aus: "Libussa"

(...)

Primislaus. Laßt mit Gewalt sie uns vom Altar reißen,
Ihr teures Dasein, fürcht ich, ist bedroht.

Libussa (aufstehend).
Hört ihr? Das sind der Schwestern Wanderschritte.
Ihr habt vom Wischehrad sie ausgetrieben,
Sie ziehen fort und lassen mich allein.
Was soll ich noch, die Eltern-, Schwestern-lose?
Euch selber bin ich nur die Märchen-Kund'ge,
Auf die ihr hört so weit es euch gefällt,
Und handelt wie's euch eingibt eigne Lust.
Ich aber rede Wahrheit, Wahrheit, nur verhüllt
In Gleichnis und in selbstgeschaffnes Bild.

Da kommen sie die Schwestern, die Vertriebnen,
Sie fliehn vor euch wie ihr vor ihnen floht.

(Kascha und Tetka, von ihren Jungfrauen paarweise begleitet, kommen über eine Anhöhe im Hintergrunde.)

Libussa. So zieht ihr fort?

Kascha. Nimm unsern Gruß zum Abschied.

Libussa. Wo aber hin?

Tetka. Ins Elend, in die Welt.

Primislaus. Sucht aus den Schlössern dieses weiten Landes
In Berg und Tal euch aus den künft'gen Sitz.

Kascha. Wir haben nichts mit dir.
(Zu Libussa.)
Gehst du nicht mit?

Libussa. Ich kann nicht, seht ihr wohl.

Kascha. Wir warnten dich.
Warum hast du an Menschen dich geknüpft?

Libussa. Ich liebe sie, und all mein Sein und Wesen
Ist nur in ihrer Nähe was es ist.

Tetka. Sie aber töten dich.

Libussa. Vielleicht. - Und doch:
Der Mensch ist gut. - O bleibt noch, bleibt! Ich fühle
Wie eure Gegenwart den mächt'gen Geist,
Der halb erloschen, neu zu Flammen facht.
Der Mensch ist gut, er hat nur viel zu schaffen,
Und wie er einzeln dies und das besorgt,
Entgeht ihm der Zusammenhang des Ganzen.
Des Herzens Stimme schweigt, in dem Getöse
Des lauten Tags unhörbar übertaubt,
Und was er als den Leitstern sich des Lebens
Nach oben klügelnd schafft, ist nur Verzerrung,
Schon als verstärkt, damit es nur vernehmlich.
So wird er schaffen, wirken, fort und fort.
Doch an die Grenzen seiner Macht gelangt,
Von allem Meister was dem Dasein not,
Dann wie ein reicher Mann, der ohne Erben
Und sich im weiten Hause fühlt allein,
Wird er die Leere fühlen seines Innern.
Beschwichtigt das Getöse lauter Arbeit,
Vernimmt er neu die Stimmen seiner Brust:
Die Liebe, die nicht das Bedürfnis liebt,
Die selbst Bedürfnis ist, holdsel'ge Liebe;
Im Drang der Kraft Bewußtsein eigner Ohnmacht;
Begeisterung, schon durch sich selbst verbürgt,
Die wahr ist, weil es wahr ist daß ich fühle.
Dann kommt die Zeit, die jetzt vorübergeht,
Die Zeit der Seher wieder und Begabten.
Das Wissen und der Nutzen scheiden sich
Und nehmen das Gefühl zu sich als Drittes;
Und haben sich die Himmel dann verschlossen,
Die Erde steigt empor an ihren Platz,
Die Götter wohnen wieder in der Brust,
Und Demut heißt ihr Oberer und Einer.
Bis dahin möcht' ich leben, gute Schwestern,
Jahrhunderte verschlafen bis dahin.
Doch soll's nicht sein, die Nacht liegt schwer am Boden
Und bis zum Morgen ist noch lange Zeit.
Die Kraft versiegt, mein Auge schwimmt im Dunkel.
Fort alles was um mich noch Gegenwart,
Die Luft der Zukunft soll mich frei umspielen.
Fort dunkler Schleier und du teures Kleinod,
Du drückst die Brust, belastet zentnerschwer.
(Schleier und Gürtel von sich und den Hügel herabwerfend.)
Nun ist mir leicht. Ich sehe grüne Felder
Und weite Wiesen, himmlisch blaue Luft.
Die Erde schwankt, der Boden steigt empor,
Doch immer weiter, größer wird der Abstand.
Ein dunkler Schmerz er kriecht an meine Brust,
Ich sehe nicht mehr die mir angehören.
(In den Stuhl zurücksinkend.)
O Primislaus war das dein letzter Kuß?

(...)


(von Franz Grillparzer; 15.1.1791 - 21.1.1872)
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