Richard Wagner: "Herr Parkinson"


Herr Wagner trifft Herrn Parkinson.

Es ist eine Zufallsbekanntschaft, wie so oft im Leben. Sie trifft Herrn Wagner wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und sie macht sich gleich unangenehm bemerkbar. Zuerst zaghaft, dann immer stärker. Anfangs ist es ein Zittern des Beines, mit dem auch die Erzählung beginnt. "Im Grunde", so schreibt Wagner, "war es mein rechtes Bein, das mich ins Unglück gestürzt hat. Ohne dieses Bein wäre mein Leben anders verlaufen." Erst einmal also ein Zittern, dann eine Steifheit, gefolgt von unwillkürlichen Bewegungen und Verlangsamungen. Irgendwann ist die Gegenwart dieser Begegnung nicht mehr zu übersehen. Zwei Herren in einer Mesalliance.

Herr Parkinson ist der Literaturname für Morbus Parkinson, eine langsam fortschreitende, degenerative Erkrankung des Nervensystems. Kontinuierlich gehen nicht nur Nerven, sondern vor allem Fähigkeiten verloren. Sie ist irreversibel und unheilbar und, aber das ist die gute Nachricht, nicht unmittelbar tödlich. Sein Partner (oder Gegenspieler?) ist Herr Wagner, Richard Wagner. Ein aus Rumänien gebürtiger Journalist und Schriftsteller, der in Berlin lebt und in dieser Beziehung jener ist, der, überrascht oder besser gesagt übertölpelt, fortan zum Chronisten wird.

Zu Beginn schreibt Richard Wagner: "Ich befand mich mitten im Leben und dachte mir Erklärungen für den Zustand der Welt aus." Genausogut hätte er diesen Satz am Ende des Buches schreiben können. Denn noch immer befand er sich mitten im Leben und dachte sich Erklärungen aus, allerdings stand jetzt im Fokus dieser Herr Parkinson. Und er ließ auf den letzten Seiten die Seitenangaben weg, als ob sich damit sein Dasein in ein unendliches Vakuum verflüchtigt hätte. Zurück bleiben Fragen. "Und was dann." Dazwischen liegen mehr als 140 Seiten Reflexionen und stille Gespräche, die das Problem umkreisen und in immer enger werdenden Umrundungen versuchen, seiner habhaft zu werden.

Anders als in vielen Berichten über schwere Krankheiten, verzichtet Wagner auf Klischees. Er kann keinen Sieg vermelden, keine Heilung, nicht einmal einen moralischen Sieg, wonach Herr Parkinson seinem Leben neuen Sinn gegeben hätte. Nein, im Gegenteil. Er stört und nimmt ihm nicht das Leben, aber seine Fähigkeiten, und überlässt es seinem unfreiwilligen Wirt, damit zurechtzukommen. Wilhelm von Humboldt, der ebenfalls unter Morbus Parkinson litt, meinte, die Hauptsache sei, die Seele zur Ertragung jedes Ungemachs abgehärtet zu haben. Richard Wagner wiederum verlässt sich auf das Denken. Nicht das Verstehen, das er der Verharmlosung bezichtigt. Ebenso verwirft er die Idee des freien Willens, wenn der Körper sich vom Kopf nicht mehr herumkommandieren lässt. So wird er zum Chronisten der letzten Male. Als er zum letzten Mal in einem Flugzeug saß, einen Kinosaal betrat, einen Vortrag hielt. Er klagt nicht, er beklagt nicht, er beschönigt aber
auch nicht. Stattdessen kommt er zu dem Schluss, dass eine unheilbare Krankheit, die den Tod nicht herbeiführt, das Leben zunächst zur Strafe macht, der aber doch einiges abgetrotzt werden kann.

"Herr Parkinson" ist ein schmales Buch, das sich mit lakonischer Stimme einer schweren Krankheit stellt, ohne zu verzweifeln. Es ist ein Buch über Krankheit und doch wieder nicht. Es geht nicht so sehr um eine spezifische Krankheit mit ihrem Verlauf und Therapiemöglichkeiten, sondern im Mittelpunkt steht die Frage, was sie mit uns bzw. dem Autor macht, was sie konkret in ihrer Sinnlosigkeit bedeutet. Richard Wagner erweist sich als ein sehr wacher Beobachter, der weder zur Schönfärberei noch zur Mystifizierung neigt. Für jene, die in einer ähnlichen Situation waren oder sind, klingt Wagners Stimme seltsam beruhigend.

(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 05/2015)


Richard Wagner: "Herr Parkinson"
Knaus, 2015. 144 Seiten.
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Noch ein Buch zum Thema:

Peter Kopf: "Morbus Parkinson in der Pflege.
Die Integration adjuvanter Therapien im Langzeitpflegebereich in die tägliche Pflege"

Schätzungen zufolge sind in Österreich derzeit 20.000 Menschen von Parkinson betroffen. Darüber hinaus steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit daran zu erkranken. Durch die demografische Entwicklung ist bis zum Jahr 2050 mit einer Verdreifachung zu rechnen. Die Pflege und die Betreuung von Betroffenen stellt daher vor allem im Bereich der Langzeitpflege eine große Herausforderung für die Zukunft dar. Neben moderner Pharmakotherapie kommt adjuvanten Therapien zunehmend eine aktivere Rolle zu, denn Parkinson Betroffene sollen in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden. Welche Art von Pflege von Parkinson betroffene Menschen benötigen und wie adjuvante Therapien in die tägliche Pflege integriert werden können ist Thema dieses Buches. (Diplomica)
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