Oliver Sacks: "Das innere Auge"

Neue Fallgeschichten


Veränderte Wahrnehmungen

In seinem Buch "Das innere Auge" stellt Oliver Sacks, bekannt durch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", weitere Fallgeschichten aus seiner Praxis als Neurologe vor. Er erläutert komplexe Krankheitsbilder allgemeinverständlich und ermöglicht es den Lesern auf diese Weise, eine Welt kennenzulernen, die fremd erscheint. Normal ist, was die Mehrheit als normal empfindet. Verletzungen oder Erkrankungen des Gehirns führen in manchen Fällen dazu, dass die Patienten in eine Realität eintauchen, die Außenstehenden bizarr erscheint. Wahrnehmung beschreibt nicht die, sondern eine Wirklichkeit. Diese hängt von der Umsetzung und Interpretation des Gehirns ab.

Autor Sacks beschreibt im ersten Kapitel den Fall Lilian Kallir. Sie ist eine Pianistin, die krankheitsbedingt keine Noten und keine Schrift mehr lesen kann, obwohl sie beides scharf erkennen kann. In einem weiteren Kapitel geht es um Patricia, eine Künstlerin, die an Sprachverlust leidet. Sie ist nicht stumm, sondern ihr fehlt das Verständnis für Sprache. In einem dritten Fall geht es um den Schriftsteller Howard Engel, der aufgrund eines Schlaganfalls zwar noch schreiben, aber nicht mehr lesen kann.

Auf sechzig Seiten wechselt Sacks die Perspektive. Da berichtet er über seine eigene Krankheitsgeschichte. Er hatte einen bösartigen Tumor im Auge. Über diese Zeit hat er Tagebuch geführt. Es werden Facetten einer Erkrankung deutlich, die subjektiv sind und nicht primär im Fokus stehen, wenn man an Krebs denkt. Neben seinen eigenen Empfindungen beschreibt Sacks im Detail die durch die Erkrankung und die spätere Behandlung ausgelösten Wahrnehmungsstörungen. Besonders hat ihn der Verlust des stereoskopischen Sehens getroffen, welcher zwangsläufig eintritt, wenn die Sehkraft auf einem Auge schwindet.

Oliver Sacks schreibt verständlich. Seine Ausführungen sind sachlich nüchtern, manchmal humorvoll. Keine Spur von Pessimismus, wie man ihn bei den behandelten Themen erwarten könnte. Es handelt sich nicht um ein Fachbuch für Mediziner, sondern um ein Buch von Betroffenen für Betroffene und für interessierte Menschen, die die Grenzen ihrer Vorstellungswelt erweitern möchten. Sacks beschreibt, wie sich die Krankheiten bei den Patienten auswirken und wie sie damit umgehen. Sie verlieren ein Stück Lebensqualität aber nicht den Lebensmut, gesellschaftlich aktiv zu bleiben.

(Klemens Taplan)


Oliver Sacks: "Das innere Auge. Neue Fallgeschichten"
(Originaltitel "The Mind's Eye")
Deutsch von Hainer Kober.
Rowohlt.
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Zwei weitere Bücher des Autors:

"On the Move. Mein Leben"

Oliver Sacks ist der berühmteste Neurologe der Welt. Mit seinen Fallgeschichten hat er uns einen neuen Blick auf Krankheiten und Abweichungen gelehrt: was bei einem Patienten auf den ersten Blick als Störung erscheint, ermöglicht oft besondere Fähigkeiten der Wahrnehmung.
Ehrlich und anrührend beschreibt er die wichtigsten Stationen seines Lebens - das enge Großbritannien der Nachkriegszeit, das anarchische Kalifornien der frühen 1960er, schließlich das ewig pulsierende New York. Ob er in der Forschung tätig ist oder in der klinischen Praxis, konstant bleiben die Begeisterung für die Arbeit mit den Patienten und das Schreiben darüber.
Gerühmt für seine feinsinnigen Fallgeschichten, analysiert Sacks hier seinen eigenen Fall: Er erzählt von erfüllter und unerfüllter Liebe, der Beziehung zu seiner jüdischen Medizinerfamilie, zeitweiliger Drogensucht und exzessivem Muskelaufbau, und von unbändigen Glücksgefühlen auf den Fahrten durch die Weiten Nordamerikas.
Die Lebensbilanz eines außergewöhnlichen Mediziners - und das Meisterwerk eines großartigen Erzählers. (Rowohlt)
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"Drachen, Doppelgänger und Dämonen. Über Menschen mit Halluzinationen"
Was geschieht in unserem Kopf, wenn wir - ohne es zu wollen - fantastische Geschichten wahrnehmen oder Muster und Gestalten sehen? Wodurch unterscheiden sich solche Halluzinationen von realen Erfahrungen oder von Traumerlebnissen? Haben sie einen Zusammenhang mit früher Erlebtem oder mit unseren geheimen Wünschen? Oliver Sacks widmet sich in diesem Buch dem Thema Halluzinationen. Er beginnt bei Charles Bonnet, einem Schweizer Mediziner, der im 18. Jahrhundert als erster das Phänomen systematisch erforschte. und er schlägt den Bogen bis in unsere Gegenwart, bis zu zahlreichen eigenen Patienten und deren Fallgeschichten. Die bildgebenden Verfahren, die in der Hirnforschung heute eingesetzt werden können, ermöglichen völlig neue Erkenntnisse über die Verläufe und die Ursachen von Halluzinationen. Sacks untersucht auch, welche halluzinatorischen Wirkungen bestimmte Drogen und Rauschgifte haben können - Mescalin zum Beispiel, Kokain oder Haschisch. Und er beschreibt den Zusammenhang zwischen Halluzinationen und künstlerischer Produktion an namhaften Fällen wie Charles Baudelaire, Frédéric Chopin und Aldous Huxley.
Wie in allen seinen Büchern liefert Oliver Sacks faszinierende Einsichten in die Welt des menschlichen Gehirns. Und er tut dies mit der für ihn typischen Mischung aus empathischer Erzählkunst, wissenschaftlicher Gelehrsamkeit und dem Blick für das Kuriose. (rororo)
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Weitere Buchtipps:

Alva Noë: "Du bist nicht dein Gehirn. Eine radikale Philosophie des Bewusstseins"

"Dieses Buch sollte jeder gelesen haben, der über das Denken nachdenkt." Oliver Sacks
"Bewusstsein ist nicht etwas, das uns passiert. Es ist etwas, das wir erschaffen." Der Philosoph und außergewöhnliche Denker Alva Noë mischt sich mit diesem besonderen Buch in die Gehirn-Geist-Debatte ein und zeigt: Der Mensch ist nicht bloß sein Gehirn. Er ist weit mehr, er hat Seele, er hat Geist - darum ist er Mensch.
Die Hirnforschung verkündet sensationelle Forschungsergebnisse - und kann dennoch nicht erklären, wie Bewusstsein oder Wahrnehmung entstehen. Mehr Hirnforschung bringt nur mehr Klarheit darüber, dass die Antworten nicht einfach und nicht einfach zu haben sind. Wir brauchen also weiterhin und mehr denn je die Philosophie, um zu verstehen, was das "Ich" eigentlich ausmacht. Alva Noë zeigt, wo die Ergebnisse der Hirnforschung zu kurz greifen, und erteilt den Forschern eine klare Absage, die meinen, man könne menschliches Bewusstsein demnächst in der Petrischale erzeugen. Denn der Mensch ist weit mehr als sein Gehirn. Wir sind keine Computer: Die Seele wird uns nicht aufgezwungen. Wir erschaffen sie selbst. (Piper)
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Vilayanur S. Ramachandran: "Die Frau, die Töne sehen konnte. Über den Zusammenhang von Geist und Gehirn"
Gibt es ihn, den "freien" Willen? Was ist das Selbst? Was ist Erinnerung? Was unser Bewusstsein? Wie entstehen Gefühle? Wie interagieren wir mit unserer Umwelt? Warum haben wir Sprache entwickelt, das Vermögen zu Kreativität und moralischem Handeln, warum gibt es Kunst und Musik - für das Überleben gänzlich "unnütze" Fähigkeiten?
Gehörte die Beantwortung dieser Fragen lange Zeit eher zur Domäne der Philosophen oder Psychologen, gibt mittlerweile auch die Gehirnforschung Hinweise auf die Verbindungen zwischen Geist, Körper und Gehirn.
In diesem Buch destilliert der international renommierte Neurowissenschafter Vilayanur S. Ramachandran die wichtigsten Erkenntnisse seiner bisherigen Forschung zu einem packenden Kompendium über die Mysterien unseres Seins. Dazu stellt er Patienten mit außergewöhnlichen Störungen vor: Petra, die Töne sehen kann, Robert, der allen Menschen unfreiwillig eine bestimmte Farbe zuordnet, Ali, der glaubt, keinen Körper zu haben, den Komapatienten Jason, der immer dann aus dem Koma erwacht, wenn er angerufen wird und am Telefon ganz normal kommunizieren kann, aber eben nur dann, oder auch Cindy, für die alle Personen um sie herum völlig identisch aussehen - wie ihre Tante.
Ausgehend vom jeweiligen Defekt, zieht Ramachandran Rückschlüsse auf die Funktionsweise des Gehirns beim gesunden Menschen. Letztlich geht es ihm um nichts Geringeres als um die Frage, was den Mensch zum Menschen macht. (Rowohlt)
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François Lelord: "Das Geheimnis der Cellistin. Beinahe normale Fälle eines ungewöhnlichen Psychiaters"
Der Erfinder von Hector beweist einmal mehr sein untrügliches Gespür für das, was die Menschen im Innersten bewegt. Er öffnet die Tür seiner Praxis und schildert zehn merkwürdige Fälle aus seinem Alltag als Psychiater in diesem sehr persönlichen Buch. Spannend wie die Fälle von Oliver Sacks, poetisch wie die Geschichten von Hector: François Lelord erzählt die interessantesten Fälle aus seinem Leben als Psychiater. Da ist die junge Frau, die nur noch mit Handschuhen das Haus verlässt und nichts zu berühren wagt. Da sind der Student, der Stimmen hört, und die Cellistin, die unter Angststörungen leidet. Lelord fühlt sich in seine Patienten ein, stellt die Diagnose und erklärt dem Leser die Geheimnisse der menschlichen Psyche.
François Lelord, 1953 geboren, promovierter Psychiater, gab seine Pariser Praxis auf, um zu reisen und zu schreiben. Alle Abenteuer Hectors ("Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück" u. A.), der Roman "Im Durcheinanderland der Liebe" und seine Sach- und Fachbücher wurden große Erfolge und auf der ganzen Welt gelesen. (Piper)
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