Alex Capus: "Léon und Louise"
Liebe in Zeiten des
          Krieges
        
        
        "Léon und Louise" beginnt im ersten Kapitel mit der
        eigentlichen Schlussszene.
        Wir befinden uns in der Kathedrale von Notre
          Dame de Paris und werden
        Zeugen der
        letzten Minuten vor dem Beginn der Trauerfeier für den
        männlichen
        Hauptprotagonisten Léon le Gall.
        
        Während der Enkelsohn zusammen mit der Familie le Gall auf das
        Eintreffen des
        Pfarrers wartet, betritt eine mysteriöse, kleine und
        dunkelhaarige Frau mit
        forschen Schritten die Kathedrale. Sie bewegt sich zielstrebig auf den
        Sarg zu
        und küsst den Toten zärtlich auf die Stirn. Nachdem
        sie jedes Familienmitglied
        mit einem Lächeln bedacht hat, entschwindet sie genau so
        schnell und
        geheimnisvoll, wie sie erschienen ist.
        Grund genug für den Enkelsohn, die Geschichte des
        Großvaters zu erzählen.
        
        In gewohnt lockerer Erzählweise fesselt Alex Capus seinen
        Leser gleich von den
        ersten Sätzen weg. Unprätentiös und leicht
        rollt er die doch recht
        eigenwillige Liebesgeschichte von Léon und Louise auf. Eine
        Liebesgeschichte,
        die sich einer wirklich mächtigen Kulisse bedient; des
        zwanzigsten Jahrhunderts
        mit seinen beiden Weltkriegen.
        
        Damit ist die Bühne frei für die Erzählung,
        die nach dem ersten Kapitel im Frühling
        1918 einsetzt. Léon verlässt die Schule und sein
        Elternhaus, um in
        Saint-Luc-sur-Marne der neue Morsegehilfe zu werden. Dass der junge
        Léon fast
        nichts vom Morsen versteht, ist eine andere Sache.
        "Natürlich hatte Léon dreist gelogen, als
          er behauptet hatte, er könne
          morsen, und den Praxistest auf dem Schreibtisch hatte er nur deswegen
          bestanden,
          weil der Bürgermeister von der Materie noch weniger Ahnung
          hatte als er selbst."
        
        Auf dem Weg nach Saint-Luc-sur-Marne, den er auf dem Rad
        zurücklegt, wird er
        mehrmals von einem jungen Mädchen überholt; "ein
          sonderbares Mädchen
          war das gewesen. Sommersprossen und dichtes, dunkles Haar, das sie
          womöglich
          eigenhändig, am Hinterkopf von einem Ohrläppchen zum
          anderen durchgehend auf
          gleicher Höhe abgesäbelt hatte ... kleine
          weiße Zähne und eine lustige Lücke
          zwischen den oberen Schneidezähnen. Die Augen - grün?"
        
        Seine Gedanken kreisen von nun an quasi nur noch um dieses
        Mädchen. Mit viel
        Humor führt Alex Capus die beiden zusammen. Eine vorerst
        verhaltene
        Liebesgeschichte beginnt, die durch einen Bombenangriff
        relativ bald
        jäh
        beendet wird. Obwohl Léon sofort nach der Entlassung aus dem
        Lazarett mit der
        Suche nach Louise beginnt, muss er sich bald mit der vermeintlichen
        Erkenntnis, dass Louise tot ist, abfinden.
        
        Zehn Jahre später, Léon ist bereits mit Yvonne
        verheiratet und selbst schon Vater, erkennt er in der Pariser Metro
        Louise wieder. Eine Begegnung,
        die ihm klar zeigt, dass er Louise nie vergessen hat. Damit geht die
        Beziehung
        von Léon und Louise in die zweite Runde und wird, mit vielen
        Unterbrechungen und
        Entbehrungen, bis zum Tod von Léon halten.
        
        Die Machtübernahme der Wehrmacht in Paris zwingt Louise nach
        Afrika, während Léon mit seiner Familie in Paris bleibt.
        
        "Léon und Louise" ist ein spannender, fesselnder Roman
        über eine Liebesbeziehung, die ihre Spielregeln durch die Geschichte
        diktiert
        bekommt und sich erst sehr spät entfalten kann. Ein wenig erinnert das,
        auch wenn stilistisch und in Bezug auf die Handlungsentwicklung ganz
        anders
        gelöst, an "Liebe in Zeiten der Cholera" von
Gabriel
          García Márquez. Der Roman
        zeichnet ein schönes Bild von
        Frankreich, insbesondere von Paris im Zeitraum 1918 bis 1945.
        
        Von Zeit zu Zeit ist der Tonfall der Erzählung ein wenig zu
        jovial und zu flapsig. Manchmal ist auch die zeitliche Zuordnung einiger
        Begriffe ein
        wenig fragwürdig. Etwas merkwürdig erscheint doch das
        Fortbewegungsmittel "Rikscha"
        im Paris von 1945. Ebenso unangebracht scheint dem Rezensenten die
        Aussage, dass im Jahr 1918 (also im Ersten
          Weltkrieg) "komplette
          Jahrgänge junger Männer
          erschossen, vergast und durch den Fleischwolf gedreht wurden."
        
        Capus' Figuren sind zum Großteil sehr plastisch gezeichnet,
        und wenn aus dem
        schelmischen Jüngling ein braver, pflichtbewusster und
        integrer Mann wird, ist
        das genauso glaubhaft wie die bewusst ungreifbare, etwas
        kapriziöse Louise.
        Yvonnes Permutation im letzten Viertel des Romans, von der der
        Rezensent hier noch nichts verraten möchte, wirkt allerdings ein wenig
        aufgesetzt. Von den
        anderen Figuren dieses Romans ist nur noch der SS-Mann Knochen
        nennenswert, der allerdings eher klischeehaft und in diesem Sinn
        linientreu gezeichnet
        ist.
        
        Und so schwimmt die Erzählung einerseits zwischen den hier
        wenig abgegrenzten Bahnen eines Schelmen-, eines Liebes-, eines
        Kriegsromans und eines das
        Jahrhundert porträtierenden Romans hin und her, eine Tatsache,
        der man als Leser immer wieder gern Einhalt gebieten möchte.
        Andererseits
        trübt das das Lesevergnügen nur bedingt, da die äußerst
        sympathische Erzählweise von Alex
        Capus doch eindeutig die Oberhand behält.
        
        Sehr empfehlenswert, wenn auch mit Schönheitsfehlern.
(Roland Freisitzer)
Alex
            Capus: "Léon und Louise"
        Hanser, 2011. 315 Seiten.
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      Taschenbuchausgabe:
        dtv, 2012.
        
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Weitere Bücher des Autors
          (Auswahl):
          
          "Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer"
        Von drei Helden wider Willen erzählt Alex Capus in diesem Roman: Vom
        Pazifisten Felix Bloch, der nach 1933 in den USA beim Bau der Atombombe
        hilft. Von Laura d'Oriano, die Sängerin werden will und als alliierte
        Spionin in Italien endet. Und von Emile Gilliéron, der mit Schliemann
        nach
        Troja
        reist und zum größten Kunstfälscher aller Zeiten wird.
        Nur einmal
        können die Drei einander begegnet sein: im November 1924 am Hauptbahnhof
        Zürich. Doch ihre Wege bleiben auf eigentümliche Weise miteinander
        verbunden.
        Capus treibt seinen Erzählstil des faktentreuen Träumens zu
        neuer Meisterschaft. Heiter und elegant, lakonisch und zart folgt der
        Erfolgsautor aus der Schweiz
        den exakt recherchierten Lebensläufen seiner
        Helden. (Hanser)
        
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"Reisen im Licht der
          Sterne"
        Über die Welt der Schatzsucher, Galgenvögel und Kolonialisten des 19.
        Jahrhunderts - von Alex Capus erzählt.
        Dem jungen Autor Robert Louis Stevenson ist außer dem Abenteuerroman
        "Die Schatzinsel" noch nicht viel gelungen. Gegen jede Konvention
        verliebt er sich in eine verheiratete Frau und reist mit ihr in die
        Südsee. Wie kommt Stevenson an das Geld, sich im Dschungel auf Samoa
        eine fürstliche Residenz zu errichten? Warum trotzt der lungenkranke
        Dichter bis zu seinem Tod dem Tropenklima? Eines ist gewiss: Der
        Verfasser der "Schatzinsel" ist in der Südsee zu Reichtum gelangt, den
        literarische Erfolge kaum erklären können. Alex Capus folgt dem Weg
        zweier Liebender, die in der Südsee vielleicht Piratenschätze fanden,
        vor allem aber leidenschaftliche Jahre lebten. (Hanser)
        
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