Milena Wazeck: "Einsteins Gegner"

Die öffentliche Kontroverse um die Relativitätstheorie in den 1920er Jahren


Biografien, Beweggründe, Vorgehen

1905 veröffentlichte Einstein seine Spezielle Relativitätstheorie, 1916 folgte die Allgemeine Relativitätstheorie. Einstein stellte mit diesen Theorien die allgemein anerkannte Newtonsche Physik infrage. So geht aus der Speziellen Relativitätstheorie hervor, dass die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist, gleich, ob ein bewegter oder ein ruhender Beobachter sie misst, dass bewegte Objektive sich verkürzen und die Zeit für einen bewegten Beobachter langsamer verläuft. Zu den zentralen Erkenntnissen der Allgemeinen Relativitätstheorie gehören die vierdimensionale Raumzeit und die Masse-Energie-Äquivalenz.

Die Relativitätstheorie erreichte eine für ein mathematisches Konstrukt - sie konnte zunächst nur in Details und nach und nach bewiesen werden - verblüffende Popularität. Rasch traten auch Gegner aus den unterschiedlichsten Lagern auf den Plan, die sich vehement gegen die neue Theorie wehrten.

Milena Wazeck geht in ihrem Buch der Frage nach, wer diese Gegner waren, welchen Hintergrund sie mitbrachten, was sie zum Einspruch gegen Einsteins Theorie veranlasste, und wie sie dabei vorgingen.

Ein umfangreicher Abschnitt ist den so genannten Welträtsellösern zugeeignet, Menschen überwiegend mit akademischer Bildung aus verschiedenen Disziplinen, die für sich beanspruchten, eine Theorie entwickelt zu haben, mit deren Hilfe sich der gesamte Lauf der Welt und des Universums erklären ließe. Die Autorin erläutert zunächst das Phänomen des Welträtsellösertums an sich und dessen gehäuftes Auftreten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ebenso die unterschiedlichen Gruppen von Ansätzen und das Wissenschaftsverständnis dieser Forscher - ob man "Forscher" in diesem Zusammenhang in Anführungszeichen setzen sollte, lässt sich anhand der Lektüre schwer entscheiden. Es zeigte sich, wie die Autorin beobachtet, nicht nur eine tiefe Kluft zwischen den Experimentalphysikern, unter denen etliche Einsteingegner und einige Welträtsellöser waren, und den theoretischen Physikern, sondern auch eine generelle negative Einstellung der Welträtsellöser gegenüber der akademischen Forschung.

Der zweite Abschnitt untersucht den Beginn der Auseinandersetzung von Einstein-Gegnern mit der Relativitätstheorie und deren Urheber selbst. Anschließend geht es um die inhaltliche Auseinandersetzung mit Einsteins Theorie, wobei sowohl die zentralen Begriffe herausgestellt werden, auf denen die inhaltliche Ablehnung fußte, etwa Raum und Zeit als Dimensionen der übergeordneten Raumzeit oder der Äther, dessen postulierte Existenz im Weltraum zur Aufrechterhaltung der Idee vom reinen Wellencharakter des Lichts unerlässlich war, und der durch Einstein auf der Deponie der Wissenschaftsirrtümer landete. Auch die Ideen der Einsteingegner vom Wesen der Wissenschaft, nicht selten um okkulte Elemente "bereichert", sind Gegenstand dieses Abschnitts, ebenso die zahlreichen Plagiatsvorwürfe an Einstein, die häufig genug zeigen, dass die Ankläger die Relativitätstheorie nicht einmal im Ansatz verstanden hatten.

Der letzte Teil schließlich betrachtet strategische Mittel, derer sich Einsteins Gegner bedienten, um Gehör zu finden - sei es zunächst bei Einstein selbst, später bei den akademischen Physikern, sei es durch Bildung von nationalen und internationalen Netzwerken, sei es durch antisemitische Manöver.

Das Buch vermag aufzuzeigen, dass es eine recht breite, doch uneinheitliche Front gegen Einstein gab - uneinheitlich, weil gerade die Welträtsellöser jeweils ihre eigenen, voneinander abweichenden und aus akademischer Sicht oft kruden Ideen durchsetzen wollten, die ihr Lebenswerk darstellten, und weil sie von Einstein-Gegnern mit akademischer Bildung wie den Nobelpreisträgern und erklärten Antisemiten Philipp Lenard und Johannes Stark auch aufgrund ihrer oft mathematisch oder selbst nach den Gesetzen der klassischen Physik fehlerhaften "Nachweise" für Einsteins angebliches Plagiat oder die Falschheit seiner Theorie nicht recht ernst genommen werden konnten. Es ist zum Beispiel interessant, bei der Lektüre nachzuvollziehen, wie Allianzen je nach vorläufiger Kompatibilität und nach einer Art Kosten-Nutzen-Rechung zustandekamen und zerbrachen, und ebenso, wie Einstein auf die ein oder andere Kontaktaufnahme reagierte. Dies wird allerdings nicht sehr häufig untersucht. Insgesamt ergibt sich ein differenziertes und umfassendes Bild von der Front gegen Einstein, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg bestand.

Der Leser benötigt keine Kenntnisse zur Relativitätstheorie. Erforderliche Grundlagen werden im Text allgemeinverständlich umrissen. Eher sind gute Englisch- und Französischkenntnisse vonnöten, denn Quellen in diesen Sprachen werden ausschließlich original zitiert.

Zahlreiche Fotos der Protagonisten sind in die entsprechenden Kapitel eingebettet und ergänzen die Hintergrundinformationen, die der Leser zu den einzelnen Biografien erhält.

Ein interessantes, sehr sorgfältig recherchiertes und gut nachvollziehbar verfasstes Buch zu einem in der Wissenschaftsgeschichte bislang möglicherweise unterbewerteten Thema.

(Regina Károlyi; 06/2009)


Milena Wazeck: "Einsteins Gegner. Die öffentliche Kontroverse um die Relativitätstheorie in den 1920er Jahren"
Campus-Verlag, 2009. 429 Seiten.
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Milena Wazeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am "Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte", Berlin.

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