Holger Hof: "Gottfried Benn. Der Mann ohne Gedächtnis"

Eine Biografie


Zwischen allen Stühlen

Hinsichtlich Biografien sieht es bei Gottfried Benn gar nicht so schlecht aus. Und doch bringt Klett-Cotta im Jahr des 125. Geburtstags und des 60. Jahrestags der Vergabe des "Büchner-Preises" eine brandneue Biografie auf den Markt, die der langjährige Herausgeber und Mitherausgeber Benn'scher Werke Holger Hof verfasste. Dass Herausgebern im Allgemeinen eine große Expertise zugesprochen werden kann, bestätigt, so viel sei hier vorweggenommen, dieses Buch in vollem Umfang.

Benn war ein schwieriger Zeitgenosse und lebte auch noch in keiner einfachen Zeit. Konnte das gutgehen?, fragt man sich zu Recht. Thilo Koch, wohl einer der ersten Benn-Versteher, schrieb 1957 in seinem vorzüglichen Essay: "Politik hatte ihn in vier 'Reichen' immer als das ganz andere, Feindselige empfunden. Zuerst trug es Wilhelminische Züge, dann republikanische, dann nationalsozialistische, denn 'besatzungsdemokratische'." Das heutige Interesse an Benn bedient zwei unterschiedliche Motive: Benn war einmal ein Dichter, Lyriker und Erzähler, aber auch ein öffentlicher Mensch zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik. Und, wie das vorangehende Zitat andeutet, das zoon politikon Gottfried Benn strauchelte 1933 gewaltig, disqualifizierte sich bei der Nachwelt und bereits 1934 auch bei den Nazis. "Das aber ist deshalb von so großem Interesse, weil die Irrtümer hervorragender Köpfe die Irrtümer einer Epoche sind", schrieb Koch, von dem nun geendet werden soll.

Holger Hof verschont den Leser mit der üblichen legitimatorischen Einführung, die Aufschluss darüber geben soll, was den Biografen zu dem Werk verleitete und was all die bisherigen Biografen nicht sehen wollten oder konnten. Stattdessen präsentiert er Benns wohl schwierigste Zeit zwischen dem heute polnischen Landsberg kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Kriegsende in Berlin. Die Flucht vor den Russen von Landsberg aus in Richtung Westen beendete auf tragische Art auch das Leben von Benns Frau Herta.

Das erste Kapitel schwebt gewissermaßen als ein beständig mahnendes respice finem über dem gesamten Buch. Nachdem der Blick des Lesers auf diesen Nullpunkt Benn'schen Seins gerichtet ist, bewegt sich der Autor entlang der Chronologie dessen Werdens und Schaffens. Das Leben des Sohnes eines gestrengen protestantischen Pfarrers kennt man aus vielen anderen Werdegängen, die überdurchschnittlich oft in literarischer Produktion endeten. "Das Religiöse habe seine Kindheit ausschließlich bestimmt", schrieb er später in "Dichterglaube". Die Mischung aus strengem Glaube, aus Bildung und Askese bildet wohl in schöner Regelmäßigkeit einen schöpferischen Betriebsdruck, der sich ein literarisches Ventil schafft und auch, wie bei Benn, in gelegentlicher Reaktanz endet. Immerhin konnte Benn seinem Vater die Zustimmung abringen, das Theologiestudium zugunsten der Medizin aufgeben zu dürfen. Er studierte von 1905 bis 1910 an der Berliner Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen, Approbation und Promotion erfolgten 1912. Der Beruf inklusive Spezialisierung auf Haut- und Geschlechtskrankheit sollte ihn 40 Jahre lang begleiten, freischaffend und als Militärarzt.

Seine 1912 erschienenen Morgue-Gedichte behandeln expressionistisch und recht unromantisch Szenen der Realität eines Mediziners bei Behandlung und Sektion. Themen und Stil waren neu und schufen reichlich Verwirrung, aber er erarbeitete sich seinen literarischen Rang im Kunstbetrieb, indem er der experimentierenden Avantgarde treu blieb. Arzt und Literat war er, doch politisch uninteressiert, ein "erklärter Antidemokrat", spitzt es Hof zu. Wenn man Arzt und Literat ein Drittes hinzugesellt, wird Benns Position deutlicher: Arzt, Literat und Deutscher. Solange er dieses in Ruhe sein durfte, schien ihn Politik nicht wirklich interessiert zu haben. So wie das Wetter da ist, ohne dass wir dafür Meteorologen zu sein haben. Man konnte angesichts der damaligen Vor- und Zeitgeschichte der Kaiserzeit, des Krieges und der Weimarer Zeit zu einer anderen Grundhaltung dem Politischen gegenüber kommen, viele Intellektuelle taten das auch, aber Benn bewegte sich ohne Widersprüche zwischen den Extremen, wurde von Klaus Mann gar als radikaler Linker eingestuft.

Von 1923 bis 1930 publiziert er im 1921 vom Kunsthändler Alfred Flechtheim gegründeten Magazin "Querschnitt", das von den Nazis später verboten wurde. Einzelne Gedichte auch in der "Weltbühne", im "Simplicissimus". Benn unterschrieb eine "Eingabe gegen das Unrecht des § 175 R. Str. G. B." Der Ruhm als Lyriker wuchs. Die Liste der Frauen, für die Benn schwärmte, sei aber "gigantisch gewesen", schreibt Hof. Dennoch nennt der Autor ihn (in einem Atemzug mit Brecht) keine zwei Seiten später egoman, politisch verdächtig und misogyn. Wäre misanthrop besser? Der Mensch, "das Wesen, das leidet"! Schwer zu sagen. Brecht als Politisierer der Kunst, Benn als Ästhetisierer der Politik.

1932 wurde er als Mitglied in die Akademie der Künste aufgenommen, gleichzeitig bekannte er: "Ich bin ein alter Mann mit konservativen Neigungen, ein Hindenburgwähler." In diesem Jahr erschien auch die völkische Literaturgeschichte von Paul Fechter. Die Akademie war entsetzt und wollte eine Resolution herausgeben, in der vor diesem 800 Seiten dicken Buch gewarnt werden sollte. Heinrich Mann lieferte den Entwurf, den die Akademie erweitern wollte, um der Kulturreaktion zu begegnen. Benn bezog eindeutig Position und unterstützte dies ebenso wie Döblin. Doch die Nazis waren nicht mehr aufzuhalten, und bereits ein Jahr später war die Akademie gleichgeschaltet. Während viele Künstler Akademie und Land verließen, zog sich Benn darauf zurück, dass zu allen Zeiten Kultur existiert habe, auch während und nach Umbrüchen: "Hier ist Geschichte - ertrage sie." Hof schreibt: "Geradezu manisch glaubte Benn, die Zukunft Deutschlands am Horizont sehen zu können und machte sich in einer Art von vorauseilendem Gehorsam an die Abfassung einer Erklärung, die er am Tag, als Joseph Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt wurde, allen Mitgliedern der Akademie zur Beantwortung mit 'Ja' oder 'Nein' vorlegte: Sind Sie bereit, unter Anerkennung der veränderten geschichtlichen Lage weiter Ihre Person der Preußischen Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen? Eine Bejahung dieser Frage schließt die öffentliche politische Betätigung gegen die Regierung aus und verpflichtet Sie zu einer loyalen Mitarbeit an den satzungsgemäß der Akademie zufallenden Aufgaben der Nation." Es antworteten mit "Nein" Ricarda Huch, Alfons Paquet, Alfred Döblin, Thomas Mann, Rudolf Pannwitz, René Schickele und Jakob Wassermann. Bei der nächsten Wahl in der Akademie ging Benn leer aus, an Carl Werckshagen schrieb er: "Schmerzlich ist natürlich die Absage u Trennung in Bezug auf alte liberale Werke u. Personen. Aber das Gesetz der Geschichte ist so völlig klar, m.E., dass kein Zögern möglich ist." Am selben Tag sprach er zwanzig Minuten lang in der Sendung "Welt in der Wende" über den Neuen Staat und die Intellectuellen. Seine Dichterfreunde waren entsetzt. Klaus Mann schrieb ihm, Benns Replik (Antwort an die literarischen Emigranten) wurde am 19. Mai im Rundfunk verlesen (Auszug): "Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates, dessen Glaube einzig, dessen Ernst erschütternd, dessen innere und äußere Lage so schwer ist, daß es Iliaden und Äneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen. Diesem Staat und seinem Volk wünschen Sie vor dem ganzen Ausland Krieg, um ihn zu vernichten, Zusammenbruch, Untergang."

Hierin bündelt sich Benns Tragik, sein intellektueller Sündenfall, der ihn vollends zwischen alle Stühle brachte. Doch es war vergebliche Liebesmüh', denn die Nazis hatten für Benn keinen Platz in ihrem Kosmos vorgesehen. Am 8. März 1938 wurde Benn von Goebbels persönlich mit Wirkung vom 18. März 1938 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was einem Schreibverbot gleichkam. Er rettete sich, wie schon einmal, ins Militär und wurde am Ende Oberstarzt der Wehrmacht.

Zwar nach außen verstummt, schrieb er 1941 einem Monolog, der ihn im Falle des Entdeckens den Kopf gekostet hätte:
Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen -
erwählte Völker Narren eines Clowns,
in Späße, Sternelesen, Vogelzug
den eigenen Unrat deutend! Sklaven -
aus kalten Ländern und aus glühenden,
immer mehr Sklaven, ungezieferschwere,
hungernde, peitschenüberschwungene Haufen:
dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum,
der grindige, zum Barte des Propheten!


Die Nachkriegszeit schildert Hof als ausgesprochen schwierig. Der "Spezialist für Häutungen aller Art" steht wieder vor einem Neubeginn. Am 26. September 1945 nahm er an der ersten Sitzung der Akademie der Künste teil. In einem Brief an seinen langjährigen Förderer und Briefpartner Oelze schrieb er: "1933 wurden die Mitglieder auf Befehl der Faschisten gestrichen, heute auf Befehl der Antifaschisten, kommen morgen die Katholiken an die Macht, hängen wir eine Madonna an die Wand u. legen Rosenkränze vor die Sitzungsteilnehmer - also: entweder es giebt die Kunst, dann ist sie autonom, oder es giebt sie nicht, dann wollen wir nach Hause gehen." Zwei Bücher Benns landeten in diesen Tagen auf dem Index der "Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone": "Kunst und Macht" sowie "Der neue Staat und die Intellektuellen", was einen Neustart in Deutschland erschwerte. Der Züricher Arche Verlag brachte 1948 die "Statischen Gedichte" heraus, die aktuell wieder im Verlagsprogramm sind. Die Wiederkehr nahm Fahrt auf.

In einem Brief an den Herausgeber des "Merkurs" Hans Paeschke schrieb Benn: "Das Abendland geht nämlich meiner Meinung nach gar nicht zugrunde an den totalitären Systemen oder den SS-Verbrechen [...], sondern an dem hündischen Kriechen Seiner Intelligenz vor den politischen Begriffen." Paeschke nannte das "Verantwortung des Geistes". Man ist geneigt, dies als späte, aber vollständige Einsicht zu interpretieren, doch in einem Gespräch mit Peter de Mendelssohn rechtfertigte Benn allen Ernstes wieder sein Pamphlet an die Exilanten an der Riviera.

Das Interesse an Benn wuchs, "schärfer und wahrer als Thomas Mann" sei er. In "Doppelleben" rechnete er mit sich ab. 1950 wurde er in die "Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung" in Frankfurt aufgenommen. 1951 vergab diese Akademie erstmalig den "Büchner-Preis" an einen Dichter, "der, streng und wahrhaftig gegen sich selbst, in kühnem Aufbruch seine Form gegen die wandelbare Zeit setzte und in unablässigem Bemühen, durch Irren und Leiden reifend, dem dichterischen Wort in Vers und Prosa eine neue Welt des Ausdrucks erschloss." Das klingt deutlich nach Benn. Der antwortete in seiner Dankesrede: "Die Zeiten und Zonen liegen nahe beieinander, in keiner ist es hell, und erst nachträglich sieht es aus, als ob die Worte auf Taubenfüßen kamen. Wenn die Epochen sich schließen, wenn die Völker tot sind und die Könige ruhen in der Kammer, wenn die Reiche vollendet liegen und zwischen den ewigen Meeren verfallen die Trümmer, dann sieht alles nach Ordnung aus [...], aber es war einst alles ebenso erkämpft, behangen mit Blut, mit Opfern gesühnt, der Unterwelt entrissen und den Schatten bestritten." Ein Journalist charakterisierte ihn so: "Gottfried Benn, den Dichter und Essayisten - immer und überall zwischen den Stühlen, Nihilist aus Überzeugung, Expressionist aus Stilempfinden und Lust am Fragmentierten und Schockieren."

Gottfried Benn macht es dem heutigen Leser nicht leicht, Mann und Zeit zu begreifen. Ein Urteil ist schnell gesprochen, wenn man sein Wissen inklusive zweifelsfreier Deutungsmuster ex post beziehen kann. Zumal die Nazizeit eine ausgeprägt normative moralische Wirkung hatte. Wie viel Irrtum ist erlaubt? Bei Carl Schmitt ist die Lage eindeutig, doch bei Benn oder Heidegger? Es bedarf eines kundigen Führers, um überhaupt eine Chance hierzu zu haben. Holger Hof ist in dem vorliegenden Werk dieses Kunststück gelungen, den Leser Benn in 70 ungemein ereignisreichen Jahren zwischen 1886 bis 1956 erahnen zu lassen. In einer gelungenen Mischung aus Erzählung, Werk- und Briefzitaten zeichnet sich Benn am Ende vor der Folie der Epochen ab, die er durchlebte. Man muss sich allerdings Zeit lassen und die Kapitel gar mit einer parallelen Werkschau anreichern.

Der Aufbau des Buches folgt zwar im Wesentlichen der Zeitachse, doch einzelne Themen, wie die Zusammenarbeit mit Hindemith, verlassen die strengen Regeln Spuren der Chronologie. Doch wie weit treibt man das? Welches Thema verdient eine thematische Verdichtung, welches nicht? Nach Ansicht des Rezensenten hätte Benns Verhältnis zur "Preußischen Akademie der Künste" eine solche thematische Sonderrolle verdient.

Man wünscht Benn eine Renaissance in unseren Tagen. Klett-Cotta hat mit dieser Biografie und der Werkausgabe ideale Voraussetzungen hierzu geschaffen. Wem die siebenbändige Werkausgabe zu umfangreich ist, der kann sich mit einer kleinen Auswahlreihe begnügen, die auch schon viel Benn preisgibt.

(Klaus Prinz; 11/2011)


Holger Hof: "Gottfried Benn. Der Mann ohne Gedächtnis. Eine Biografie"
Klett-Cotta, 2011. 539 Seiten.
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Holger Hof ist Herausgeber der letzten beiden Bände der Stuttgarter Ausgabe der Werke Benns. Er hat den Briefwechsel Benns mit dem "Merkur" und die Korrespondenz zwischen Benn und Ernst Jünger herausgegeben. Hof lebt als freier Autor und Herausgeber in Berlin.

Weitere Buchtipps:

Marcus Hahn: "Gottfried Benn und das Wissen der Moderne. Band 1: 1905-1932"

Die komplexe Bezugnahme und Anverwandlung von Wissensbeständen der Moderne im Werk Gottfried Benns.
"Der Lyriker kann gar nicht genug wissen", heißt es apodiktisch in Gottfried Benns Marburger Poetologie-Vortrag "Probleme der Lyrik", der nicht von ungefähr in einem Universitätshörsaal gehalten wurde: "Man muss dicht am Stier kämpfen, sagen die großen Matadore, dann vielleicht kommt der Sieg." Marcus Hahn zeichnet Benns Stierkampf mit dem Wissen der Moderne bis zum Jahr 1932 minutiös nach. Auf den Spuren des wütenden Wissenschaftskritikers, aber auch virtuosen Wissenschaftskompilators Benn unternimmt er eine Serie aufwendiger literatur- und kulturwissenschaftlicher Expeditionen in die Hirnforschung, in die Anatomie, in die Psychologie, in die Biologie, in die Psychiatrie und in die Anthropologie der Moderne. Erstmals wurde in dieser Studie der wissenschaftliche Teil der Nachlassbibliothek Benns systematisch ausgewertet. (Wallstein Verlag)
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"Gottfried Benn - Thea Sternheim. Briefwechsel und Aufzeichnungen. Mit Briefen und Tagebuchauszügen Mopsa Sternheims"
Herausgegeben von Thomas Ehrsam

Das bewegende Zeugnis einer tiefen und lebenslangen Freundschaft, unterbrochen nur im Dritten Reich, als sich die Wege der Emigrantin und des Daheimgebliebenen abrupt, wenn auch nur vorübergehend trennen.
Noch ein Liebesbriefwechsel Gottfried Benns? Nein, die lebenslange Freundschaft Benns (1886-1956) mit Thea Sternheim (1883-1971) war keine erotische, sie basierte vielmehr auf gegenseitigem Vertrauen und Verehrung. Verehrung für den Dichter und einen der "wenigen Menschen, die ein inneres Leben führen" hier, Verehrung für die kluge und allem Schöpferischen offene "grande dame" dort. Private Katastrophen und nicht weniger katastrophale politische Bekenntnisse sorgen allerdings dafür, dass es nicht bei Verbeugungen bleibt.
Die Beziehung beginnt für die Pazifistin Thea Sternheim mit einer Irritation: Der Dichter, der 1917 den Dramatiker Carl Sternheim und seine Frau in Brüssel erstmals besucht, erweist sich als preußisch strenger Militärarzt, der den Krieg als Fakt hinnimmt, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen. "Wie kommt", fragt sich die Gastgeberin, "sein Wortschatz so ins Blühen?"
In den zwanziger Jahren ist Benn mit Thea Sternheims Familie gleich mehrfach verbunden: Ihre Tochter Dorothea (Mopsa, 1905-1954) hat eine kurze und unglückliche, lebensbestimmende Affäre mit ihm; der zunehmend größenwahnsinnige und schließlich zusammenbrechende Carl Sternheim (1878-1942) wird von Benn ärztlich betreut. Sie selbst findet in ihm den Vertrauten ihrer familiären Krisen. 1933 aber, als Benn den Nationalsozialismus begrüßt, bricht die bereits nach Paris emigrierte Partnerin jeden Kontakt brüsk ab - und nimmt ihn dann doch nach dem Krieg wieder auf. Benn reagiert sofort und dankbar mit langen und ergreifenden Briefen über Kriegsjahre und seine Situation im zerstörten Berlin. Die alte Freundschaft beginnt von Neuem; er bringt Thea Sternheims Roman bei seinem Verlag unter und spricht mit ihr über das Thema einer seiner letzten Reden: "Altern als Problem für Künstler".
In den Briefwechsel - er umfasst je etwa 70 Schreiben - sind die Tagebuchaufzeichnungen Thea Sternheims zu Benn eingefügt, die Zeugnis ablegen von einer kritischen Bewunderung, die auch dann nicht aufhört, als die politische Auseinandersetzung zur Abrechnung wird. Ergänzt wird der Band durch die Tagebuchnotizen Mopsa Sternheims zu Benn. (Wallstein Verlag)
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Gottfried Benn: "Sämtliche Gedichte in einem Band"
Der vorliegende Band enthält sowohl die zu Lebzeiten Benns gedruckten Gedichte als auch die nachgelassenen Lyrika.
Benns Dichtung hat die Themen des europäischen Nihilismus in einer Sprache formuliert, deren Faszinationskraft bis heute nicht verblasst ist. 1912 tritt er mit den schockierend zynischen Gedichten der "Morgue" an die Öffentlichkeit, den Primat der Ratio und der Geschichte radikal verwerfend. Zwischen den Kriegen wird die wilde Formlosigkeit des Anfangs durch Metrum und Reim abgelöst, durch einen Stil, in dem das "lyrische Ich" der Formtradition folgt. Benns Gedichte bannen das Material der Geschichte in Chiffren, die sich zum "Valse triste", zum Abschiedsgestus, zur Lebensstimmung des "Aprèslude" fügen. Seine Ästhetik, die gegen die finale Lage ihrer Epoche die "Transzendenz der schöpferischen Lust" setzt, hat bis in unsere Tage unabsehbare Wirkung auf die deutsche Literatur gehabt. (Klett-Cotta)
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"Gottfried Benn, Ernst Jünger: Briefwechsel 1949-1956"
"Zweite Botschaft an Gottfried Benn. Die erste vor dreißig Jahren hat ihn nicht erreicht." Ernst Jünger, 1949
Dieser kleine Austausch zweier großer Autoren der literarischen Moderne, die im Feuilleton so gern in einem Atemzug genannt werden, kreist um die Themen ihrer Bücher, um Drogen, das Reisen und kulturpolitischen Klatsch. Er ist aber auch das Dokument der Empfindlichkeiten und der Konkurrenz zweier sprachlich und gedanklich eminent radikaler Autoren, die uns noch heute erstaunen.
"Wir sind von außen oft verbunden, /
wir sind von innen meist getrennt, /
doch teilen wir den Strom, die Stunden /
den Ecce-Zug, den Wahn, die Wunden /
des, das sich das Jahrhundert nennt."

Dieses berühmte Gedicht Gottfried Benns ist überschrieben: "An Ernst Jünger". Es ist wohl der künstlerische Kulminationspunkt einer Beziehung, die mit einem Brief Jüngers Anfang der zwanziger Jahre begann: Jünger hatte damals Benns "Rönne"-Prosa bewundert. 1949 dann beginnt eine schriftliche Annäherung Jüngers an den bewunderten Dichterkollegen. Im Lauf der nächsten sechs Jahre, bis zu Benns Tod im Juli 1956, wechseln die beiden ca. 50 Briefe, Telegramme, Postkarten und Widmungsexemplare. Im Mai 1952 kommt es zum einzigen persönlichen Zusammentreffen in Benns Wohnung, Berlin Schöneberg. Dieser Abend, an dem auch der Cognac reichlich fließt, ist in einer hinreißenden Passage der "Annäherungen" Jüngers beschrieben. (Klett-Cotta)
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