Siegfried Kracauer: "Ginster"


Ginster: Die Ginster (Genista) sind eine Pflanzengattung, die zu den Schmetterlingsblütlern (Faboideae) gehört. Doch werden auch Vertreter anderer Gattungen als Ginster bezeichnet, so ist etwa Besenginster eine Art der Gattung Geißklee.

Dieser Autor schenkt uns ein poetisches, metaphorisch sehr einfallsreiches, lakonisches und sarkastisches Werk. Die bösartige Fratze des Kleinbürgers weiß er gekonnt und pointiert zu porträtieren. Das Elend und Leid des Künstlers, ob des Siegeszuges der Grausamkeit, des Rausches nach Blut, einer Zeit, in der das Fremde künstlich, brutal und vehement einer Überbetonung anheimgefallen ist. Anstatt den wahren Feind zu lokalisieren, das monarchistische System, welches dem einzelnem Menschen kein Recht zur Selbstentfaltung einräumt, die unteren Schichten dumm und arm halten möchte, werden andere Völker und Nationen beleidigenden, diffamierenden Charakterisierungen unterzogen. Rassismus wird salonfähig,  Neid, Hass und Zorn werden jetzt öffentlich zur Schau gestellt, der kleine Mann muss sich nun nicht mehr verstellen, er darf seine anerzogenen und antrainierten Minderwertigkeitskomplexe in Richtung Größenwahn lenken.

Hauptprotagonist des Romans ist der fünfundzwanzigjährige, sehr sensible, intelligente, begabte Architekt Ginster. "Ginster" ist der Kosename aus der Schulzeit, seinen richtigen Namen werden wir nicht erfahren, möglicherweise ist dieser Kunstgriff ein Symbol für die Schwammigkeit dieser Epoche. Nichts ist mehr bestimmt, alles ist im Umbruch und Aufbruch, Destruktion ist vorprogrammiert und wird nach zwei Weltenbränden eine völlige Neuordnung der westlichen Welt als einzige logische Konsequenz mit sich bringen. All das spüren die Menschen in dieser konfusen Zeit, doch die wenigsten können es, gleichsam Tieren, welche die Gefahr wittern, artikulieren, nicht einmal im geringsten Ausmaß verstehen.

"Die Galauniform im weißen Zug machte jetzt Krieg" - derlei bitterböse, scharfe, kluge Sätze begleiten das Buch bis zum Ende. Auch viele zärtliche, sehnende Sätze machen das Werk zu einer wunderschönen Parabel des Menschseins. Herausragend ist auch seine Fähigkeit, die Welt der Geometrie zu beschreiben. Eindrucksvoll werden Linien, Muster, Formen, also das, was unsere äußere Welt ausmacht, in einer leidenschaftlichen Art und Weise mit der inneren Welt der Gefühle verbunden und bilden in dieser Vereinigung ein Fest für das Leben, für die Existenz, für das Schöne, Wahre und Wichtige selbst.

Siegfried Kracauer gehört zu den ganz großen Autoren, nur leider wissen das viel zu wenige Leser. Die das Glück haben, mit seiner Literatur in Berührung zu kommen, werden diese ihr ganzes Leben lang nicht vergessen und glücklich sein, dass sie durch den Autor einen Hauch vom Paradies erhalten haben.

(Josef Huber; 05/2013)


Siegfried Kracauer: "Ginster"
Suhrkamp, 2013. 349 Seiten.
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