Das literarische Quartett vom 15.8.1993 und der Bachmannpreis 2002


"Er kann Romane um´s Verrecken nicht schreiben." (Marcel Reich-Ranicki über Martin Walser am 15.8.1993)

Ich habe mir mit großem Amüsement den Teil des literarischen Quartetts vom 15.8.1993 angehört, in dem über das Büchlein "Ohne einander" diskutiert wird. In dieser Schnulze taucht ja bezeichnenderweise der Kritiker König auf, um neun Jahre später (scheinbar) ermordet zu werden. Karasek verteidigte Walser mit dem Argument, dass dieser neue Erkenntnisse über das Altern in ihm ausgelöst habe. Dies reizte den Literaturpapst zu einem mittelprächtigen Lachreiz. Wie auch immer: Niemand konnte nach dieser dubiosen Sendung damit rechnen, dass viele Jahre später ein gekränkter, eitler Autor namens Martin Walser derartiges Geschütz auffahren würde, um seinen Intimus Reich-Ranicki zur Schnecke zu machen. Es sei darauf hingewiesen, dass der Kritiker dem Autor erzählerische Fähigkeiten nicht absprach. Die Dramen und Romane freilich sollten durch den Fleischwolf gedreht werden.

Angesichts dieser Feindschaft, die Walser hiermit anzettelt, soll nicht darüber philosophiert werden, inwieweit es seine Berechtigung habe, ein derartiges Büchlein wie "Tod eines Kritikers" zu schreiben. Jeder mit den Schriften von Walser ein wenig vertraute Leser wird zugeben müssen, dass dieses Werk tatsächlich die Bankrotterklärung eines sich demaskierenden Autors darstellt. Dieses traurige Kapitel kann als Ausgangsposition dienen, um der Eigendynamik von Literatur einige Gedanken abzuverlangen. Eine Diskussion im Anschluss an die Verleihung des Bachmann-Preises 2002 drehte sich darum, welchen Stellenwert die Literatur in diesen Zeiten habe. Und es musste zugegeben werden, dass dieser nicht mehr so hoch anzusiedeln sei wie noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Klagenfurt erwies sich überhaupt als Ort des Pfusches. Die meisten Texte hörten und lasen sich wie wiedergekäute Produkte, die keinerlei Substanz aufwiesen. Der lächerliche Sieger des Wettbewerbes feierte am Tage des fragwürdigen Triumphes seinen 45. Geburtstag. Wieder also war es einem "Jung-Autor" gelungen, die Jury zu überzeugen. Der Text wurde maßlos überschätzt und hatte weit weniger Eigenpotenzial als jener von Christoph W. Bauer, der immerhin die Gunst des Internet-Publikums einheimste. Die Literatur dreht sich gerne um sich selbst; das beweisen viele Bücher von Walser. Er schreibt von sich als Autor, von Reich-Ranicki als Kritiker, von Journalisten usw. Ein Kaleidoskop, das keinen Leser vom Stockerl fallen lässt.

Walser dreht sich um sich selbst, und gestattet den Lesern, daran teil zu haben. Die Eigendynamik der Literatur sollte jedoch den Leser dazu reizen, einen Autor oder eine Autorin näher kennen lernen zu wollen. Es ist sehr erfreulich, dass zwei großartige Autoren wie Andreas Eschbach und Valerie Wilson mir innerhalb von kürzester Zeit an sie gerichtete Mails beantworteten und sich für die Komplimente bedankten. Offensichtlich ist dies keine Selbstverständlichkeit mehr. Gerade die angeblichen neuen Genies am Autorenhimmel machen den Eindruck, nur in ihrem eigenen Universum schweben zu wollen. Ich weiß nicht, wie das bei Walser früher war; jetzt auf jeden Fall benimmt er sich so, als gäbe es keinen Grund mehr, auf seine Leserschaft Rücksicht zu nehmen. Jeder Autor freut sich, wenn Texte von ihm gelobt werden. Jeder Autor freut sich, wenn er Feedback auf seine Texte erhält. Offensichtlich aber doch nicht jeder. Die Eigendynamik der Literatur scheint sich verdreht zu haben. Die Auseinandersetzung zwischen Autor und Leser schrumpft zu einem Spielchen mit einem imaginären Luftballon. Ein Autor, der sich nur über seine Texte definiert, und dabei seine Leser aus dem Auge verliert, ist kein Autor mehr. Er ist nur eine Fratze, die den eigenen Schatten gleichzeitig liebt und fürchtet.

Andreas Eschbach weist immer wieder darauf hin, wie wichtig es sei, dass der Autor an sich arbeitet. Er blendet den Leser nie aus und schreibt Geschichten, die unter die Haut gehen und nie den Eindruck erwecken, als seien sie eine Selbstbeweihräucherung oder ein Ventil zum Luftmachen von schlecht verdauter Energie. Literatur soll bewegen. Literatur soll Lust auf mehr wecken. Eine Unzahl von Autoren widerspricht dieser Vorstellung. Es reicht die Selbstinszenierung auf einer Bühne, die Realität ausblendet. Der Bachmann-Preis 2002 war eine Farce mit einem schrecklich misslungenen Franzobel-Klon als Hauptpreisträger. Der neue Walser ist eine Zumutung für den Leser, der womöglich von mancher kleinen Novelle des Autors angetan gewesen sein mag. Literatur darf nie zum Selbstzweck erstarren. Gott sei Dank nehmen sich dies einige Autoren zu Herzen, die leider von den Medien weniger stark wahrgenommen werden. Und da haben wir sie: die Eigendynamik der Literatur, die von den Medien umgestaltet wurde. Noch hält sich die Umstrukturierung in Grenzen...

(Al Truis-Mus; 1.juli 02)


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