DAS FALSCHE ENDE


 Musiker spielen entsetzt auf. In die Instrumente ist Nebel eingedrungen und
kein Ton hört den anderen.
Muss jetzt Mozart abtreten? Endgültig?  Wer hätte das je gedacht! Viele
meinen schon seit geraumer Zeit:
Es ist Zeit, dass die Welt aufhört. Gutes soll man verbessern, Schlechtes
aber wegwerfen. Die Kanzler aller
Länder beruhigen: Die Versorgung mit TV ist auf jeden Fall gesichert. Amerika
wirft nur mehr Korn in die
Flinte. In Peking versammelt sich der Parteivorsitzende zu seiner letzten
Versammlung. Hastig wird in
vergilbten Geschichtsbüchern nachgeblättert, wo und wann der entscheidende
Fehler passiert sein könnte.
Ein Historiker versteigt sich zur Behauptung, Napoleon sei an allem schuld...
 Nochmals: "Die Versorgung mit TV ist garantiert!". Theater, Kino, Gashähne
etc. sind jedoch zu
schließen.Die Stadt Wien ist undicht: Noch immer sickern Meldungen von Wein,
Weib und Gesang durch.
Das Ewigweibliche hat sich aber seit langem zurückgezogen. Männer nehmen
Sanostol. Verirrte Flüsse
finden ihr Bett nicht mehr. Auch der Goethe sollen ausgedient haben und nie
wieder kommen? Und
Schubert? Amseln stottern und Hunde bellen seitenverkehrt. Kühe im Wald.
Lebensmüde werden zum
Durchhalten aufgefordert. Vereinsamte flüstern sich zu: Ich liebe mich...ich
liebe mich... Viele tappen im
Hellen wie bislang nur im Dunklen. Heißt es Abschied nehmen? Toterschlossene
Gebirgsketten strahlen ein
seltsames Grün aus...oder ist es violett? Jahrhundertelang war es 5 vor 12.
Jetzt ist es Null vor 12. Einmal
musste es ja kommen. Und jetzt steht endgültig fest: Der Mensch ist das miese
link zwischen Gott, Tier und
Wasserstoff.
  Bis hin zur kleinsten Kapelle, haben die Kirchen weit geöffnet. Die
Menschen beten - ohne zu glauben -
irgend ein vergessenes Großvaterunser. Der Papst warnt: Gott operiert  o h n
e  Narkose! Die
Kirchenfürsten schließen sich an. Manch einer hat gar den Verstand verloren
und läuft nun in langen
Unterhosen ziellos durch die Straßen. Aber es ist wahrlich nicht zum Lachen:
In einer Kleinstadt fällt ein
kleines Kind in einen Brunnen. Nach kurzem Zögern belässt man es darin.
Kaputte Glühbirnen werden nicht
mehr ausgetauscht, Morde noch schnell ausgeführt bzw. abgebrochen und
Bestellungen nicht mehr
entgegen genommen.
Handwerker lassen schon am Vormittag ihr Werkzeug fallen. Der Redner eines
Vortrags über die Zukunft
der heimischen Baustoffindustrie erntet schallendes Gelächter;  irgendein
Obmann versucht vergeblich eine
Art "Vollversammlung" einzuberufen. Autofahrer lassen ihre Fahrzeuge mitten
auf der Straße stehen. In
entlegenen Wüstenregionen gräbt niemand mehr nach Wasser. Freilich - einige
tun, als ginge sie das alles
nichts an und gießen wie eh und je Zimmerpflanzen. Die Meldung, dass die Pole
weiterhin schmelzen ist
uninteressant geworden. Uninteressant ist auch, ob irgendetwas irgendwo ein
paar Euro billiger zu
bekommen ist. In Kanada wird - völlig lächerlich und überflüssig - die
kommende Olympiade abgesagt. Das
Radio spielt unentwegt Musik zum Träumen. Das Fernsehen allerdings berichtet
von schwarzen
Ozonlöchern. Nach wie vor beruhigt ein sichtlich beunruhigter Kanzler: "Auch
wenn kein Stein auf dem
anderen bleibt: Die Versorgung mit Strom, TV  und Radio ist gesi... " Da!
Straßenbahnen bleiben stehen -  Lifte in den Häusern stecken -    
Schachbretter werden beiseite gelegt - Computer erstarren -
Rote Zahlen erblassen -
Ein Himmel so hell, dass die Sonne einen Schatten wirft -
Die Menschen erheben sich von den Plätzen -
Sonne, Mond und Sterne gehen auf ihre Plätze -
Achtung, fertig, los -
aber der Dirigent winkt ab.
Die Instrumente sind noch nicht richtig gestimmt.

                                                                     
Hille-Geist         

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