Horace Walpole: "Das Schloß Otranto"
Ein Schauerroman
Der Prototyp des
          Schauerromans
        
        
        Horace Walpole, Schriftsteller, zeitweilig Parlamentsmitglied und Sohn
        des Ministers Sir Robert Walpole, "des mächtigsten Mannes, der seit
          mehr als einem Jahrhundert in England aufgetreten war", so
        Walpoles Dichterkollege Sir Walter Scott, dieser Horace Walpole also
        gilt als der Erfinder des Schauerromans. Mit seinem "Castle Of
          Otranto" begründete er die Literaturgattung der "Gothic Novel",
        und zahlreiche Nachahmer und Epigonen sind in seine Fußstapfen getreten.
        
        Die Geschichte vom "Schloß Otranto" spielt in Süditalien zur Zeit der
        Kreuzzüge. Viele der handelnden Personen sind historischen Vorbildern
        nachgezeichnet, wie wir im ebenso ausführlichen wie informativen
        Nachwort von Norbert Miller erfahren.
        
        Zunächst vom Autor als eine Übersetzung aus dem Italienischen
        ausgegeben, bekannte sich Walpole jedoch nicht zuletzt aufgrund des
        unerwarteten Erfolges seines Romans im Vorwort zur zweiten Auflage zur
        Autorschaft desselben.
        
        Walpole erschöpft sich nicht im Beschreiben von blutigen
        Horrorszenarien, wie es einige seiner Nachfolger, beispielsweise Matthew
        Gregory Lewis in seinem Roman "The Monk" getan haben. Horace
        Walpole pflegt mehr die subtile Art des Schreckens in seiner Darstellung
        des Übernatürlichen. Auch greifen die übersinnlichen Mächte im "Schloß
        Otranto" mehr zugunsten der Gerechten und Verfolgten ein, also auf eine
        für das Genre eher unübliche Art und Weise.
        
        Mittelalterlich düster ist der Ort des Geschehens,
        eine finstere Burganlage mit ihren zahlreichen Sälen, Türmen, Falltüren
        und unterirdischen Gängen. Was dem Roman ein wenig fehlt, ist der
        verhüllende Schleier des Geheimnisvollen, der Ahnungen im Leser aufleben
        lässt und Spannung aufzubauen vermag. Walpole kommt ohne Umschweife zur
        Sache, stößt die Nase seiner Leser gleich mitten
          ins Zentrum des Geheimnisses hinein.
        
        Besondere Anerkennung gebührt dem Übersetzer Hans Wolf, der schon
        mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnet wurde. Er drückt auch diesem
        Roman seinen ganz besonderen Stempel auf und befleißigt sich einer
        Sprache, die an Schönheit und Originalität nichts zu wünschen übrig
        lässt. Für meine Begriffe geht er dabei manchmal ein wenig zu weit in
        seiner Formulierungswut, zumal Walter Scott seinem Kollegen Walpole eine
        Reinheit der Sprache und Einfachheit der Erzählung attestiert hatte.
        Damit sich der potenzielle Käufer des Romans ein Bild machen kann,
        stelle ich nun eine Passage aus der von Joachim Uhlmann im Insel-Verlag
        erschienenen Übersetzung derjenigen von Hans Wolf gegenüber:
        "fordert er die Prinzessin Isabella, die Tochter des Fürsten, die Ihr
          gemein und verräterisch in Eure Gewalt gebracht habt durch Bestechung
          ihrer treulosen Wächter, während er fern war; und er verlangt von
          Euch, auf das Fürstentum Otranto zu verzichten, das Ihr Euch
          widerrechtlich von dem besagten Friedrich, dem nächsten Anverwandten
          des letzten rechtmäßigen Herrn, Alfonso des Guten, angeeignet habt."
        Soweit die Fassung von Joachim Uhlmann. Die gleiche Passage liest sich
        in der neuen Übersetzung von Hans Wolf wie folgt:
        "begehrt er die Jungfer Isabella, Tochter des bemeldten Fürsten, als
          welche du unedel und trüglich in deine Gewalt getan, dieweilen du ihre
          treulosen Vormünder in seinem Abwesen geldlich bestochen; und er
          gebeut dir, das Fürstentum Otranto abzudanken, als welches du unbillig
          abgeraubt dem bemeldten Herrn Frederic, dem nächsten am Geblüt dessen,
          so der letzte gerechtsame Herr gewesen, Alfonso der Gute."
        
        In jedem Fall haben wir es hier mit einer begrüßenswerten Neuauflage
        eines Literaturklassikers zu tun, und wer sich nur ein wenig für die
        Gattung des Schauerromans interessiert und Walpole und sein "Schloß
        Otranto" noch nicht kennt, sollte die Gelegenheit nutzen und das Buch
        erwerben.
(Werner Fletcher; 05/2014)
Horace Walpole: "Das Schloß Otranto. Ein
          Schauerroman"
        (Originaltitel "The Castle of Otranto")
        Mit einem Nachwort von Norbert Miller. Übersetzt
          von Hans Wolf.
        C.H. Beck, 2014. 182 Seiten mit 8 Abbildungen.
        
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Horace Walpole,
        geboren am 24. September 1717 in London, ebendort gestorben am 2. März
        1797, war Autor, Politiker, Mitglied des Parlaments, Kunstmäzen und
        Kunstsammler und ein Sohn des zweifachen britischen Premierministers
        Robert Walpole. Er errichtete die erste private Druckerpresse Englands
        in seinem nach dem Vorbild gotischer Burgen umgebauten Anwesen bei
        London, Strawberry Hill. Walpole ist als "Vater des Schauerromans"
        berühmt.
        
        Weitere Buchtipps:
          
          Norbert Miller: "Strawberry Hill. Horace Walpole und die Ästhetik der
          schönen Unregelmäßigkeit"
        Horace Walpole war ein Politiker
        hinter den Kabinetten, er verkörperte das Ideal der englischen
        Aufklärung, den gebildeten, unbestechlichen Zuschauer im politischen
        Getriebe. Zugleich war er jedoch ein Fantast, der seinen Landsitz in ein
        bizarres Kastell verwandelte. Norbert Miller zeigt, wie Walpole als
        träumender Aufklärer und Vorromantiker aus Vernunft zum Bindeglied der
        Geistesströmungen seiner Zeit wurde. (Hanser)
        
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          Rolf Breuer: "Englische Romantik. Literatur und Kultur 1760-1830"
        Der repräsentative Überblick über die englische Romantik.
        Zusammen mit den literarischen Werken werden in diesem Studienbuch die
        Ideen der Romantik erläutert, und das ist nicht nur für Anglisten
        interessant. Denn die englische Romantik war vor allem eine Zeit der
        Umbrüche: Neue Gedanken fanden Ausdruck in den Texten von von
          Blake, Wordsworth, Coleridge,
        Byron,
        Keats, Scott Austen sowie Mary
        und Percy Bysshe Shelley.
        Die Kapitel zu den wichtigsten Strömungen, Autoren und Werken Englands
        werden durch Exkurse zu Malerei und Gartenkunst, Technik und
        Wissenschaft, Gesellschaft und Politik vervollständigt. So ergibt sich
        ein umfassender Überblick über die englische Literatur und Kultur
        zwischen 1760 und 1830. (UTB)
        
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Norbert
          Miller: "Fonthill Abbey. Die dunkle Welt des William Beckford"
        Er war Exzentriker, Ästhet und bewandert in Kunstgeschichte und
        Literatur: William Beckford, Sohn aus reichem Hause, führt im England
        des 18. Jahrhunderts ein extravagantes Leben. Er feiert ausschweifende
        Feste, schreibt Märchen über den Orient
        und lässt das Schloss auf dem väterlichen Anwesen abreißen, um etwas
        Größeres zu bauen - bis zuletzt das Geld knapp wird. Norbert Miller
        schildert in leuchtenden Farben, aus profunder Kenntnis und mit
        staunender Sympathie die skurrile Gestalt eines jungen Dandys,
        der sich mitten in der englischen Provinz ein künstliches Paradies
        erschuf. (Hanser)
        
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Norbert Miller: "Von
          Nachtstücken und anderen erzählten Bildern"
        Nicht erst im Fernseh- und Computerzeitalter verschwimmen die Grenzen
        zwischen der künstlichen und der "natürlichen" Welt. Grenzüberschreitung
        zwischen Wirklichkeit und Fantastik, Grenzüberschreitung zwischen den
        Künsten: Norbert Miller, der Meister im Verknüpfen von Literatur, Kunst
        und Musik, zeichnet ein Stück Frühgeschichte der Moderne nach. In diesem
        Buch spannt sich der Bogen von dem französischen Ägyptenforscher Vivant
        Denon mit seinen frühen, zwischen mythologischer Erfindung und
        wissenschaftlicher Rekonstruktion stehenden Visionen des Altertums, über
        verschiedene Erscheinungsformen der europäischen und us-amerikanischen
        Romantik wie
        E.T.A.
          Hoffmann,
        Victor
          Hugo,
        Franz Liszt
        und
        E. A. Poe
        bis hin zur Frage des Historismus in der Musik. (Hanser)
        
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      Bernd Stiegler: "Spuren,
          Elfen und andere Erscheinungen. Conan Doyle und die Photographie"
        Was haben Sherlock Holmes und Spiritismus gemeinsam?
        Conan Doyle kennt man vor allem als Autor der Sherlock
        Holmes-Geschichten. Sein Werk ist allerdings weitaus umfangreicher und
        verzweigter: Es umfasst historische Romane, politische Pamphlete,
        historische Studien, Science-Fiction-Romane und nicht zuletzt
        zahlreiche Publikationen zum Spiritismus. Die Fotografie spielt dabei
        eine zentrale Rolle und lässt eine höchst eigentümliche Vorstellungswelt
        erstehen. Sie erlaubt es zugleich, die Welt um 1900 mit all ihren
        Merkwürdigkeiten in den Blick zu nehmen: Für die Zeitgenossen war Sherlock
          Holmes eine real existierende Figur, für seinen Autor aber
        bezeugten Fotografien von Elfen, Verstorbenen und Geistern
        deren Existenz. Ihre Fotos und die anderer merkwürdiger Wesen sammelt
        dieses Buch mitsamt dem Imaginarium, das sich um sie rankt. (S. Fischer)
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Leseprobe:
        
        (...)
        Zur Vermählung ward des jungen Conrads Geburtstag bestimmt. Die
        Gesellschaft hatte sich nicht sobald in der Schloßkapelle versammelt,
        und alles war zugerüstet für Beginn des göttlichen Amtes, so wurde
        plötzlich Conrad selbst vermißt. Manfred, erzürnt über jedwede kleinste
        Verzögerung, zumal er seinen Sohn sich nicht hatte entfernen sehen,
        schickte einen seiner Bedienten, den jungen Prinzen herbeizuschaffen.
        Der Domestik blieb nicht lange genug fort, als daß er den Schloßhof zu
        Conrads Gemach hätte durchmessen können; außer Atem kam er zurückgeeilt,
        einem Unsinnigen gleich, starren Blicks und mit Schaum vorm Mund. Er
        sprach kein Wort, deutete jedoch zum Hof.
        Die Gesellschaft war wie erschlagen vor Graus und Entsetzen. Der Fürstin
        Hippolita, ungewiß, was geschehen, aber beängstet um ihren Sohn,
        schwanden die Sinne. Manfred, weniger besorgt als entrüstet über den
        Aufschub der Hochzeit
        und die Narrheit
        seines Bedienten, fragte gebieterisch, was es sei? Der Gesell gab keine
        Antwort, deutete aber fürder zum Hof; endlich, nach wiederholtem
        Nachfragen, schrie er's heraus: "Oh weh! Der Helm! Der Helm!"
        Unterdessen waren einige aus der Gesellschaft in den Hof geeilt, von
        wannen sogleich ein wirres Gelärm aus entsetzten und bestürzten
        Aufschreien zu hören war. Manfred, den das Ausbleiben seines Sohnes
        allgemach in Unruhe setzte, ging nun doch selbst nachsehen, was diese
        sonderbare Konfusion mochte ausgelöst haben. Matilda verharrte bei ihrer
        Mutter, bestrebt, ihr Beistand zu tun; Isabella blieb zum nämlichen
        Behuf, und um deswillen, weil sie den Unmut zu bergen gedachte über
        einen Bräutigam, für den sie in Wahrheit nur geringe Zuneigung empfand.
        Was Manfred zuvörderst erblickte, war eine Gruppe seiner Bedienten, die
        etwas emporzuheben suchten, welches das Ansehen eines Berges aus
        schwarzen Federn hatte. Seinen Augen nicht trauend, konnte er den Blick
        nicht davon wenden.
        "Was tut ihr da?" rief Manfred zornmütig; "wo ist mein Sohn?"
        Ein Stimmenschwall antwortete: "Ach! Gnädiger Herr! Der Prinz! Der
        Prinz! Der Helm! Der Helm!"
        Bestürzt über diese Klagelaute und voller Furcht vor dem Ungewissen trat
        er hastig hinzu - aber was offenbarte sich da dem Auge des Vaters! Er
        sah sein Kind zerschmettert und schier begraben unter einem riesigen
        Helm, welcher zu hundert Malen größer war als jede für Menschen gemachte
        Sturmhaube und den eine fügliche Menge schwarzer Federn bedeckte.
        Das schaurige Spektakel, die Ungewißheit der Umstehenden, wie dieses
        Unglück hatte geschehen können, und namentlich die erschreckliche
        Wundererscheinung selbst benahmen dem Fürsten die Sprache. Doch sein Schweigen
        währte länger, als sogar Kummer und Schmerz hätten verursachen können.
        Umsonst wünschte er das, darauf sein Blick verharrte, für eine Vision
        anzusehen; ohnedem schien er seines Verlustes weniger zu achten als sich
        in Betrachtungen über den staunenswerten Gegenstand zu versenken,
        welcher diesen Verlust ausgewirkt. Er berührte, er untersuchte den
        fatalen Helm; auch die blutenden, verstümmelten Überreste des jungen
        Prinzen vermochten Manfreds Blick nicht von dem unheilkündenden Gebilde
        zu wenden.
        Alle, die Manfreds parteiische Zärtlichkeit für den jungen Conrad
        kannten, waren über seine Fühllosigkeit verwundert, ebenso wie sie das
        Rätsel des Helms bis ins Mark erschütterte. Ohne vom Fürsten den
        geringsten Befehl erhalten zu haben, schafften sie den entstellten
        Leichnam in die Halle. Auch den Frauen, die in der Kapelle verblieben,
        schenkte Manfred keine Beachtung. Im Gegenteil, ohne der unglücklichen
        Edeldamen, seiner Gemahlin und Tochter, zu erwähnen, lauteten die ersten
        Worte, die ihm aus den Lippen kamen: "Nehmt euch der Jungfer Isabella
        an."
        Die Bedienten merkten nicht auf diesen seltsamen Befehl, sondern folgten
        der Zuneigung für ihre Herrin, deren Zustand dringlich Not hatte, ihr zu
        Hilfe zu eilen. Sie schafften sie auf ihr Gemach, mehr tot als lebendig
        und gleichgültig gegen alles, was Sonderbarliches um sie geschah,
        ausgenommen den Tod ihres Sohnes.
        Matilda, ihrer Mutter in kindlicher Liebe zugetan, unterdrückte den
        eigenen Kummer und Schrecken und dachte nur darauf, ihr in ihrer
        Betrübnis beizustehen und sie zu trösten. Isabella, die von Hippolita
        stets wie eine eigene Tochter behandelt ward und diese Zärtlichkeit mit
        ebensolcher Ehrerbietung und Liebe vergalt, bemühte sich kaum weniger
        emsig um die Fürstin; zugleich suchte sie die Last der Sorge zu teilen
        und zu lindern, welche Matilda, gegen die sie die wärmsten Neigungen der
        Freundschaft empfand, ersichtlich niederzudrücken drohte. Dem ungeacht
        gaben die Umstände ihr genugsam Anlaß, auch an sich selbst zu denken.
        Der Tod des jungen Conrad focht sie nicht weiter an, als daß er
        betrüblich war; und es dauerte sie nicht, einer Heirat ledig zu sein,
        welche ihr wenig Glück verheißen hätte, weder von seiten ihres gedachten
        Bräutigers noch von seiten des grobmütigen Manfred, der, ob er sie
        gleich durch viel Vergünstigung auszeichnete, ihr Gemüt in Angst und
        Schrecken versetzte, da er gegen so liebwerte Fürstinnen wie Hippolita
        und Matilda so grundlose Strenge an Tag legte. (...)