Ioanna Karystiani: "Die Augen des Meeres"


Schon in ihrem vorigen Roman "Schattenhochzeit", ebenfalls von Michaela Prinzinger aus dem Griechischen übersetzt und bei Suhrkamp veröffentlicht, zeigte sich Ionna Karystiani als wortgewaltige und tiefsinnige Chronistin eines Teils ihrer griechischen Heimat, der noch ganz intensiv von einer alten, archaisch anmutenden Kultur geprägt ist. Ehre und Rache von Menschen in Landschaften von sprachloser, drückender Hitze, der Druck der Tradition und der Reichtum ihrer Wurzeln waren 2005 das beherrschende Thema eines wunderbaren Buches über ein wunderbares Land.

"Die Augen des Meeres", in Griechenland schon im Jahr 2006 veröffentlicht und dort ein Verkaufserfolg, entführt den mit der Lektüre jeder Buchseite atemloser und gespannter werdenden Leser in eine nicht minder mythenreiche und an Archaismen reiche Welt.
Es geht um Männer, die sich der christlichen Seefahrt verschrieben haben, um harte Männer mit weichen Kernen und um ihre zu Hause in Griechenland zurückbleibenden Frauen und Kinder.

Erzählt wird die kuriose Geschichte von Dimitris Avgustis. Mittlerweile über 75 Jahre alt, fährt er schon seit 60 Jahren zur See. Er kennt die Weltmeere und insbesondere ihre gefährlichen Orte wie seine Westentasche, und in ebenso strenger wie klarer Rolle führt er seit Langem seine verschiedenen Mannschaften. Die Männer, in der Mehrheit noch Griechen, lieben und achten ihren Kapitän, und dementsprechend ist die Fluktuation der Seeleute auf Dimitris' Schiffen gering.

Mitsos Avgustis ist zu Beginn des Romans seit zwölf Jahren nicht mehr zu Hause gewesen. Mehr noch: seit genau dieser Zeit hat er sein Schiff, die "Athos III", nicht verlassen, und er weigert sich standfest, in den angelaufenen Häfen an Land zu gehen. Seine Männer halten dies für eine Marotte und respektieren ihren Chef, der mit einer Katze namens Maritsa auch die meisten seiner Mahlzeiten allein in seiner Kapitänskabine einnimmt. Was er über lange Jahre erfolgreich vor seinen Männer verborgen hat, entdeckt seine Frau Flora, die ihm irgendwann hinterher fliegt und weit von der Heimat entfernt auf die "Athos III" kommt, um ihn endlich zur Heimkehr zu überreden, nachdem Zehntausende von Anrufen nichts gefruchtet haben, sofort, als sie ihm nach mehr als einem Jahrzehnt wieder persönlich gegenübersteht: Mitsos ist blind.

Nun will Flora erst recht, dass er sich zur Ruhe setzt, droht ihm, seinen Chef, der Mitsos verpflichtet ist, über die Blindheit zu informieren. Doch alles ist umsonst, Flora kehrt unverrichteter Dinge wieder nach Griechenland zurück.
Als sich einige Zeit später sein jüngster Sohn Antonis incognito auf der "Athos III" als Schiffsjunge verdingt, beginnen sich die Verhältnisse zu ändern. Schon bald ahnend, wer sich wirklich auf sein Schiff geschlichen hat, beginnt Mitsos dem jungen Mann von seinem Leben und seiner großen Liebe, einer Frau namens Litsa, deren Briefe an ihn er auswendig kennt, zu erzählen.

Flora hadert ebenfalls mit ihrem Schicksal, war sie doch auch vor langer Zeit in einen anderen Mann verliebt und hat sich die Erfahrung dieser Liebe versagt. Ob es dem jungen Antonis gelingt, die Verhältnisse ins Reine zu bringen?

Das ist eine lange, spannende und auch sprachlich anspruchsvolle Lektüre; die Frage, die den begeisterten Leser beschäftigt. Ionna Karystiani führt den Leser in die raue eigene Welt der Seeleute, über die Weltmeere und Häfen aller Kontinente und hat erneut ein liebevolles Bild von besonderen Menschen ihrer griechischen Heimat gezeichnet.
"Die Augen des Meeres" ist ein wunderbarer Roman, den man bis zum Ende einfach nicht aus der Hand legen möchte.

(Winfried Stanzick; 11/2009)


Ioanna Karystiani: "Die Augen des Meeres"
Aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger.
Suhrkamp, 2009. 306 Seiten.
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