Christian Rätsch: "Pilze und Menschen"

Gebrauch, Wirkung und Bedeutung der Pilze in der Kultur


Der Mensch ist ein neugieriges Wesen von einigem Appetit und wird es nicht notwendig gehabt haben, der kulinarischen Vorlieben von Wildschweinen und Rentieren innezuwerden, um den Pilz für sich zu entdecken. Tatsächlich ist diese so andersartige Lebensform schon in grauer Vorzeit nutzbar gemacht worden und hat die Menschenwelt seither in den verschiedensten Aspekten berührt, beeinflusst und geprägt, ihr Mycel ist, wie es in dem Vorwort so schön heißt, mit unserer Kulturgeschichte verbunden. Um nun, wie es sich der vorliegende Bildband zur Aufgabe setzt, einen breiten Überblick über diese mannigfachen Einflüsse zu geben, wird man kaum einen Berufeneren als den in der Schweiz lebenden Ethnobotaniker (die Ethnobotanik untersucht die Bedeutung und Verwendung der Pflanzen in den verschiedenen Kulturen der Welt) Christian Rätsch finden, handelt es sich bei der Ethnomykologie doch um ein Teilgebiet der Ethnobotanik und hat der Autor doch von so manchem für europäische Verhältnisse exotischen Schwammerl selbst gekostet. Zahlreiche Abbildungen begleiten und unterstützen dabei den Text. Manche mit dem Autor selbst, im Gespräch mit Schamanen oder vor einem Stein mit einer pilzbringenden indischen Göttin, andere zeigen aztekische Pilzrituale, die Maske des Tengu genannten japanischen Fliegenpilzkobolds oder Populärkulturelles wie Abbildungen aus Märchenbüchern früherer Zeiten, und natürlich dürfen auch jede Menge Pilzfotos - die Schönheit und Faszination des Fruchtkörpers in seinen so unterschiedlichen und doch ähnlichen Variationen - nicht fehlen.

Pilze lassen kaum jemanden kalt, sie werden entweder geliebt oder gefürchtet, weswegen in dem Buch auch häufig von Mykophilie und Mykophobie die Rede ist. Mitschuld an der Scheu und Skepsis, die den Pilzen mancherorts entgegenschlägt, ist, dass es leider auch das eine oder andere giftige Exemplar gibt: wer zum Beispiel in unseren Breiten den überaus leckeren Parasol mit dem Grünen Knollenblätterpilz verwechselt, der hat nicht mehr viel Zeit, Mykophobien zu entwickeln. Allerdings sind die allermeisten Pilze ungefährlich, ja, viel mehr von ihnen als gemeinhin angenommen eignen sich trefflich als Hauptspeise, Beilage oder Gewürz. Ein heutiger Italiener wäre über die Vorurteile seiner römischen Ahnen vemutlich ebenso verwundert wie hierzulande ein durchschnittlicher Pilzsammler darüber, was alles aus unseren Wäldern als Speisepilz verwendet werden könnte beziehungsweise in ausgesprochen mykophilen Regionen wie Sibirien oder Japan allen Ernstes so auf den Tisch kommt. 

Bereits an der Schwelle zur Menschwerdung stand ein Pilz und half wesentlich, diese zu überschreiten, der Zunderschwamm, der, wie schon der Name sagt, vielerorts als exzellenter Zündstoff beim Feuermachen diente und so bei der Zähmung des Feuers eine entscheidende Rolle spielte.
Ebenfalls sehr alt ist die Verwendung zu medizinischen Zwecken, wie etwa Pilze, die im Reisegepäck des als Ötzi bekannt gewordenen Bergsteigers gefunden wurden, nahelegen; mindestens seit der Antike ist medizinischer Pilzgebrauch jedenfalls gesichert.
Weiters  fanden und finden Pilze beim Räuchern und Färben, bei der Herstellung von 
Aphrodisiaka und natürlich beim Alkohol Anwendung.
Ein anderer Aspekt, der den Autor berufsbedingt besonders interessiert, ist die halluzinogene Wirkung zahlreicher Arten. Schamanen reisen mittels dieser "Zauberpilze" in andere Wirklichkeiten und lassen sich dort bei ihrer Suche nach der Ursachen von Krankheiten oder ihren sonstigen Vorhaben vom jeweiligen Pilzgeist unterstützen. Und seit neuerem wandeln auch Künstler, Psychologen und sprituell Suchende experimentierend auf ihren Spuren, machen tiefenseelische und religiöse Erfahrungen und lassen sich von den erstaunlichen Wirkungen der psychoaktiven Schwammerln verschiedentlich inspirieren.
Weitere Kapitel widmen sich den Pilzen in der Mythologie und Kunst, legendären und historischen Pilzen, Pilzen im Märchen und in der Popkultur, spüren ihrem größtenteils unverdienten Ruf als Boten des Todes, des Bösen und der Fäulnis nach, stellen Vermutungen über Pilzspuren in diversen Namen (zum Beispiel des antiken Mykene) an.
Alle Kapitel sind ähnlich aufgebaut (einige einführende Seiten
von Christian Rätsch in den jeweiligen Fachbereich nebst ein paar prächtigen Bildern und Fotos), weisen eine gelungene Mischung aus Wissenswertem und Kuriosem auf und eignen sich dergestalt als gutes Einführungsbuch, stilvolles Geschenk für Pilzfreunde oder scharfe Axt für das Eis verstockter Mykophober. 

(Esquilin; 01/2012)


Christian Rätsch: "Pilze und Menschen.
Gebrauch, Wirkung und Bedeutung der Pilze in der Kultur"

AT Verlag, 2010. ca. 224 Seiten.
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