon der Botanik und legt Wert auf andere Merkmale der Pflanzen. Sie schreibt ihnen ein Innenleben, ein Denken zu, das man nur allzu gerne in sich aufnimmt.

Nun singen wir ein Lied zum Preis
Der lieblichen Tomate.
Wie zart errötet sie im Reis,
Wie lockt sie im Salate.

Wär ich Johann Sebastian Bach,
Ich schrieb ihr drei Kantaten.
(Doch wenn’s zuhaus Tomaten gibt,
Flücht ich in den "PRÄLATEN".)


Dennoch schlägt sich die Melancholie, die Kaléko Zeit ihres Lebens prägte, auch in diesem Werk nieder - die Heimatlosigkeit, Vaterlosigkeit, Verlorenheit, die Flucht von Ost nach West, um dem Judenhass zu entgehen. Nachdem sie als Dichterin in Deutschland Fuß gefasst hat, folgt ein Berufsverbot, fast verlässt sie Nazi-Deutschland zu spät, um ins Exil zu gehen. In Amerika, wo sie völlig unbekannt ist, muss sie neu anfangen. Entwurzelung und Heimatlosigkeit setzen sich fort. Der Umzug nach Israel, ihrem Mann zuliebe, wo sie sich nicht zu Hause fühlt, immer mehr zurückzieht und kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Der überraschende Tod ihres 31-jährigen Sohns, der Tod ihres Mannes, Kaléko verlässt kaum mehr die Wohnung. Ein letzter Besuch in Berlin, auf dem Rückweg nach Jerusalem stirbt sie 1975 in Zürich und wird dort begraben. Man kennt die Dichterin vor allem aufgrund ihres berühmten Gedichts "Memento", das in "Verse für Zeitgenossen" abgedruckt ist. Die Traurigkeit Mascha Kalékos lässt sich auch in diesem kleinen Büchlein nicht leugnen…

Seit ’33 lieb ich selbst Narzissen
Nur noch mit seltsamen Gewissensbissen.


Den Lyrik-Skeptikerin sei gesagt, dass sie diesem Gedichtbändchen ruhig eine Chance geben können, weil die Texte bodenständig sind, ohne ihre Leichtigkeit und ihre Eleganz zu verlieren.

(Alexandra Gölly; 12/2016)


Mascha Kaléko: "Feine Pflänzchen"
Mit Illustrationen von Eva Schöffmann-Davidov.
dtv, 2016. 78 Seiten.
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