Ap Dijksterhuis: "Das kluge Unbewusste"

Denken mit Gefühl und Intuition


"Wenn ich eine unwichtige Entscheidung treffen muss, halte ich es für sinnvoll, alle Vor- und Nachteile abzuwägen. Bei sehr wichtigen Entscheidungen jedoch muss die Entscheidung aus dem Unbewussten kommen, aus etwas in uns selbst." (Sigmund Freud)

Denken mit Gefühl und Intuition

Wenn Hirnforscher Gerhard Roth das Vorwort zu einem Buch verfasst, dass von einem Sozialpsychologen stammt, muss dieser ein grenzüberschreitendes Thema aufgearbeitet haben - und so ist es auch. Im Kern geht es um Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten von Menschen, die Ap Dijksterhuis und seine Kollegen im Jahr 2006 durchgeführt haben. Sie führen zu dem Ergebnis, dass wir bei wichtigen Entscheidungen stärker auf das Unbewusste und weniger auf das Bewusstsein vertrauen sollten. Eine Denkpause kann Wunder bewirken, denn das Unbewusste ist kontinuierlich aktiv und befördert zu nicht prognostizierbaren Zeitpunkten Lösungen in unser Bewusstsein.

Im ersten Kapitel relativiert Dijksterhuis die Bedeutung des Bewusstseins. Wer hätte gedacht, dass der Mensch unbewusst 200.000 mal soviel Informationen verarbeiten kann wie bewusst. Descartes insistierte seinerzeit, dass jede mentale oder psychische Aktivität bewusst stattfindet - ein gewaltiger Irrtum.

Autor Dijksterhuis unterscheidet das moderne Unbewusste vom Freudschen Unbewussten. Das Unbewusste ist kein Sammelbecken für infantile, tierische Triebe und traumatische Erinnerungen. Auch das modernere Bild vom Butler (Unbewusste) und dem Hausherrn (Bewusstsein) trifft nicht den Nagel auf den Kopf, es sei denn man akzeptiert, dass der Butler oft klüger ist als der Hausherr und diesen von Zeit zu Zeit über das Endergebnis der Denkarbeit informiert.

Der Mensch verfügt über eine unbewusste Wahrnehmung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Bewusstseins (subliminale Wahrnehmung). So ist er in der Lage, extrem kurz eingeblendete Bilder unbewusst zu registrieren. Dieses Phänomen haben sich in vergangenen Jahrzehnten Politiker und Geheimdienste, aber auch Werbefachleute und Filmemacher zunutze gemacht und mit Werbe- oder Schockeinblendungen im Millisekundenbereich experimentiert. Unklar ist, ob Menschen auf diese Weise, zum Beispiel in ihrem Konsumverhalten, manipuliert werden können. Dijksterhuis relativiert im dritten Kapitel seines Buches den Einfluss subliminaler Wahrnehmung: "Natürlich hat sie einen gewissen Einfluss, doch die Behauptung, in ihr schlummerten ungeahnte Möglichkeiten der Einflussnahme, muss ins Reich der Märchen verwiesen werden."

Auf der anderen Seite thematisiert Dijksterhuis im siebten Kapitel, dass Menschen einander unbewusst nachahmen und dass es eine direkte Beziehung zwischen Wahrnehmung und Verhalten gibt. Gibt es dann nicht doch eine Beeinflussung durch unbewusste Wahrnehmung? Die Grenzen der Beeinflussungsmöglichkeiten bleiben unscharf.

Dijksterhuis unterscheidet schnelle Entscheidungen (ohne Nachdenken), unbewusste Entscheidungen (man informiert sich und schläft eine Nacht darüber) und bewusste Entscheidungen, bei denen die Fakten bewusst analysiert werden. Bei komplexen Entscheidungen rät er zu unbewussten Entscheidungen. Das Bewusstsein ist einfach nicht mächtig genug, sämtliche relevanten Fakten zu analysieren. Diese Aufgabe kann das Unbewusste viel besser übernehmen.

Wenn es darum geht, wie unser Verhalten gesteuert wird, dürfen Ausführungen zum freien Willen nicht fehlen. Dijksterhuis erläutert das Libet-Experiment, durch welches deutlich wird, dass Handlungen im Gehirn bereits vorbereitet werden, erkennbar am sogenannten Bereitschaftspotenzial, bevor der Proband die bewusste Entscheidung für diese Handlungen getroffen hat. Handlungen werden also unbewusst eingeleitet. Während die Faktenlage eindeutig ist, streiten die Wissenschaftler über die Interpretation dieses für Psychologie und Hirnforschung wichtigen Experimentes. Ist der freie Wille eine Illusion? Dijksterhuis erläutert auf verständliche Weise einige Erklärungsmodelle.

Einen wunderbaren Abschluss bringt Dijksterhuis im neunten Kapitel, in dem er der Frage nachgeht, ob das Bewusstsein nutzlos ist. Ist es das? - Die Antwort kann sich jeder selbst geben oder aber bei Dijksterhuis nachlesen.

Es ist nicht alles neu, was Dijksterhuis schreibt. So ist es zum Beispiel kein Geheimnis, dass es bei schwerwiegenden Entscheidungen sinnvoll ist, eine Nacht darüber zu schlafen. Auch ist allgemein bekannt, dass Kreativität aus dem Unbewussten kommt. Aber Dijksterhuis fabuliert nicht, sondern begründet, warum das so ist. Seine Ausführungen sind mit Experimenten plausibel belegt, seine Beispiele und die Beschreibungen seiner Versuchsszenarien sind anschaulich, und die Sprache ist verständlich. Die Leser werden nicht mit Fachbegriffen überfordert. Wer einen aktuellen Überblick über die Forschungen zum Unbewussten haben möchte, sollte das Buch lesen.

(Klemens Taplan; 03/2010)


Ap Dijksterhuis: "Das kluge Unbewusste. Denken mit Gefühl und Intuition"
Mit einem Vorwort von Gerhard Roth.
Aus dem Niederländischen von Hildegard Höhr.
Klett-Cotta, 2010. 252 Seiten.
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Dr. Ap Dijksterhuis ist Professor für Sozialpsychologie an der Radboud Universität Nijmegen in Holland. Er war Research Fellow der Royal Dutch Academy of Arts and Science in Amsterdam und ist Herausgeber des "European Journal of Social Psychology". Berühmt wurden seine Forschungen über die Rolle des Unbewussten bei Entscheidungsprozessen, der sogenannten Theorie des unbewussten Nachdenkens.

Noch ein Buchtipp:

Merlin Donald: "Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes"

Wie ist es zu erklären, dass unser Gehirn dem anderer Primaten so stark ähnelt und ihm doch so dramatisch überlegen ist? Warum stattet unser Hirn das Zentrum unseres Ichs mit so viel Autonomie und autobiografischem Vermögen aus? Donald zeigt die Vielschichtigkeit des Bewusstseins auf und erläutert, wie es sich auf der Grundlage der Kultur entwickeln konnte.
Für den Autor ist der menschliche Geist ein hybrides Produkt, in dem Materie, nämlich unser Gehirn, mit einem unsichtbaren symbolischen Gewebe, nämlich der Kultur, verwoben ist, woraus ein weit verzweigtes kognitives Netzwerk entsteht. Allein dieser hybride Charakter unseres Geistes ermöglichte es der menschlichen Spezies, die Grenzen zu überschreiten, denen die übrigen Säugetiere unterworfen sind. (Klett-Cotta)
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