Bernt Ture von zur Mühlen: "Hoffmann von Fallersleben"

Biografie


Ein großer Sprachforscher und ein Dichter politischer Lieder

Bei Heinrich Hoffmann von oder besser aus Fallersleben stößt man auf eine enge Beziehung zwischen Name und Geburtsort, die man sonst nur bei Figuren aus dem Mittelalter kennt. Fallersleben ist mit Heinrich Hoffmann so eng verbunden wie Hochheim mit Meister Eckhart oder Bern mit der Sagengestalt Dietrichs. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man bei dem klingenden Namen auch bereits das gesamte Bild vor Augen hat. Hoffmann von Fallersleben assoziiert man noch leicht mit dem Lied der Deutschen, dass er aber auch ein Forscher von Weltrang war und die universitäre Germanistik wesentlich zu etablieren verhalf, dürfte hingegen deutlich Wenigeren bewusst sein. Und hier möchte der Autor mit seiner Biografie Abhilfe schaffen.

Der 1798 im niedersächsischen Fallersleben geboren Heinrich Hoffmann studierte auf des Vaters Wunsch in 1816 Göttingen zuerst Theologie, wechselte jedoch bereits im Wintersemester zu Philologie und Altertumskunde. Sein Professor Friedrich Gottlieb Welcker, dem er 1819 nach Bonn folgte, weckte seine Interesse für Winckelmann und seine Themen, doch eine Begegnung mit Jacob Grimm in Kassel entflammte in Heinrich Hoffmann das lebenslange Interesse an den modernen Sprachwissenschaften und der Literaturgeschichte. Erste Berühmtheit erlangte er aber in der Niederlandistik, die er mitbegründete. Das brachte ihm 1823 die Ehrendoktorwürde der Universität Leiden ein. In diesem Jahr 1823 trat er auf Vermittlung des Freiherrn von Meusebach auch die Stelle eines Kustos bei der Centralbibliothek in Breslau an. 1830 erhielt er die außerordentliche Professur für Deutsche Sprache und Literatur in Breslau und 1835 die ordentliche Professur, die auch mit einem Doktor der Philosophie verbunden war.

Im März 1840 expedierte er seine "Unpolitischen Lieder" an Julius Campe in Hamburg, die nach ihrem Erscheinen gerade wegen ihrer politischen Brisanz in diesen aufgeheizten Tagen reißenden Absatz fanden. 1841 reiste er zur Badekur nach Helgoland, wo er auf der "Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah", das Deutschlandlied dichtete, Haydns Hymnus "Gott erhalte Franz, den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz!" damals bereits im Kopf. Doch die "Unpolitischen Lieder" entfalteten ihre Wirkung, und im April 1842 erhielt Hoffmann seinen Suspendierungsbescheid als Professor aus preußischen Diensten, denn der zweite Band der "Unpolitischen Lieder" hatte den preußischen Apparat auf Hochtouren gebracht. Und so wurde aus einem Ordinarius für Deutsche Literatur ein freischaffender, politisch vorbelasteter Schriftsteller. In Fallersleben wäre er sogar fast verhaftet worden, der "Auftakt einer fast zwanzig Jahre währenden Geschichte von Beschattung, Bedrohung, Flucht und Verfolgung in zahlreichen deutschen Ländern". In den folgenden Jahren reiste er kreuz und quer durch das Land und wurde nahezu überall richtiggehend gefeiert, seine Bücher verkauften sich prächtig, und er verdiente sehr gut.

Er war in diesen Jahren zur Galionsfigur des politischen Widerstands geworden. 1848 formulierte er mit Rudolf Müller aus dem Mecklenburger Kreis zusammen die später in Hamburg gedruckten "20 Forderungen des mecklenburgischen Volkes", in denen aktives und passives Wahlrecht, Vereins- und Versammlungsrecht, Reform der Justiz, unbedingte Pressefreiheit, Steuerreform sowie die Reform von Militär, Verwaltung und Schulwesen eingefordert wurden. Doch als in Berlin die Kandidaten für das Frankfurter Paulskirchenparlament nominiert wurden, lehnte er eine Nominierung ab, wofür der Autor aber aus zwei Gründen Verständnis zeigte. Zum Einen fehlte Hoffmann nach der am 7. April 1848 festgelegten Wahlordnung eine formale Voraussetzung, denn Kandidaten mussten selbstständige Staatsangehörige eines Bundeslandes sein, was er als Gutsinsasse von Buchholz nicht gewesen sein konnte. Zum Zweiten sei er durch seine hypermotorische Veranlagung zeit seines Lebens nicht in der Lage gewesen, länger als ein paar Minuten stillzusitzen und zuzuhören, was ihn wohl als künftigen Parlamentär nicht sonderlich geeignet erscheinen ließ.

1854 übersiedelte er nach Weimar, um dort im Auftrag des Fürstenhofs Literarische Jahrbücher zu erstellen. Am 1. Mai 1860 übernahm er in Corvey das Amt des Bibliothekars in der Bibliothek des Herzogs von Ratibor und Fürsten von Corvey, wo er 1874 starb.

Das sind die Eckdaten seines Lebens, die uns der Autor Bernt Ture von zur Mühlen mit großem Geschick präsentiert. Man lernt auch den Menschen ein wenig kennen, einen oft schwierigen Zeitgenossen. Sein Mentor Freiherr von Meusebach charakterisierte ihn einst so: "Rechthaberisch, arrogant, herablassend, eingebildet, engstirnig und borniert, aber auch phantasiebegabt, begeisterungsfähig, fleißig und kenntnisreich im Gebiet der altgermanischen Literatur." Höflichkeit und kultivierte Umgangsformen setzte er dem Autor zufolge mit Anpassung und Unterwürfigkeit gleich. Lassen wir zur Mühlen ein abschließende Einschätzung aussprechen: "Bis heute sind 'Kuckuck, Kuckuck ruft's aus dem Wald', 'Ein Männlein steht im Walde', 'Winter, ade!', 'Alle Vögel sind schon da', 'Auf unsrer Wiese geht was' und 'Morgen, Kinder, wird's was geben' bei Literaturunkundigen wie bei Literaturkundigen oft die einzigen literarischen Texte, die sie auswendig kennen. Die meisten werden gar nicht wissen, dass es die Lieder aus der Feder des Dichters und Sprachforschers Hoffmann von Fallersleben sind."

Auf etwas mehr als 350 Seiten zeichnet Bernt Ture von zur Mühlen ein nachhaltiges Porträt eines ungemein fleißigen Sprachforschers und eines Dichters von Volksweisen und politischen Liedern. Das deutsche 19. Jahrhundert ist in seiner politischen Entwicklung von den Duodezfürstentümern über Napoleon, den Wiener Kongress, Burschenschaften, Revolution, Paulskirche bis zu Bismarck und dem fatalen Nationalismus nicht nur politisch, sondern stets auch in literarischer Weise nachzuzeichnen. So harrt zwischen Schiller und Hermann Hesse auch ein Heinrich Hoffmann von Fallersleben seiner Entdeckung. Dieses Buch bietet einen sehr empfehlenswerten Einstieg zu diesem bedeutenden Forscher und Dichter des 19. Jahrhunderts, in bester Aufmachung und ausgezeichnet lektoriert.

Der Anhang enthält Anmerkungen, Zeittafel, ein chronologisches Werkverzeichnis, Literaturverzeichnis und Personenregister.

(Klaus Prinz; 10/2010)


Bernt Ture von zur Mühlen: "Hoffmann von Fallersleben. Biografie"
Wallstein Verlag, 2010. 405 Seiten.
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Bernt Ture von zur Mühlen, geboren 1939, Gymnasiallehrer und Dozent für Literatur- und Verlagsgeschichte an der Deutschen Buchhändlerschule in Frankfurt am Main. Zahlreiche buchwissenschaftliche Publikationen.