Nizami: "Leila und Madschnun"

(Hörbuchrezension)


Anne Bennent - Stimme
Otto Lechner & Ensemble - Musik

Es gibt Millionen von Liebesgeschichten, und die Bücher aneinandergereiht würden womöglich von der Erde bis zum Mond reichen, wenn es nicht unmöglich wäre, dass der Turm stehen bleibt. Von den Millionen gedichteten und prosaisch ausgeformten Liebesgeschichten gibt es ein paar Tausend, die einen besonderen Anstrich haben. Und von den paar Tausend nur wenige - vielleicht nur hundert oder zweihundertzwölf - die zu Tränen rühren und gleichzeitig großartige Literatur darstellen. Die vorliegende Geschichte gehört zu diesen vielleicht hundert oder zweihundertzwölf großartigen Liebesgeschichten.

Qeis liebt Leila, und Leila liebt Qeis. Doch diese Liebe konnte sich noch gar nicht entfalten, da werden die Liebenden auseinander getrieben. Qeis wird darob verrückt und also Madschnun. Er wird seine Leila nur mehr ein einziges Mal sehen, die schließlich traurig und alleingelassen stirbt. Was sich so einfach dahinschreiben lässt, ist eine dermaßen wunderbare Liebesgeschichte, dass jeder Satz - selbst in der ausgezeichnet ins Deutsche übertragenen Fassung - wie ein sanfter Kuss den Ohren schmeichelt. Madschnun ist so sehr in seiner Liebe entbrannt, dass er nicht mehr oben und unten, nicht mehr hinten und vorn, nicht mehr neben sich sieht, was die Welt ihm sonst noch bieten könnte. Er gibt alles auf für diese Liebe, er widmet sein Leben der Geliebten, mit der er nie den Flammen der Liebe ausgesetzt sein durfte.
Madschnun lässt sich wie einen Hofnarren vorführen, weil sein Leben für ihn jeglichen Sinn verloren hat oder eben nur Sinn haben kann, wenn er sich für Leila aufopfert.

In all der Qual steckt Lebensweisheit, die dieser orientalischen Liebesgeschichte jenes Gewürz zugibt, durch das sie sich eklatant von Millionen allzu typischer Liebesgeschichten abhebt, welche die Grenze zum Kitsch gnadenlos überschreiten.
Lebensweisheit und Liebe können zwei Seiten einer Medaille sein. Madschnun bekommt von seinem Vater schon im ersten Teil dieses ausgezeichneten Klangbuches nicht die Leviten gelesen, sondern eine Dosis voll von Lebensenergie, die persönliches Wachstum fördern mag. Was aber ist mit Leila? Sie will sich Qeis nicht entziehen, und weiß doch, dass ihre Liebe keine Chance hat. Die Familien der beiden Liebenden verhinderten erfolgreich die volle Entfaltung dieser Liebe, und damit war auch das Schicksal von Leila besiegelt. Sie wurde mit irgendeinem Mann zusammen gebracht, der ihr so zugeneigt ist wie der Dorsch dem Fischer. Ihr Unglück ist vielleicht sogar noch größer als jenes des verrückt gewordenen Qeis, weil ihr Leben fremdbestimmt ist. Sie ist dazu gezwungen, ein Leben zu erdulden, das ihr unerträglich ist. Qeis quält sich immerhin ohne äußere Zurechtweisung durch ein Leben, das ohne die geliebte Frau nie und nimmer glücklich sein kann.

Dieses Klangbuch wird von der ausgezeichneten Schauspielerin und Rezitatorin Anne Bennent kongenial gesprochen. Die dramaturgisch bestechende Musik ist keine bloße Ergänzung des Textes, sondern verstärkt die Wirkung der Worte auf bezaubernde und manchmal stürmische Art und Weise. Diese Produktion kann eine außerordentliche Erfahrung für jene Hörer sein, die sich voll und ganz auf die Reise in den alten Orient einlassen. Prädikat besonders wertvoll!

(Al Truis-Mus; 06/2011)


Nizami: "Leila und Madschnun"
Mandelbaum Verlag, 2011. 2 CDs, Laufzeit ca. 122 Minuten.
Begleitheft mit 32 Seiten.
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Buchausgabe:
Manesse.
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Nizami (um 1141-1209) wurde im heutigen Aserbaidschan, damals ein Teil Persiens, geboren und wuchs als Waise bei seinem Onkel auf. Über sein weiteres Leben, das er offenbar bis auf eine einzige Reise in seiner Geburtsstadt Gendsche verbrachte, ist kaum etwas bekannt. Nizami zählt neben Firdousi und Scheich Saadi zu den bedeutendsten Vertretern der frühen persischen Epik.

Buchtipps:

Nizami: "Chosrou und Schirin"
Zauberhafte Geschichte einer großen Liebe, erzählt in lyrischer Sprache.
Unter den berühmten Paaren der Weltliteratur beherrscht keines das Spiel aus sehnsuchtsvollem Werben und schmerzvoller Entsagung virtuoser als Chosrou und Schirin. Missverständnisse, politische Intrigen und ein Seitensprung begleiten ihren Weg ins Glück. Nizamis märchenhafte Liebesgeschichte bezaubert mit einer reizvollen Mischung aus erzählenden, lyrischen und belehrenden Passagen noch heute.
Schirin, "die Schöne", will den Sassanidenkönig Chosrou erst dann erhören, wenn er bereit ist, ihre Bitten zu erfüllen. Die Erledigung seiner Herrscherpflichten ist eine ihrer Bedingungen - und stellt doch beide auf eine harte Probe, denn der Erhalt der Macht zwingt ihn zur Heirat mit einer Anderen ...
Nizamis sensibel erdachte Werke inspirierten zahllose Schriftsteller bis hin zu Johann Wolfgang Goethe.
Edler Schmuckband mit 12 Farb-Miniaturen. (Manesse)
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Nizami: "Die sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen"
Das märchenhaft-fantastische Werk des persischen Dichters Nizami ist ein Juwel orientalischer Erzählkunst, vergleichbar nur mit den schönsten Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht". Zwölf kostbare Miniaturen schmücken diesen Band.
Sieben Prinzessinnen erzählen sieben Geschichten, um ihren gemeinsamen Gemahl, König Behram, an den sieben Tagen einer Woche zu unterhalten. Jede der Prinzessinnen stammt aus einem anderen Land, jede lebt im Zeichen eines anderen Sterns und wohnt unter einer andersfarbigen Kuppel des fürstlichen Palastes.
Kunstvoll hat Nizami die Symbolik der Gestirne und der Farben in die Geschichten eingeflochten. Denn am Ende scheinen sieben Aspekte des irdischen Schicksals auf und verbinden sich zu einem Kosmos der Gesetzmäßigkeiten, denen der Mensch allzeit unterworfen ist.
Tragisch, weil alle Lust als Illusion entlarvend, ist "Die Geschichte von der unerfüllten Liebe", mit welcher die indische Prinzessin unter der schwarzen Saturnkuppel die Woche beginnt; überschäumend dagegen "Die Geschichte von der Heimsuchung der Liebenden", die die persische Prinzessin am Ende der Woche unter der weißen Venuskuppel erzählt: Ihre sprühende Lebensfreude und frivole Heiterkeit erinnern an die Erzählungen Boccaccios.
Inhalt: Die Geschichte von der unerfüllten Liebe / Die Geschichte vom König, der nicht heiraten wollte / Die Geschichte vom verliebten Bischr / Die Geschichte von den Rätseln der Turandocht / Die Geschichte von den Abenteuern des schönen Mahan / Die Geschichte von "Gut" und "Bös" / Die Geschichte von den Heimsuchungen der Liebenden. (Manesse)
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