Dirk Husemann: "Vaterschaftstest für Pharao"

Wie Genforschung archäologische Rätsel entschlüsselt


Der lange Marsch der menschlichen Gene

Noch vor fünfundzwanzig Jahren hätte kaum jemand sich träumen lassen, dass die Archäologie und die Paläoanthropologie einmal ausgerechnet durch die Molekulargenetik enorm vorangebracht würden. Doch genau dies ist eingetroffen: Biochemiker bestätigen und verwerfen heute Theorien von Archäologen und Paläontologen und bringen nicht selten sogar ganz neue Erkenntnisse zur Entwicklung des Homo sapiens ein.

Dirk Husemann zeigt in seinem neuen Buch auf, welch gewaltiges Potenzial die Molekulargenetik für die Enträtselung unserer Vergangenheit besitzt. Hierzu fasst er im ersten Kapitel die Geschichte der Genetik und der Molekulargenetik zusammen, um dem Leser das notwendige Rüstzeug für die nachfolgenden, speziellen Kapitel zu vermitteln.

Und die haben es in sich, beziehen sie doch neuste Forschungsresultate mit ein, teilweise aus dem Jahr 2008. Das zweite Kapitel beleuchtet den Übergang von unseren äffischen Vorfahren hin zu ersten Vertretern unseres eigenen Evolutionszweiges. Denn die Verteilung einzelner Gene in heutigen Menschen unterschiedlicher Regionen, aber auch in modernen Menschenaffen vermag hier einige Aufschlüsse zu geben, auch hinsichtlich der Entwicklung unseres einmaligen Gehirns.

Im Zentrum des nächsten Abschnitts steht der Neandertaler. Der Autor beschreibt, wie DNA aus manchen Skelettfunden von Neandertalern und "gleichaltrigen" Steinzeitmenschen gewonnen werden konnte, die Rückschlüsse auf eine Reihe von hochinteressanten Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen beiden Homo-Arten zulässt, etwa bezüglich der sprachlichen Möglichkeiten, und auf einen eventuellen genetischen Austausch.

Als sehr spannend erweist sich auch das Kapitel "Gene auf großer Fahrt", das sich mit der Eroberung sämtlicher Kontinente und Inselwelten der Erde durch den Menschen befasst. Hier steht ebenfalls die DNA mit ihren richtungsweisenden Mutationen im Vordergrund, allerdings keineswegs nur die menschliche: haben uns doch manche Bakterien seit Urzeiten begleitet und in uns eine Koevolution durchlaufen, ähnlich wie jahrtausendelang manche Haustiere an unserer Seite. Manche unserer geliebten und ungeliebten Begleiter, so auch diverse Lausarten, werden in einem späteren Kapitel noch einmal untersucht.

Die Entwicklung der Menschen nach der Eiszeit, im Rahmen der Sesshaftwerdung, ist ebenfalls Thema eines Abschnitts. Dass blaue Augen, eigentlich eine sinnlose Mutation, schon in der Eiszeit als attraktiv galten, wird an dieser Stelle ebenso nachgewiesen wie Einzelheiten zum Mord am berühmtesten Mann der Jungsteinzeit, "Ötzi".

Zu den faszinierendsten, im Buch ebenfalls ausführlich behandelten Aufgaben der Paläogenetik gehört die Analyse von Mumien. Das entsprechende Kapitel, titelgebend für das ganze Buch, wartet mit verblüffenden Erkenntnissen auf - nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus den Anden der Inkazeit.

Das letzte Kapitel schließlich bietet einen Ausblick auf bereits absehbare künftige Themenstellungen für die Paläogenetiker.
Im Anhang findet der Leser unter anderem einen Abriss der Geschichte der Genetik und ein für den Laien sehr hilfreiches Glossar.

Selten präsentiert sich Naturwissenschaft so spannend wie in diesem Buch. Das liegt natürlich unter anderem am Thema, denn die Frage, woher wir kommen, beschäftigt die meisten von uns oder fasziniert und zumindest immer wieder, insbesondere, wenn die Wissenschaft mit sensationellen Neuigkeiten aufwartet, was in den letzten Jahrzehnten immer wieder geschehen ist.

Dirk Husemann zeigt auf so packende wie unterhaltsame Weise, dass wir gewissermaßen alle ursprünglich Afrikaner sind. Die Molekulargenetik vermag die komplexen Wanderungen unserer von Zeit zu Zeit leicht modifizierten Gene zeitlich und geografisch nachzuvollziehen, sie macht allen Rassentheorien den Garaus, sie kann die Ausbreitung von Kulturen mit Wanderungsbewegungen assoziieren, und sie vermag überhaupt viel zur Kulturgeschichte der Steinzeit beizutragen, wie genetische Untersuchungen an domestizierten Tieren und Pflanzen zeigen.

Der Autor weist mehrfach auf besonders raffinierte Einfälle der Genetiker hin, wenn menschliches Erbgut wie etwa in der Südsee zu sehr vermischt ist, um eindeutige Indizien für Richtung und Zeit eines Exodus oder die Spaltung von Arten zu liefern: beispielsweise den Rückgriff auf das in menschlichen und urmenschlichen Mägen beheimatete Bakterium Helicobacter pylori oder auf Kopf-, Kleider- und Filzläuse, die mit uns eine Koevolution durchlaufen haben und, am Beispiel der Kleiderlaus, einen Hinweis geben können auf den Beginn der Verwendung von Textilien.

Ob nun bereits im alten Ägypten Mumien vertauscht wurden oder unklare Familienverhältnisse bei den Pharaonen zu klären sind, die Molekulargenetik schafft häufig Gewissheit. Freilich verschweigt der Autor nicht, dass manchmal mehr neue Fragen aufgeworfen als alte gelöst werden.

Mit einem ordentlichen Schuss Humor und Wortwitz, dabei aber nie ins Banale abgleitend, allgemeinverständlich und doch ausreichend anspruchsvoll präsentiert Dirk Husemann wissenswerte, aktuelle Zusammenhänge aus Naturwissenschaft, Archäologie und Paläontologie für ein breites, interessiertes Publikum. Absolut lesenswert!

(Regina Károlyi; 09/2008)


Dirk Husemann: "Vaterschaftstest für Pharao. Wie Genforschung archäologische Rätsel entschlüsselt"
Theiss-Verlag, 2008. 206 Seiten.
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