Franzobel: "Groschens Grab"
Vienna
Noir mit Porno-Oma und Ausflug nach Sarajevo
Der 1967 im oberösterreichischen Vöcklabruck geborene
und derzeit in Wien lebende Autor Franzobel hat mit "Groschens Grab"
den zweiten stilisiert-waschechten Wiener Kriminalroman nach "Wiener
Wunder" abgeliefert. Wieder ist Kommissar Groschen im
Einsatz, der wahrscheinlich noch einige Abenteuer aus der Feder
Franzobels vor sich hat.
Kommissar Groschen, der an einem olfaktorischen Tinnitus leidet, was
bedeuten soll, dass er von einem sich hartnäckig in der Nase
festgesetzten Geruch verfolgt wird, den er irgendwie nicht loswird.
Gleich zu Beginn erhält er einen Anruf von einer aufgeregten
Dame, die von einer Entführung erzählt und bekommt
vom Stammbettler ein Kuvert mit einem Reisepass, den dieser gefunden
haben will. Kommissar Groschen ist seit seinem ersten Fall etwas
gereift, wenn man so will. Sein Gehabe ist derber geworden, insgesamt
ist er nicht gut drauf, und seine Nacktfotoposter im Büro
ecken bei der deutschen Karenzvertretung an, die natürlich
blond, aber eine waschechte Feministin ist. Und da auch der "Kaffe
der piefkinesischen Aushilfskraft" leider kein "Wiener
Kaffeeeee"
ist, freut er sich wie ein kleines Kind, als er zu einem Mordfall
gerufen wird:
"Eine Tote? Also doch! Groschens Ahnung hatte ihn nicht
getäuscht, der Geruch in seiner Nase war eine Warnung gewesen,
aber nicht ihn, sondern eine Unbekannte hatte es erwischt. Seine
Gesichtszüge hellten sich auf. Eine Tote! Eine Unbekannte!
Endlich war was los. Er schälte sich aus der Kruste seiner
üblen Laune und strahlte. Eine Tote!, sprang er hoch, nahm
einen Schluck von dieser Brühe, die plötzlich doch
nach Kaffee schmeckte, riss das Plakat mit den Models von der Wand,
zerknüllte es und warf es elegant in den Papierkorb. Dann zog
er seine braune Raulederjacke mit dem Pelzkragen an, schloss beide
Fenster, umarmte den verdutzten Martin, küsste ihn und
verließ mit ihm das Büro."
Leider entpuppt sich die Tote als nicht ganz unbekannte Porno-Oma,
Ernestine Papouschek, 82, deren banaler Porno-Roman "Die
Rübenkönigin" sie zu einer Bekanntheit in besonderen
Kreisen gemacht hat. Nicht nur ist die Leiche übel
zugerichtet, im Klo, auf das der Kommissar dringend muss, schwimmt auch
noch ein Augapfel der Porno-Oma, was die Laune Groschens eklatant
schlechter werden lässt. So sieht er sich gezwungen, den
Nachbarn, der (bzw. dessen Hund Adolf)
auch die Leiche gefunden hat, aufzusuchen, einerseits, um sich zu
erleichtern, andererseits, um den Leichenfinder auszufragen. Dieser ist
Skinhead und offensichtlich Nazi, was Franzobel mit
zwischen Klischees und zündenden Ideen herumspringender Prosa
darstellt. Nachdem der Nachbar merkt, dass Groschen ein Problem mit
Adolf zu haben scheint, bietet er an, ihn Caruso zu nennen, was
Groschen mit "von mir aus können Sie auch ihren Hund
Himmler oder Eichmann nennen - das Tier heulte kurz auf -, solange Sie
keine anderen Menschen gefährden."
Dazu kommen ein egomanischer Staatsanwalt, der das Silberne
Ehrenzeichen der Stadt Wien bekommen soll ("wofür nur",
rätselt Groschen) und ein bereits vor Jahren gefasster
Mörder, der nach genau diesem Muster getötet hat, der
jedoch bereits wieder entlassen, geläutert und im Dienste
Gottes in einem Kloster ist. Da er zwischen Mord und versuchter
Festnahme nach Sarajevo in ein anderes Kloster versetzt worden ist,
wird Groschen nach Sarajevo zur Festnahme geschickt.
Während der Teil in Sarajevo wahrscheinlich den
stärksten Teil des Krimis darstellt, folgt nichtsdestotrotz
ein Klischee auf das andere. Groschen entpuppt sich als
eigenbrötlerischer, sturer und vor allem dem
österreichischen, salonfähigen Alltagsrassismus nicht
abgeneigter Ungustl. Das ist natürlich auch so gewollt,
sympathisch macht es den Protagonisten nur in wenigen Momenten. Die
Grenze zwischen "daneben" und einfach "politisch inkorrekt" (aber
dafür treffend) ist halt recht eng, und Groschen verirrt sich
da immer wieder. Ich gehe davon aus, dass Franzobel hier sehr bewusst
vorgeht.
Natürlich gibt es auch eine weitere Leiche; ein homosexueller
Nobelschneider, der doch an den bayrischen Moshammer erinnert.
Zusätzlich liefert die Geschichte um die
burgenländische Kommune von Otto Mühl einige
Erzählungsfäden. Wieder kommen unzählige nur
leicht "verkleidete" existierende (oder bereits nicht mehr
existierende) Personen, wie bereits im Vorgängerkrimi, wo
Barbara Karlich einen Auftritt hatte, vor. Und zuguterletzt, Franzobel
bedient sich natürlich freizügig am Büffet
der österreichischen Absurditäten. Der Rezensent geht
jedenfalls davon aus, dass Franzobel viel Spaß beim Verfassen
dieser Krimiserie hat.
Dass der Schluss dann nicht ganz das hält, was man sich
vielleicht doch erhofft hat, ist eine andere Geschichte, die allerdings
eigentlich nicht ins Gewicht fällt, da von Anfang an klar ist,
dass man es nicht mit einem Spannungsthriller zu tun
hat.
(Roland Freisitzer; 08/2015)
Franzobel:
"Groschens Grab"
Zsolnay, 2015. 285 Seiten.
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