Ian Stewart: "Die Macht der Symmetrie"

Warum Schönheit Wahrheit ist


Wir leben in einer oktonionischen Welt

Anfang Oktober wurden die Gewinner der Nobelpreise des Jahres 2008 bekanntgegeben. Den mit einer Million Euro dotierten Preis in der Kategorie Physik teilten sich drei theoretische Physiker aus den USA bzw. aus Japan. Sie erhielten ihn für ihre Überlegungen und Berechnungen zur Symmetrie und deren spontaner Brechung bei subatomaren Teilchen.

Ian Stewart, Professor für Mathematik an der University of Warwick in England und Direktor des dortigen Mathematica Awareness Center, greift ähnliche Gedankengänge auf. Der zweite Teil des vorliegenden Buches konvergiert eng mit der Physik. Die sogenannte Quantenchromodynamik hat für ihn große mathematische Eleganz. Er ist überzeugt - der Leser dieses Buches will es ihm gern gleichtun -, dass unser Universum im Herzen schön sein muss. Gerade die Symmetrieeigenschaften der Quarks zeigen dies recht überzeugend.

Aber für diese "wahre Schönheit" fehlt noch ein "kleines" Detail - die "Theorie von Allem", eine auf wenige einfache Gleichungen reduzierte Formel, "die man bei Bedarf auch auf ein T-Shirt drucken kann", bemerkt Stewart - bekennender Sympathisant für diesen physikalischen Fundamentalismus - schmunzelnd. Möglicherweise stellt es sich aber auch ganz anders heraus, dass es diese "Theorie von Allem" niemals geben wird. Vielleicht ist Schönheit doch keine Wahrheit, wie es der Untertitel und die eingangs im Buch abgedruckte "Ode auf eine Griechische Urne" von John Keats ausdrücken:

"Wenn uns das Alter fortrafft eines Tags,
Sollst du bestehn, von Leid, dem hier nichts gleicht,
Umringt, ein Freund dem Menschen, dem du sagst:
'Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit schön' - soviel
Wisst ihr auf Erden, und dieses Wissen reicht."


Geschichte der Symmetrie
"Obwohl sich mathematische Gleichungen zur Formulierung der 'Naturgesetze' bisher als sehr erfolgreich erwiesen haben", so der Autor, ist vielleicht "das Universum weniger mathematisch, als es sich die Physiker vorstellen."
Nur ein Schelm, der Arges dabei denkt. Denn einen Nobelpreis für Mathematik gibt es bis dato nicht. Nun liegt dies wohl eher daran, dass der Praktiker Nobel diese "Hilfswissenschaft" nie besonders leiden konnte. Sie gehörte für ihn anscheinend nicht zu den Kategorien, die die Menschheit voranbringen. Die freie Enzyklopädie "Wikipedia" weiß darüber noch mehr Schmunzelnswertes zu berichten: "Eine Anekdote besagt, dass Alfred Nobel einst von seiner Verehrten zugunsten eines Mathematikprofessors zurückgewiesen wurde und Nobel in Verbitterung einen geplanten Preis für Mathematik nachträglich aus dem Testament strich. Historisch belegt ist das allerdings nicht. Ähnlich ist es mit der Behauptung, dass Alfred Nobel angeblich von seiner Frau und einem Mathematiker betrogen wurde. Dies kann jedoch schon alleine deswegen nicht sein, da er nie verheiratet war."

Unbestritten ist, dass viele Konzepte der heutigen Physik ohne ein tiefes mathematisches Verständnis von Symmetrie nie entdeckt worden wären. "Das Verständnis beruht auf reiner Mathematik", so Stewart, "die Bedeutung für die Physik ergab sich erst viel später." Der Physiker Eugene Wigner bezeichnete diese Erkenntnis einmal als "die unverstandene Effektivität der Mathematik in den Naturwissenschaften". Viele nützliche Ideen erwuchsen erst aus vorangegangen abstrakten Überlegungen.

Und von diesen berichtet das vorliegende Buch. "Die Macht der Symmetrie" erzählt die Geschichte der Symmetrie, auch wenn der erste Teil augenscheinlich nichts mit selbiger und gleich gar nicht mit unserer physikalischen Welt zu tun hat. Doch der Weg dahin entstand aus der Algebra. Stewart erzählt von der langen und ausführlichen Suche nach algebraischen Gleichungen, angefangen bei den Schreibern im alten Babylon, über Euklid, den großen Mathematiker des Altertums aus Ägypten, oder die "Arithmetica" des Arabers Nikomachos, bevor er einen großen Sprung ins Europa des 16. Jahrhunderts unternimmt.

Der mittlere und ferne Osten hatte seinen kreativen Schwung verloren. Italien wurde zum neuen Zentrum der intellektuellen Aktivitäten. Hier nimmt der Leser Anteil an den persönlichen Schicksalen solch herausragender Mathematiker wie Niccolo Fontana Tartaglia, Geronimo Gardano oder Leonardo Fibonacci, die verschiedene Verfahren zur Lösung von kubischen und quartischen Gleichungen entdeckten.

Geistreiche und anspruchsvolle Reise durch das Zeitalter der Mathematik
Der zweite Teil des Buches nähert sich dem Titel schon mehr an. Er beginnt mit der Entdeckung der "Gruppen" durch den Franzosen Galois. Im 18./19. Jahrhundert begegnen dem Leser vertraut klingende Namen wie Carl Friedrich Gauß, Augustin-Louis Cauchy oder Leonhard Euler, um im 20. Jahrhundert bei Einstein, Schrödinger oder Heisenberg zu gipfeln.

Alle erwähnten Namen hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Stewart spannt einen großen Bogen. Er erzählt von persönlichen Missgeschicken der Männer, über ihr Leben und manchmal auch ihren Tod, über Liebesaffären, Duelle, andere heftige Auseinandersetzungen und wie die Mathematiker letztendlich über das Konzept der Symmetrie teilweise förmlich gestolpert sind.
Aber auch "wie die offenbar sinnlose Suche nach einer nicht existierenden Gleichung ein neues Fenster zum Universum geöffnet und die Naturwissenschaften und die Mathematik verändert hat", berichtet Stewart. "Allgemein zeigt die Geschichte der Symmetrie, wie gelegentliche Umwälzungen, sowohl politischer als auch wissenschaftlicher Natur, den kulturellen Einfluss und die historische Kontinuität großer Ideen noch verstärken."

Selbst wenn einem mitunter der Kopf schwirrt, ob der vielen "Unbekannten" wie Axiomen, Lie-Gruppen, Radikalen, Quaternionen, Inertialsystemen oder Quadratwurzeln und Translationssymmetrien, so ist Ian Stewarts Buch - wenn auch keine Gute-Nacht-Lektüre - doch eine geistreiche und anspruchsvolle Reise durch das Zeitalter der Mathematik. Manche Gleichungen versteht man, andere Erklärungen muss man einfach als gegeben hinnehmen. Interessant ist dieser Streifzug allemal. Er fordert und lässt gleichzeitig erschrecken, wie viel bereits im Keller des Vergessens unauffindbar vergraben ist bzw. nie vorhanden war. Aber ganz so trocken wie man Mathematik noch in Erinnerung hat, ist sie bei weitem nicht. Es kommt wohl nur auf den richtigen Lehrer an, der zugleich das "Schlussplädoyer" halten soll:

"Sie treffen vielleicht nicht gerade um Alltag auf mathematische Gruppen, in Ihrer Küche oder bei Ihrem Weg zur Arbeit, doch ohne sie wäre die Wissenschaft heute ärmer und anders. (...) Die Schlussfolgerungen aus der Geschichte sind eindeutig. Forschung über mathematische Grundlagen sollte nicht verunglimpft oder gar abgelehnt werden, nur weil kein unmittelbarer praktischer Nutzen erkennbar ist. Gute Mathematik ist mehr wert als Gold, und woher sie kommt, ist meist nicht wichtig. Was zählt ist, wohin sie führt."

(Heike Geilen; 10/2008)


Ian Stewart: "Die Macht der Symmetrie. Warum Schönheit Wahrheit ist"
(Originaltitel "Why Beauty Is Truth. A History of Symmetry")
Übersetzt von Thomas Filk.
Spektrum Akademischer Verlag, 2008. 304 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Kopfzerbrecher. 30 mathematische Rätsel"
Ein Bürgermeister hat ein Problem mit einem Baugrundstück, ein Paar streitet darüber, wie viele Kinder es eigentlich hat, ein Scheich versucht, Kamele zu vererben. Stewarts dreißig Rätsel sind skurril und machen kopfzerbrechend Spaß.
Wenn Sie mitmachen wollen, dann sollten Sie versuchen, Ian Stewarts dreißig mathematische Denksportaufgaben zu lösen und damit den Denkapparat zwischen Ihren Ohren zu trainieren. Spaß, Synapsen im Dauerlauf und die Bewunderung der Anderen sind Ihnen sicher, wenn Sie diese Rätsel aufklären. Und dazu brauchen Sie weder endlose Rechenschritte noch den Überdrüberrechner. Es reichen Papier, Bleistift und das eigene Gehirn. Je schwieriger ein Rätsel aussieht, desto einfacher kann die Lösung sein. Auf geht’s: Klären Sie mutig den "Mordfall Grüne Socke" und das "Problem des Bürgermeisters von Spärlichingen", entschlüsseln Sie die "putzige Pudelparade", die "wohlproportionierte Pyramide" oder das "Rätsel des verschwindenden Kamels". (Piper)
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Weitere Buchtipps:

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Marcus du Sautoy: "Die Mondscheinsucher. Mathematiker entschlüsseln das Geheimnis der Symmetrie"
Marcus du Sautoy hat die wunderbare Gabe, die Abenteuer des mathematischen Denkens einem breiten Publikum nahezubringen. In "Die Mondscheinsucher" erzählt er von seiner persönlichen Suche nach dem Geheimnis der Symmetrie, von dem schon die Naturforscher der Antike mutmaßten, dass mit seiner Enthüllung auch das Rätsel der Natur gelöst sei. 
Du Sautoy beginnt seine Suche an seinem 40. Geburtstag; sie wird ihn zwölf Monate lang rund um die Welt führen: durch die Wüste Sinai ebenso wie ans Mathematische Institut der Universität Princeton, in die Gärten der Alhambra ebenso wie ins Paris der Französischen Revolution. Der Leser begegnet auf den Reisen des Autors zahlreichen ebenso brillanten wie skurrilen mathematischen Köpfen, etwa dem weltberühmten Zahlentheoretiker John Horton Conway. Die größte Herausforderung aber ist "monstrous moonshine", monströser Mondschein, so der Name einer der aufregendsten mathematischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte. Damit könnte der entscheidende Schritt zur Entschlüsselung des Geheimnisses der Symmetrie gemacht sein. (C.H. Beck)
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Felix R. Paturi: "Mathematische Leckerbissen. Das Buch für Querdenker"
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Felix R. Paturi fordert Mathematikgenießer mit verzwickten Knobeleien, verblüffenden neuen Erkenntnissen, Paradoxa und trickreichen falschen Beweisen heraus. Er weckt Kreativität und Entdeckerfreude und spannt ein weites Feld von Mathematik in Geschichte, Kunst und Biologie über aktuelle mathematische Forschung bis hin zu ungelösten Fragen, für die er neuartige Denkansätze liefert. Der Leser lernt, wieder zu staunen, was manch einer längst vergessen hat in unserer technisierten Welt. (Patmos)
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