Thomas Rosenboom: "Der Nachfolger"


Dramatischer Familienroman

Berend Bepol hat von seinem Vater zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine blühende Werft in den Niederlanden übernommen und führt diese zunächst erfolgreich weiter. Doch der allgemeine wirtschaftliche Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg macht auch vor Bepols Firma nicht halt, zumal Bepol, wie viele andere Werfteigner in der unmittelbaren Umgebung, nicht den Weitblick besitzt, sich auf die neuen Anforderungen des internationalen Marktes einzustellen.

Bepol ist mittlerweile jenseits der sechzig und sucht nach einem Nachfolger, mit dem er seine Tochter verheiraten kann, die keine Schönheit ist, aber angesichts der beträchtlichen Mitgift auch nicht unattraktiv. Er hält seinen Werkmeister Niesten für den geeigneten Mann, Niesten, der, früh verwaist, schon als Junge für ihn gearbeitet hat, und der ihm doch immer fremd und ein wenig unheimlich geblieben ist.

Niesten lässt sich zunächst nicht von dem Angebot begeistern, nimmt es dann aber doch an. Bepol, von sich selbst überzeugt, in der Gewissheit, ein guter Schwiegervater und Seniorchef zu sein, überschüttet Niesten mit aufdringlichen Großzügigkeiten und ärgert sich darüber, dass dieser, stolz und innerlich unabhängig, scheinbar wenig Dankbarkeit zeigt. Auch Niestens Ehe scheint einen eigenartigen Verlauf zu nehmen.

Je mehr sich Bepol aufdrängt, desto mehr distanzieren sich Niesten, Bepols Tochter und sogar seine eigene Ehefrau von ihm. Bepol reagiert mit einem sonderbaren Neid, als der Jüngere Neuerungspläne ausbreitet, die sich direkt an den Erfordernissen der Wirtschaft und nicht an der Tradition ausrichten. Als Bepol Niesten spöttisch drängt, doch einen Auftrag zu besorgen, kehrt dieser in der Tat mit einem, wenn auch außergewöhnlich abgefassten, Vertrag zurück, dem bemerkenswertesten Auftrag, den Bepols Werft je erhalten hat, und den sie zum Überleben dringend benötigt.

Niesten wird dadurch für Bepol jedoch endgültig zum Konkurrenten, zum Feind. Der Alte behindert den Schwiegersohn bei der Ausführung nach besten Kräften. Anlässlich des Stapellaufs entwickelt der Kampf zwischen den Männern schließlich eine zerstörerische Eigendynamik.

Dieses Buch lebt vor allem vom Gegensatz zwischen den beiden Protagonisten, dem sich selbst als großzügig, humorvoll und leutselig, gar vom Sozialismus angehauchten Vater seiner Belegschaft empfindenden, dabei unerträglich selbstverliebt und ständig mit Phrasen und Worthülsen Belangloses, Geschmackloses, für andere Verletzendes von sich gebenden Bepol und dem schweigsamen, introvertierten, stolzen und unbeugsamen Niesten, der die ihm aufgezwungenen Wohltaten gar nicht möchte und schließlich, als er seinen Beitrag zum Erfolg, ja, zur Erhaltung der Firma leisten könnte, von Bepol schmählich im Stich gelassen wird. Selbst dann gibt Niesten, seiner Natur gemäß, nicht auf.

Alles läuft auf das Finale hin, das der Autor ohne Effekthascherei unglaublich dramatisch konzipiert und ausgeführt hat - als grotesken Kampf eines Mannes, Niesten, an zwei Fronten: gegen die Urgewalt der von ihm ursprünglich mit leichter Hand gemeisterten Technik und gegen die Feindschaft und den Spott des Schwiegervaters.

Die anderen Figuren bleiben als zweidimensionale Silhouetten im Hintergrund, treten nur hin und wieder ergänzend, die Handlung vorantreibend oder Details klärend, nach vorn.

Sehr authentisch schildert der Autor die Hintergründe dieser spannenden, von zunächst subtiler, sich dann immer mehr der Entladung nähernder psychischer Gewalt geprägten Geschichte: die Blüte der niederländischen Werften unmittelbar vor dem Weltkrieg und ihr rascher Niedergang danach. Er versteht es, Stimmungen einzufangen und den seltsamen Wahn glaubwürdig entstehen zu lassen, dem Bepol erliegt.

Ein packender Roman, der vielleicht ein wenig ruhig anläuft, den man aber bald nicht mehr aus der Hand legen möchte!

(Regina Károlyi; 05/2009)


Thomas Rosenboom: "Der Nachfolger"
(Originaltitel "De nieuwe man")
Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas.
DVA, 2009. 346 Seiten.
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Thomas Rosenboom, geboren am 8. Jänner 1956, ist einer der bedeutendsten Autoren der Niederlande. Er wurde schon vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Den "Librispreis", die wichtigste literarische Auszeichnung der Niederlande, erhielt er als einziger Autor sogar zweimal: für "Das Liebeswerk" und "Neue Zeiten".

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Tango"

Han fängt an, Tango zu tanzen, weil er noch nie geküsst hat. Ausgestattet mit dem Rat, fordere niemals eine Dame auf, die deinen Blick nicht erwidert, besucht er schließlich einen der Salons Amsterdams. Er blamiert sich schrecklich, so dass er am Ende alleine und in sich gekehrt zwischen den Paaren tanzt. Doch dann tanzt Esther mit ihm.
Der Roman erzählt die Liebe von Esther und Han. In einem Wechsel von Anziehung und Zurückweichen entwickelt sich eine Leidenschaft. Am Ende verliert Han Esther, weil er sich zu sehr an sie hängt. Er hat zwar seinen Konkurrenten besiegt, doch mit dieser Frau kann er nicht Schritt halten. (DVA)
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Maarten Asscher: "H2Olland. Wie die Niederländer das Meer besiegten"
Ein vergnügliches und geistreiches Buch über das Element, das die Niederlande erst zu dem macht, was sie sind: das Wasser. Wie lebt es sich in einem Land, das nicht nur zu einem Fünftel aus Wasser besteht und im Durchschnitt 800 Liter Regen pro Quadratmeter im Jahr zu erwarten hat, sondern auch am Meer und zu einem großen Teil unter dem Meeresspiegel liegt? Dass die Bewohner der Niederlande eine besondere Beziehung zum nassen Element entwickelt haben, kann da nicht verwundern. Höchst amüsant und geistreich erzählt Maarten Asscher von seinen Landsleuten, von ihrem Kampf gegen das Wasser und wie es seit Jahrhunderten ihr Leben prägt. (Sammlung Luchterhand)
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"Neue Zeiten"
Der Roman spielt an der Schwelle zu einer neuen Epoche, erzählt vom Wandel der Zeiten, der die Menschen in Unruhe, aber auch in einen Taumel der Euphorie versetzt - eine großartige Parabel über das menschliche Scheitern gelungen.
Amsterdam 1888. Der Aufschwung ist überall spürbar. An jeder Ecke der Stadt wird gebaut. Es scheint, als seien die dunklen Tage gezählt - die Zukunft gehört neuen Ideen, der Fortschritt verheißt Geld und Wohlstand. Es ist der Aufbruch in eine neue Zeit. Dass da so mancher umdenken muss, um mit dem Tempo Schritt halten zu können, spürt auch Walter Vedder. Dessen Häuschen steht dem Neubau eines Grandhotels im Weg, doch schnell wittert der gewitzte Mann seine Chance, Profit aus der Sache zu schlagen: Er fordert eine viel zu hohe Summe von den Bauunternehmern, an der auch ein Verwandter Gefallen findet ...
Thomas Rosenbooms Interesse gilt der Zeit des Umbruchs gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die er atmosphärisch, bild- und temporeich beschreibt und am Beispiel der Geschichte seiner tragikomischen Figuren Vedder und Anijs zum Leben erweckt. (DVA)
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Noch ein Buchtipp:

Adriaan van Dis: "Ein feiner Herr und ein armer Hund"

Er ist ein feiner Herr und trägt teure Schuhe, er ist ein Flaneur in den Straßen von Paris. Als eines Abends ein Hund aus einem brennenden Haus direkt in seine Arme springt, ist es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Der Hund, der mit Flüchtlingen aus Afrika nach Frankreich kam, führt Mulder zu den "Sans-Papiers" und Obdachlosen, er macht den Sauberkeitsfanatiker mit dem Geruch der Banlieue vertraut und lässt den einsamen Kunstliebhaber unerwartete Bekanntschaften schließen. Ein bewegender Roman über eine Welt, die unwiderruflich in zwei Hälften zerfällt.
Adriaan van Dis wurde 1946, kurz nach der Rückkehr seiner Eltern aus Niederländisch-Ostindien, dem heutigen Indonesien, in Bergen/Holland geboren. (Hanser)
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