John Le Carré: "Marionetten"


Von einer durch den Terror veränderten Gesellschaft, in der jeder Unschuldige und Schuldige gleichermaßen Statist in einem undurchschaubaren Marionettenspiel ist

Wieder einmal, wie so oft in letzter Zeit, verlegt John le Carré die Handlung eines seiner Bücher in die Bundesrepublik Deutschland, genauer gesagt nach Hamburg. Dort hat sich das Bankiershaus "Brues Frères" angesiedelt, kurz nachdem der letzte Patriarch der Bank das Zeitliche gesegnet hatte und es sich auf Grund verschiedener Unerfreulichkeiten als klug erwies, den Wiener Stützpunkt zu verlassen. Und so hat sich der schottischstämmige und englisch erzogene Thomas Brues an die Elbe begeben, um dort die traditionsreiche - wenn auch sehr kleine - Bank weiterzuführen. Sein Leben erscheint unspektakulär, und er scheint mit diesem Umstand ganz einverstanden zu sein.

Eines Tages wird er von einer jungen Anwältin angerufen, die einen Klienten wegen eines speziellen Kontos hat. Über die Beschaffenheit dieser Kontovariante, die Thomas’ Vater in Wien für einige Herren aus dem damaligen Ostblock eingerichtet hatte, ist der Sohn nur sehr eingeschränkt informiert und möchte auch am liebsten gar nicht darüber nachdenken. Doch Annabel Richter, die junge Anwältin, beeindruckt ihn nachhaltig, und ihr Klient, der sich als illegal Eingereister zunächst bei einigen türkischen Einwanderern versteckt gehalten hat, beeindruckt ihn auf seine ganz eigene Art und Weise. Unter anderem auch dadurch, dass der junge Muslim, der offensichtlich sehr gelitten hat, das Geld, das von seinem Vater bei "Brues Frères" hinterlegt wurde, gar nicht haben möchte.

Gesellschaft des Verdachts
Trotzt aller Bemühungen Annabels merken sowohl die britischen als auch die deutschen Nachrichtendienste, dass bei "Brues Fréres" etwas im Busch ist, denn seit die Attentäter vom 11. September 2001 unter anderem in Hamburg ihre Pläne geschmiedet haben, sind die Dienste in dieser Stadt umso aufmerksamer. Und so werden die beiden unabhängig voneinander von dem jeweils für sie zuständigen Dienst angesprochen und auch eingespannt. Dabei erweist sich wieder einmal, dass gute Absichten auf vielen Seiten zu sehr negativen Ergebnissen führen können.

John Le Carré zeigt auch, dass unsere heutige Situation nicht nur eine, sondern viele historische Quellen hat. Ob es nun die Beziehung zum Dritten Reich ist, indem eine der genannten Geheimorganisationen in den ehemaligen SS-Stallungen untergebracht ist, ob es der Fall der UdSSR ist, ob es die Auseinandersetzungen des "neuen" Moskau mit den Kaukasus-Republiken sind oder auch der 11. September 2001, immer führen alle Dinge zusammen und motivieren die Akteure sowie jene, die unsichtbar hinter diesen stehen.

Wie so oft kommt dabei eigentlich kaum Spannung auf, vielmehr schleicht sich die "geheime" Welt mehr und mehr in das Leben "normaler" Menschen ein und zwingt sie dazu, ihre Moralvorstellungen ihrer neuen Situation unmerklich aber auch zunehmend anzupassen. Und das oft sogar mit den besten Absichten.

Bei "Marionetten" handelt es sich nicht um einen Spannungsroman im Sinn eines "James-Bond"-Thrillers, womöglich ist er darob umso realitätsnäher.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2009)


John Le Carré: "Marionetten"
(Originaltitel "A Most Wanted Man")
Übersetzt von Sabine Roth, Regina Rawlinson.
Ullstein, 2008. 366 Seiten.
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