Davide Longo: "Der Steingänger"


Der 1971 geborene italienische Schriftsteller Davide Longo hat mit diesem in Italien anno 2004 veröffentlichten Buch zahlreiche Preise gewonnen; ungewöhnlich für einen literarischen Debütanten. "Der Steingänger" ist sein erstes auf Deutsch publiziertes Buch, und es passt sowohl hinsichtlich der Thematik als auch seiner bemerkenswerten und durchdringenden Schreibweise gut in das doch immer wieder spezielle Programm des Verlags Klaus Wagenbach.

Das Buch spielt in dem gebirgigen Grenzgebiet zwischen Frankreich und Italien, dem nördlichen Teil des Piemont. Eine gottverlassene Gegend ist das, ein Gebiet, aus dem die Menschen seit Jahrzehnten in die großen Städte der Ebene abwandern. Jene Menschen, die zurückbleiben, haben einen ganz besonderen Menschenschlag ausgebildet, karg in der Lebensweise wie die sie umgebende Natur, karg auch in ihrer Sprache. Davide Longo ist es auf eine meisterhafte Weise gelungen, diese Sprache einzufangen und in einem spannenden Roman aus dem Schleppermilieu umzusetzen. Die Übersetzung von Suse Vetterlein hat mit Sicherheit positiv zu diesem außergewöhnlichen sprachlichen Erlebnis beigetragen, das der Leser während der Lektüre hat.

Auch Cesare, die Hauptfigur des Romans, genannt "der Franzose", verdient sich als Schlepper gutes Geld. Eines Tages entdeckt er bei einer seiner einsamen Bergtouren abseits von einem kleinen Dorf in einem Wasserloch die Leiche von Fausto, seinem Patensohn. Sofort zeigt er seinen Fund bei der örtlichen Polizei an.
Cesare hatte Fausto über lange Jahre in die geheimen Wege über die Berge nach Frankreich eingeweiht. Früher wurden dort die Salzkarawanen überfallen, der Schmuggel blühte, und "Illegale" wurden über die für sie rettende Grenze gebracht.

Die Polizei ermittelt, doch ohne Erfolg. Auch Cesare ist hinter dem Mörder her, den er schließlich findet. Mehr soll hier nicht verraten werden, außer dem Hinweis auf die fast ethnografische Erzähltechnik des Autors, der die Schweigsamkeit der Menschen, die er beschreibt, zu einem eigenen Stilprinzip ausbaut. Und er vermittelt dabei den traurigen Eindruck, dass es sich da um eine sterbende Welt handelt. Mit dieser geht eine Sprache verloren, die es verstanden hat, sich auch ohne Worte zu verständlich zu machen.

"Der Steingänger" liest sich wie ein Krimi und ist doch viel mehr als das. Denn es kommt dem Autor weniger auf die Handlung als auf die Genauigkeit an, mit der er die Atmosphäre dort in den einsamen Orten in den Bergen des Piemont einfängt.
Das Lesen dieses Romans ist ein Erlebnis, die karge Sprache ein Genuss. Große Literatur eines jungen Autors, auf dessen nächstes Buch man gespannt sein darf.

(Winfried Stanzick; 05/2008)


Davide Longo: "Der Steingänger"
(Originaltitel "Il mangiatore di pietre")
Aus dem Italienischen von Suse Vetterlein.
Gebundene Ausgabe:
Verlag Klaus Wagenbach, 2007. 169 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
btb, 2008.
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Davide Longo wurde 1971 in Carmagnola bei Turin geboren. Er erhielt den "Premio Grinzane Cavour", den "Premio Via Po" sowie für "Der Steingänger" den "Premio Città di Bergamo" und den "Premio Viadana".

Weitere Bücher des Autors:

"Der aufrechte Mann"

Ein großer Italienroman, eine grandiose Parabel auf das heutige Italien und gleichzeitig das bestechende Porträt eines Mannes, der vieles verlieren muss, um zu sich selbst zu finden.
Die Landschaft ist verwüstet, die Straßen sind leer, die Dörfer geplündert. das Staatsfernsehen sendet Berichte, denen keiner glaubt. Wer kann, flieht. Nur Leonardo, 52, Universitätsprofessor und Autor, zögert. er will nicht wahrhaben, was vor seinen Augen geschieht. Erst als die Gewalt auch sein Haus erreicht, zieht er mit seiner siebzehnjährigen Tochter Lucia und dem zehnjährigen Alfonso zu Fuß los. Sie geraten in die Fänge eines selbsternannten Herrschers, der die Jugend mit Drogen betäubt und vor dem Leonardo mit nackten Füßen im Feuer tanzt. Wiewohl verletzt und versehrt, lernt Leonardo doch zu handeln und sich zu wehren. Longos Roman mündet in einen bezaubernden politischen und persönlichen Neubeginn: Abends am Meer erzählt Leonardo den Menschen, die sich um ihn versammeln, Geschichten, und öffnet damit ihre Herzen für einen neuen Glauben an die Zukunft. Ein gewaltiger Roman von einer außergewöhnlichen literarischen Kraft, der wegen seiner existenziellen Atmosphäre und sprachlichen Dichte von der italienischen Literaturkritik mit den Büchern von Cormac McCarthy verglichen wurde. (Rowohlt)
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"Die jungen Bestien" zur Rezension ...

"Der Fall Bramard"
Corso Bramard lebt in einem Dorf am schönsten Wanderweg der Alpen, der "grande traversata delle alpi". Doch unaufgeklärte Verbrechen lasten auf den Bewohnern.
Bramard, ein schweigsamer, charismatischer Kauz, war als Kommissar einem Frauenmörder auf der Spur. Kurz vor der Aufdeckung jedoch wurde seine eigene Frau zum Opfer, seine Tochter verschwand. Zwanzig Jahre später meldet sich der Mörder mit einem anonymen Brief und einem Zitat aus dem Lied "Story of Isaac" von Leonard Cohen bei ihm wieder. Bramard, der inzwischen Lehrer geworden ist und eine zarte Liebesbeziehung zu der in der Dorfbar arbeitenden Rumänin Elena unterhält, nimmt die Herausforderung an. Er begibt sich auf die Suche nach dem Mann, der sein Leben beinahe zerstörte, setzt die einzelnen Erinnerungen der Talbewohner an die letzten zwei Jahrzehnte akribisch zusammen, bis es zu einer in jeder Hinsicht überraschenden Begegnung kommt. (Rowohlt)
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