Eduard von Keyserling: "Dumala"


Wenn ein Pastor die Leidenschaft verspürt ...

Dieser im Jahr 1908 erstmals erschienene Roman des 1855 auf Schloss Paddern im Kurland als Sohn einer deutschstämmigen Adelsfamilie geborenen und 1918 in München verstorbenen Eduard von Keyserling ist ein sehr dichtes, psychologisch feines Bild eines Menschen, der, obwohl er sich mit größter Vehemenz dagegen wehrt, der Leidenschaft erliegt und dadurch fast einige Leben zerstört.

Erwin Werner; der gottestreue, gutaussehende, mit einer hübschen Frau gesegnete und mit schönem vollen Bariton ausgestattete Pastor von Dumala, einer kleinen Stadt im Baltikum, lernt bei seinen Hausbesuchen die aufregend schöne Baronin Karola kennen, die ihren bettlägerigen Mann selbstlos betreut.

In seiner Ehe eigentlich unglücklich, ist er rasch von der scheinbar lebensfrohen und so anders blühenden Karola fasziniert. Er verfällt er ihr immer mehr und ist bald Teil eines Trios um Karola buhlender Männer, das vom "unmäßigen Weiberkonsumenten" Baron Rast und dem schüchternen und devoten Pagen Pichwit komplettiert wird. Er spürt ihre prinzipielle Offenheit zu einer außerehelichen Verwicklung und wird von Eifersucht aufgezehrt, als er merkt, dass der Frauenheld Baron Rast durch Entschlossenheit und humorvolles Auftreten Karolas Gunst erobert hat.

Subtil deutet Keyserling die emotionelle Verbundenheit des Pastors an, melancholisch fügen sich so alle Teile zu einem harmonischen Ganzen zusammen.
"Werner stand noch eine Weile da und schaute dem Schlitten, dem Wehen des blauen Schleiers auf dem Fischottermützchen nach, er schützte die Augen mit der Hand vor der Sonne, um länger und besser sehen zu können."

Durch einen Hinweis entdeckt er des Barons nächtliche Kutschenfahrten zur Residenz Karolas und beobachtet, frierend und sich verzehrend, das hinter geschlossenen Vorhängen stattfindende Treiben vom Hof des Guts Werland aus.

Als einzige Rettungsmöglichkeit sieht er den inszenierten Tod seines Kontrahenten; ein Tötungsversuch, der zu einer moralischen Zerreißprobe für den Geistlichen wird. Psychologisch und literarisch großartig die Szene, in der die beiden, Pastor Werner und der Baron Rast, ihre Positionen in einem Gasthaus klären. Ein glaubwürdiger und unerbittlicher Dialog, in dem keiner der beiden Männer nachgibt und Pastor Werner einsehen muss, dass er seine leidenschaftlichen Gefühle zurückstecken muss und seine einzige Hoffnung nur die moralische Rettung der Baronin Karola sein kann, die nun mit Rast durchgebrannt ist und ein neues Leben in Italien gestalten möchte.

Keyserlings klare, feine und immer der Entwicklung des Romans dienende Sprache ist bestechend präzis. Jeder Dialog, jedes Wort ist wichtig für die weitere Entwicklung. "Dumala" ist ein winterlich trauriges Buch, das in vielen abwechslungsreichen Weißtönen gehalten ist und kompromisslos auf das den damaligen Konventionen überhaupt nicht entsprechende Ende zutreibt.

"Dumala" ist ein kleines literarisches Meisterwerk.

(Roland Freisitzer; 12/2009)


Eduard von Keyserling: "Dumala"
dtv, 2009. 128 Seiten.
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