Vom Rechtspopulisten zum Querdenker

Zur jüngsten Metamorphose des Politikers Jörg Haider


Freilich ohne deswegen wirklich zu verstummen, der volkstümlichen Kronen Zeitung verschlägt es neuerdings fast schon tagtäglich vor Empörung die Sprache. Nicht nur, dass ihr ehemaliger Polit-Protegé, Jörg Haider, den hierzulande als bedrohlich empfundenen und folglich von einer massiven Bevölkerungsmehrheit abgelehnten Wunsch der Türkei nach einen EU-Beitritt entschieden befürwortet, er diffamiert im Interview mit der Wochenzeitschrift FORMAT überdies jene, die gegen den Beitritt sind, als "Hornochsen". Worüber sich das massenwirksame Kleinformat erzürnt und beleidigt zeigt, zumal bekanntlich in der Redaktionsstube der Kronen Zeitung eher Türkei-Skeptiker und Beitrittsgegner - in Haiderscher Diktion "Hornochsen" - die Blattlinie dominieren. Und nicht genug damit, entdeckt Haider für seine bis dato stramm abendländische Partei - die rechtsgerichtete FPÖ - ein neues und bei genauerer Betrachtung gar pikantes Wählersegment, das er hinkünftig zu umwerben gedenkt: türkischstämmige Wähler. Nach dem Dafürhalten von Haider sind nämlich türkischstämmige Wähler "ein Markt für die FPÖ, weil sie eher konservativ sind".

Man meint aus dem Staunen über diesen wahrlich eigenwilligen Mann kaum noch herauszukommen, der sich neuerdings - entgegen seiner früheren Gepflogenheit - gar wenig um das so genannte gesunde Volksempfinden schert. Vor nicht allzu langer Zeit betrieb er - aus nicht ganz klaren Gründen "politischer Ethik" - erfolgreich den Sturz der eigenen Regierungsmannschaft, und nun zelebriert er einen umfassend pro-türkischen Kurs, was sich bei einem FPÖ-Politiker vergleichsweise anmutet, wie wenn ein leitender Vertreter der Grünen Partei einen Einstieg in die Atomstromproduktion fordern würde oder der Papst in Wort und Tat zum Vorstreiter einer liberalen Auffassung von Sexualität mutieren würde. Was nebenbei bemerkt unter bestimmten Prämissen beide Male eine interessante aber - angesichts grüner und römisch katholischer Orthodoxien - allemal verwerfliche und deswegen undenkbare Sache wäre. Jörg Haider denkt für seine Partei allerdings solch Verwerfliches an und frevelt somit gar munter an dem Selbstverständnis seiner Partei. Denn nicht nur, dass die Parteilinie solcherart in einer Herzensangelegenheit verraten ist, auch in weiten Bevölkerungskreisen bekanntlich höchst populäre Ressentiments gegen alles Türkische werden in verkehrender Weise thematisiert. Und so fragt sich jetzt so mancher: Was ist ihm in den Sinn gefahren?

Bei aller gebotenen Distanz zur Person des rechtskonservativen Politikers, eines muss man dem Jörg Haider neidlos zugestehen: Er ist immer wieder für eine Überraschung gut und scheint sich zusehends zu einem politischen Kopf zu entwickeln, der jenseits von verordneten Weltanschauungsmustern und Parteitraditionen eigenständige, ja fast schon unkonventionelle Politik betreibt, indem er sozusagen als politischer Freigeist und - pointiert gesagt - "Amokläufer" gegen ideologische Befindlichkeiten einer vermutlich überwiegenden Mehrheit der eigenen Parteifreunde und des Boulevards agiert. Nationalpopulist war er einst, Landeshauptmann ist er, Querdenker wird er nun. Die vermeintliche oder tatsächliche "Deutschtümelei" seiner frühen Jahre ("Österreich, eine ideologische Missgeburt") hat er mit seiner Hinwendung zur türkischstämmigen Wählerschicht kräftig relativiert, oder ihr sogar endgültig abgeschworen. Und die in den 1990erjahren praktizierte rechtspopulistische Strategie eines "Österreich den Österreichern", welche 1993 in das berüchtigte Ausländervolksbegehren "Österreich zuerst" mündete, ist angesichts der jüngsten Wendung allenfalls noch Nostalgie, doch kaum mehr mit der neuen Ausrichtung des Jörg Haider kompatibel. Gegen die es damals ging, die werden heute als Wähler umworben oder als Neo-Europäer willkommen geheißen.

Haider heißt den Türken und den Türkischstämmigen willkommen, da wie dort. Wozu sich die Frage aufdrängt, wie lange die FPÖ ihr einstiges Idol Jörg Haider, ob seines ketzerischen Bezugs zur parteilichen Prinzipienlehre, noch in ihren Reihen willkommen heißen mag? Die Sache versteht sich als unzweifelhaft brisant, denn was sich in der Partei nicht schickt, das schickt sich eben nicht. Und wenn die einen Parteiideologen unter dem zustimmenden Applaus durch die Parteibasis wiederholt vor den ungemächlichen Folgen einer sich laufend vollziehenden "Umvolkung" warnen, kann es doch dem einfachen Parteimitglied aus Kärnten nicht immerzu folgenlos gestattet sein, nun plötzlich ausgerechnet einer Praxis der "Umvolkung" das Wort zu reden. Immerhin gilt insbesondere für politische Parteien das unerschütterliche Diktum der Sprachspieltheorie, demnach parteipolitisches Denken unerbittlich konformistisch zu sein hat. Opportunismus in Wort und Tat ist nicht nur eine militärische, sondern vor allem auch eine politische Tugend. Siegreich ist immer nur die bestmöglich geschlossene Formation, sowohl auf dem so genanntem Feld der Ehre als auch in der Sphäre parteipolitischer Elitenkonkurrenz. Und der Vordermann gibt der nachrückenden Schar Orientierung. Ihm folgt das Fußvolk auf Schritt und Tritt, weshalb sein Denken, Tun und Lassen jedem einfachen Gemüt verständlich sein sollte, also simpel, doch niemals eigenwillig in der Auslegung oder gar freigeistig in der Art sein dürfte. Weltanschauliche Gesinnungsgenossenschaften definieren sich eben über Dogmatiken und neigen zur intellektuellen Selbstkastration per Tabuisierung gemeinschaftlicher Ressentiments gegen Anflüge kritischer Vernunft. Das Parteimitglied hat in erster Linie über die verfügte Wahrheit zu wachen und diese weder zu hinterfragen noch zu konterkarieren. Der Parteifunktionär gehört in einem gewissen Sinne einem Wächterstand an und sollte bei Ausübung seiner Tätigkeit keinesfalls zu sehr Philosoph sein. Unlässlich sündig handelt, wer dann doch eigenständig denkt und dieses laut tut.

Haiders kometenhafter Aufstieg basierte einstmals auf der verdächtigen Ritualisierung einer Praxis raffinierter Heilsversprechen. Wortgewandt prangerte er das Elend einer öffentlichen Zerrüttung an, um sich zugleich dem erzürnten Staatsbürger als Retter in der Not zu präsentieren. Die typische Handlungsfigur eines Messias agiert nicht viel anders. Wer dann also den Jörg Haider - als überragenden Repräsentanten seiner Partei - wann immer auch wählte, tat dies aus einer gläubigen Haltung gegenüber der charismatischen Strahlegestalt. Bei seinen Wahlerfolgen handelte es sich deswegen in einem gewissen Sinne stets um Exzesse der Anbetung. Man setzte auf Illusionen, da wie dort, bei Angebot und Nachfrage. Doch das Versprechen einer zugleich besonders tugendhaften wie auch übermäßig gerechten, weil widerspruchsfreien und ausgleichenden sowie überhaupt annähernd perfekten Politik erwies sich spätestens im Augenblick ihrer Bewährung im politischen Alltagsgeschäft als trügerisch. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ entblößte den nur allzu gewöhnlichen Charakter der Partei. Das von Haider in jahrelanger Opposition zum politischen System propagierte Anspruchs- und Protestdenken erfuhr einen hartnäckigen Widerspruch durch Manifeste des Wirklichen, um schließlich am menschlichen Gesellschaftsleben selbst zu scheitern.

Als Oppositioneller bekannte sich Haider wiederholt dazu, Populist zu sein. Ein kritisches Bekenntnis ist dies übrigens, denn es ist nur zu offensichtlich: Der Populismus ist unter stabil demokratischen Herrschaftsverhältnissen allemal ein Sein zum Tode, da er in Ausblendung von Realitäten Unmögliches verspricht. Er verheißt raschen und billigen Erfolg, was für den politischen Agitator zwar verführerisch, aber im Endeffekt fatal ist. Je erfolgreicher die populistische Machterlangungsstrategie ist, desto rascher widerfährt ihr das Trauma eines Machtverfalls. Darin gleicht der Populismus einer betörenden Blume, die kaum dass sie erblüht, schon im Verblühen ist. Der Keim seines Untergangs ist vom ersten Tag an in ihm angelegt und wuchert innerlich in dem Maße, wie äußerlich die Glorie erstrahlt. Sein Stil ist sein Untergang. Und selbst wenn er als dienstbarer Geist dem Politiker zur Macht über die Volksseele verhilft, so zerbricht diese Macht augenblicklich im Moment der Bewährung an den übertriebenen Heilserwartungen, die er selbst als Schimären unter das gutgläubige Volk gestreut hat. Der Heiland hält sich auf die Dauer, wenn überhaupt, dann nur als Tyrann, weshalb ihm auch das Prinzip charismatischer Herrschaft maßgeschneidert ist, das bei Bedarf in blanke Gewalt umschlägt. Sein Nimbus verflüchtigt sich, die ungetreue Gefolgschaft verläuft sich, sobald die versprochenen Wunder ausbleiben. Als einziger Ausweg bleibt die Unterjochung der ungehörigen Volksmassen in der Tyrannei, doch ist dies dem demokratisch gesinnten, oder zumindest demokratischen Spielregeln unterworfenen, Populisten kein gangbarer Weg. Ihm bleibt nur der Untergang. Und ist der Spuk dann vorüber, so bleibt, wenn hinreichend mit Intelligenz begütert, der gescheiterte Populist als geläuterte Person zurück, die zuletzt erkennt, dass ihre Erfolgsstrategie von Anfang an als tiefer Fall angelegt war. Als ein simples "Hoch hinaus um tief zu fallen".

Die Glieder schmerzen noch von der unsanften Landung, doch die Erkenntnis von Freud und Leid in einer Figur schürft tief das Bewusstsein des Gefallenen. Für immer vorbei ist es mit der Koketterie um den Beifall der Vielen, deren dumpfes Geraune in der gefälligen Mundart des Populisten sein Echo fand und deren Glauben an das Einfache in einer komplizierten Welt eben dieser mit unermüdlichem Eifer bediente. Das Spiel ist aus, ein neues kann beginnen, welches nun denn das Sprachspiel der gereiften Person ist, die sagt, was sie für richtig hält, ohne dabei auf den Applaus der großen Zahl zu achten.

Wer weiß? Die Wandlung von einem schnittigen Volkstribun hin zu einem grimmigen Verkünder von allgemein unpopulären und - in Bezug auf seine weltanschauliche Herkunft - lästerlichen Denkweisen mag vielleicht nicht mehr als eine vorübergehende Groteske sein. Zudem ist es eine bestimmt gewagte und durchaus vage Spekulation, angesichts beiläufiger Eigenwilligkeiten gleich von einer grundlegenden Charakterwandlung und einem Bruch mit der Dogmatik seiner politischen Heimat zu sprechen, denn das Bild des Betrachteten ist in seiner Dynamik unberechenbar, doch sei bei aller Unabwägbarkeit die Vermutung einer reifenden Verwandlung als moralische Wünschbarkeit erlaubt. Der, welcher in früheren Jahren einer populistischen Machterlangungsstrategie frönte, wozu er stets so sprach, wie immer es nützlich schien, bekehrt sich nun zu einer sowohl unbequemeren als auch ernsthafteren Sprachpraxis der Wahrhaftigkeit, die sich ohne Rücksicht auf eigenparteiische Befindlichkeiten als eigentümlicher Wille und authentischer Ausdruck seiner politischen Persönlichkeit zur Geltung bringt. Zugegeben, es ist eine gewagte These, doch mag sie als Wunsch zur Genesung der politischen Kultur dieses Landes an dieser Stelle geäußert sein. Ob es sodann einmal rückwirkend betrachtet mehr als ein frommer Wunsch war, das wird sich mit der Zeit erst noch erweisen müssen.

(Tasso; 25.09.2004)


Buchtipps:

Jörg Haider: "Zu Gast bei Saddam"
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 war Jörg Haider der erste österreichische Politiker, der den "Ground Zero" in New York besuchte. Gemeinsam mit Regierungskollegen aus Italien rief er daraufhin eine Hilfsaktion für Kinder von Opfern des Anschlags ins Leben. Ab Februar 2002 reiste Jörg Haider drei Mal zur Umsetzung humanitärer, wirtschaftlicher und politischer Anliegen in den Irak und traf sich u.a. mit Saddam Hussein. Haider verurteilt die unmenschlichen Folgen der UN-Sanktionspolitik für die irakische Zivilbevölkerung und kritisiert die politisch-ökonomische Doppelmoral der USA und ihrer Verbündeten. Für seine Reisen in das "Reich des Bösen" erntete Dr. Jörg Haider vom proamerikanischen Establishment heftige Kritik. Doch wie kein westlicher Politiker vor ihm fand der Kärntner Landeshauptmann in vielen Gesprächen direkten Zugang zur irakischen Staatsführung, allen voran Saddam Hussein. Haider beschreibt seine Erlebnisse und Erfahrungen im Morgenland ohne falsches Pathos, spannend, informativ und mit viel Einfühlungsvermögen für die prekäre Lage der arabischen Welt nach dem 11. September 2001. (Ibera)
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Berndt Ender: "Der Jörg-Haider-Faktor und das Ende der Blauen. Die wahre Geschichte"
Jörg Haiders Kult der radikalten Opposition sei nur eine Tarnung für seine Sehnsucht nach Harmonie und nach einer Regierungsbeteiligung um jeden Preis gewesen. Klingt paradox. Dies ist jedoch die Meinung seiner langjährigen Weggefährten. Politische Leichen pflastern seinen Weg vom Innsbrucker Parteitag bis zum Herbert Haupt-Opfer. So sehen es heute Jörg Haiders Mitstreiter.
Dieses Buch erzählt erstmals die wahre Geschichte der FPÖ. Jene, die für "ihren Jörg" jahrelang ihren Kopf hingehalten haben, die packen jetzt aus. Über eine Million Österreicher haben 1999 die FPÖ gewählt. Wie es dann kam, dass die "Bewegung" in nur drei Jahren dramatisch ins politische Minus rutschte, erzählen Funktionäre aus dem Innern der FPÖ.
Dieses Buch dokumentiert, warum beispielsweise Susanne Riess-Passer und Peter Westenthaler nie eine wirklich wichtige Rolle auf der innerparteilichen Bühne spielten. Die Enttäuschung der politischen Zeugen gipfelt in diesem Buch in einem bösen Befund: Die Geschichte der Blauen sei letztlich das Protokoll und Resultat einer - wenn auch so nicht gewollten - "Strategie der Gesinnungslosigkeit".
Alle reden von Knittelfeld. Wer aber kennt das Almtal? Ein Ort in Oberösterreich. Wer kennt Ulrike Haunschmid? Diese Wirtin war es, die das Menü zur ersten Selbstbeschädigung der FPÖ zusammenstellte. In ihrem Gasthaus entstand die erste innenpolitische und innerparteiliche Bruchlinie: Es ging damals um das verhängnisvolle Volksbegehren "Österreich zuerst".
Susanne Riess-Passer und Peter Westenthaler, die "Stars" der "vernünftigen FPÖ", waren in der Tat nur Statisten in der Aufstiegsgeschichte der Blauen. Bis in die Mitte der Neunzigerjahre, so kann man es in diesem Buch nachlesen, wetteiferten beide nur darum, wer dem "Jörgl" zuerst eine Presseaussendung überreichen durfte. (Kremayr & Scheriau)
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