Isabel Allende: "Der japanische Liebhaber"


Raffiniert, hinreißend, überraschend - ein Roman über Freundschaft, Liebe und die Last der eigenen Vergangenheit

Wie schon "Amandas Suche" spielt auch "Der japanische Liebhaber" in der Gegenwart. Die junge Irina ist auf der Suche nach einem sicheren Ort, wo sie zur Ruhe kommen und die Gespenster ihrer Vergangenheit vertreiben kann. Das gelingt ihr schließlich in der Seniorenresidenz "Lark House", wo sie nicht nur Zerstreuung, eine Anstellung und Ruhe, sondern vor allem auch Freunde findet. Irina kümmert sich mit Hingabe um die alten Menschen und wird zusätzlich von der geheimnisvollen, verschwiegenen Bewohnerin Alma Belasco als persönliche Assistentin angestellt. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden Frauen ein sehr inniges, liebevolles und vertrautes Verhältnis, und Irina taucht immer tiefer in Almas Vergangenheit ein.

Als Kind wurde Alma von ihren Eltern von Polen nach San Francisco zu ihrem Onkel und ihrer Tante geschickt, um dem Schicksal der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg zu entgehen. Weit weg von zu Hause und unter fremden Menschen verschloss sich Alma der Welt immer mehr. Ihre einzigen Vertrauten waren ihr Cousin Nathaniel und der Sohn des japanischen Gärtners, Ichimei. Beide Jungen sollten Alma ihr Leben lang begleiten, auf die eine oder andere Art. Auch Ichimeis Kindheit und Jugend wird in Almas Erzählungen eingebunden, und man erfährt von der harten Zeit der Japaner in den Vereinigten Staaten von Amerika zur Zeit des japanischen Angriffs. Die Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart lassen den Leser auch Einblicke in Irinas schreckliche Vergangenheit nehmen, die sie nie ganz aus ihrem Leben ausschließen kann.

Irina und Almas Sohn Seth interessieren sich sehr für Almas Erzählungen aus ihrem bewegten Leben. Vor allem der sensible, ruhige Ichimei und das ganz besondere Verhältnis zwischen Alma und ihm interessieren die jungen Erwachsenen. Sind die wöchentlichen Briefe und Gardenien, die in Päckchen geschickt werden, wirklich vom japanischen Liebhaber? Geheimnis für Geheimnis zieht das Buch den Leser mehr in seinen Bann.

In einem wundersamen Zusammenspiel aus Geschichte und Fantasie, Vergangenheit und Gegenwart, Glück und Schmerz kreiert Allende ein weiteres Meisterwerk. Mit dem ihr eigenen Einfühlungsvermögen und Charme erweckt Allende die Charaktere ihres Buches zum Leben. Spannend, außergewöhnlich und faszinierend schildert die Autorin Gefühle und Schicksale, wie keine andere.

"Der japanische Liebhaber" ist nicht wie Allendes frühere Bücher, sondern eine moderne Erzählung, die im San Francisco des 21. Jahrhunderts angesiedelt ist - wenn auch mit zahlreichen Ausflügen in die Vergangenheit. Damit wird ein weiteres Mal bewiesen, dass die vielseitige, experimentierfreudige Autorin sich darauf versteht, verschiedenste Stoffe kunstvoll und authentisch aufzuarbeiten. Man kann nur hoffen, dass Isabel Allende die Welt noch mit vielen weiteren ihrer Geschichten und packendem Lesevergnügen beschenkt.

(Alexandra Gölly; 09/2015)


Isabel Allende: "Der japanische Liebhaber"
(Originaltitel "El amante japonés")
Aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp, 2015. 335 Seiten.
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