Siri Hustvedt: "Die gleißende Welt"


"Gerade als dieses Buch in Druck gehen sollte, informierten mich Maisie und Ethan Lord darüber, dass sie soeben ein weiteres Notizbuch wiedergefunden hatten: Notizbuch O. Die Eintragungen in O liefern zusätzliche Angaben über Harriet Burdens Beziehung zu Rune und offenbaren, dass Richard Brickman, wie ich vermutet hatte, ein Pseudonym von Burden ist." (Aus der "Einführung")

Mit diesem Roman, in den USA von der Kritik als ihr bisher bester gefeiert, kehrt die Schriftstellerin Siri Hustvedt in die Künstler- und Kunstwelt von New York zurück, die sie in ihrem Roman "Was ich liebte" schon ausführlich porträtiert hat. Doch in "Die gleißende Welt" geht es nicht nur um die Frage, wie man als Künstler in einer Szene erfolgreich wird, die von ganz eigenen (männlichen?) Gesetzen regiert wird, sondern es geht auch, wie schon häufig bei Siri Hustvedt, um Geschlechterdifferenz, die Ambiguität menschlicher Existenz und ihrer Rollenspiele und um eine Menge Philosophie und Neurowissenschaft.

Eine Art Herausgeber namens I.V Hess, von dem man als Leser nichts weiter erfährt, hat nach dem Tod der Künstlerin Harriet Burden aus deren Tagebüchern und den schriftlichen Erinnerungen der mit ihr bekannten Personen eine spannende, stellenweise aber recht schwer zu lesende Geschichte über ein Experiment verfasst, mit dem Harriet Burden beweisen wollte, was sie gleich zu Beginn so ausdrückt, zusammengestellt:
"Alle intellektuellen und künstlerischen Unterfangen, sogar Witze, ironische Bemerkungen und Parodien schneiden in der Meinung der Menge besser ab, wenn die Menge weiß, dass sie hinter dem großen Werk oder dem großen Schwindel einen Schwanz und ein paar Eier ausmachen kann."

Als vermögende Witwe des verstorbenen berühmten New Yorker Kunsthändlers Felix litt sie lange Zeit darunter, dass weder ihr Mann noch die Kunstszene ihre Werke irgendwie wahrgenommen haben. Voller Überzeugung, dass es das Geschlecht, die Rasse oder die sexuelle Orientierung sind, die für die Perzeption der Werke eines Künstlers die entscheidende Rolle spielen, sieht sie ihr Scheitern einzig und allein durch ihr Geschlecht als Frau verursacht. Und sie plant einen großen Coup, mit dem sie alle von ihrer These überzeugen will: Sie wird ihre Werke mit von ihr "gekauften" männlichen Künstlern auf den Markt und zum Erfolg bringen.

Sie fühlt sich dabei von großen philosophischen Geistern unterstützt, mit denen sie sich sogar in der U-Bahn im permanenten Dialog befindet: Husserl, Kierkegaard, Nietzsche, Merleau-Ponty, Hannah Arendt, Samuel Pepys, Leibniz und Simone Weil. Sie alle sollen belegen, dass es die Maske ist, die den wesentlichen und tiefen Grund unserer gesamten Kultur ausmacht. Einer von Harriets typischen Sätzen lautet: "Der Weg zur Wahrheit ist verdoppelt, maskiert; das ist mein Weg, nicht direkt, sondern gewunden!"

In ihrer ersten Inszenierung benutzt sie den jungen Anton Tish für eine Installation mit dem Titel "Die Geschichte der Kunst des Westens". Vor dem großen Erfolg ergreift der junge Künstler sehr bald die Flucht.
Es folgt eine mit "Erstickungsräume" bezeichnete Aktion, für die Harriet den schwulen Schwarzen Phines Q. Eldrigde als Strohmann engagiert. Als auch hier der Erfolg überbordend ist, soll zum Abschluss eine Ausstellung mit dem Titel "Darunter" das Spiel mit den Masken perfektionieren. Doch der gerissene Künstler Rune spielt nicht mit, er erklärt Harriets Werk zu seinem eigenen, bevor er sich bei einer (geplanten?) Aktion zu Tode bringt.

Voller Detailkenntnis über den New Yorker Kunstbetrieb hat Siri Hustvedt nicht nur ein Buch über die Anmaßung und die narzisstische Kälte moderner Kunst geschrieben, sondern einen anspruchsvollen, stellenweise schwierig zu lesenden und zu verstehenden Essay über Philosophie, Geschlechterdifferenz und Rollen.

In ausführlichen Fußnoten geht es von Freud zur Neurobiologie, über Computertheorien des Geistes zur "Natural Philosophy of Margaret Cavendish". (Margaret Cavendish war eine Autorin des 17. Jahrhunderts, die einen utopischen Roman mit dem Titel "Die gleißende Welt" geschrieben hat.)

Trotz oder gerade aufgrund dieses hohen Bildungs- und Bedeutungsniveaus liest man den Roman mit Vergnügen und Gewinn.
Vielleicht handelt es sich bei "Die gleißende Welt" wirklich um Siri Hustvedts bisher bestes Buch; ihr reifstes ist es allemal.

(Winfried Stanzick; 05/2015)


Siri Hustvedt: "Die gleißende Welt"
(Originaltitel "The Blazing World")
Übersetzt von Uli Aumüller.
Rowohlt, 2015. 491 Seiten.
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"Leben, Denken, Schauen. Essays"

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