Monika Felten

Das nachstehende Interview entstand anlässlich des Erscheinens des Romans "Die Nebelsängerin" am 5. Dezember 2004 per E-Mail.


lostlobo: Mit "Die Nebelsängerin - Das Erbe der Runen" haben Sie ein Fantasyepos eingeleitet, das in bester Manier zu Genre-Klassikern wie "Der Herr der Ringe" oder "Die Nebel von Avalon" steht. Stört es Sie, wenn Ihr Werk mit dem Tolkiens oder Zimmer-Bradleys verglichen wird?

Monika Felten: Nein, das stört mich nicht. Im Gegenteil.
Zwar ist es in der Fantasy zur Zeit in Mode gekommen, neue Zyklen als Tolkien-Nachfolger zu betiteln, aber kein Werk wird zugleich auch mit der Grande Dame der Fantasy, Marion Zimmer Bradley, in Verbindung gebracht. Insofern freut es mich aufrichtig, wenn "Die Nebelsängerin" in einem Atemzug mit diesen Klassikern genannt wird.

Nymath ist schon nach dem ersten Band ein ausgeklügelter Kosmos für sich. Wie kam es zur Entstehung der vielen Charaktere und Völkerschaften? Machten Sie über die Jahre hin Notizen, reifte der Inhalt sozusagen heran, oder verlief die Schaffung dieser Welt eher spontan?

Weder noch.
Nymath entstand im Verlauf eines Jahres durch intensives Brainstorming mit dem Rollenspielleiter Da Wilkens. Diese Zusammenarbeit wirkte sich insbesondere in den Details sehr konstruktiv auf meine Ideen und Vorstellungen zu der neuen Welt aus. Viele Anregungen, die er aus seiner Erfahrung im Rollenspiel schöpft, haben in dem Roman ihre Wurzen geschlagen.

Neben der Hauptfigur Ajana dominiert eine Reihe weiterer Frauengestalten den Roman, etwa Gaelithil, Vhara oder Faizah. Wollten Sie dadurch den üblichen männlichen Heroen die Schneid abkaufen, einen feministischen Roman zu Papier bringen?

Feministisch? Nein!
Feminin schon eher. Auch die Trilogie um das "Elfenfeuer" die ich zuvor geschrieben habe, hat mit ihren weiblichen Protagonisten sehr feminine Züge. Und das ganz bewusst.
Die weiblichen Heldinnen haben mir in meiner aktiven Zeit als Leserin immer sehr gefehlt. Als Frau empfand ich es beim Lesen immer als sehr angenehm, mich auch mal (in der Fantasy aber leider sehr selten) mit weiblichen Protagonisten identifizieren zu können.
Als ich dann 1998 mit dem Schreiben begann, lag es mir sehr am Herzen, die Frauen aus den typischen Nebenrollen der Fantasy hervor zu holen und ihnen in meinen Romanen mehr Gewicht zu geben. Gewiss sind meine Protagonistinnen emanzipierter als in einigen anderen Romanen, als feministisch würde ich das Buch deshalb aber auf keinen Fall bezeichnen. Es ist trotz allem klassische High-Fantasy, die auch sehr viele männliche Fans hat.

Glauben Sie, dass gesellschaftspolitische Anliegen dieser Art den Stellenwert der Fantasyliteratur ganz allgemein heben könnten? Leider wird die Sparte des Fantastischen ja immer noch gerne belächelt und mit Vorurteilen bedacht.

Den Stellenwert der phantastischen Literatur in den Augen der Kritiker zu heben, ist meiner Ansicht nach ein sehr langer Weg.
Fantasyliteratur ist im deutsprachigen Raum bei den Lesern überaus beliebt, aber wenn man aktiv PR-Arbeit betreibt, spürt man schnell sehr deutlich, wie tief die Vorurteile an gewissen Stellen sitzen.
Oft leider so tief, dass gar nicht erst in die Bücher hineingelesen wird. Gesellschaftspolitische Anliegen im Text anzusprechen kann aber nur dann etwas gegen diese Vorurteile bewirken, wenn ein Buch auch gelesen wird.
An dieser Stelle möchte ich dem Piper Verlag ein großes Lob aussprechen. Seit die Sparte "Piper Fantasy" im Herbst 2002 aus der Taufe gehoben wurde, legt man dort sehr großen Wert auf eine hochwertige und ansprechende Covergestaltung. Das hat dazu geführt, dass viele Buchhändler Fantasy in ihr Programm aufgenommen haben, die sich zuvor noch dagegen sträubten. Bleibt nur zu hoffen, dass die durchweg hochwertigen Texte der Bücher dann eines Tages auch von jenen gelesen werden, die jetzt noch so vehement abwinken.

Was beim Lesen der "Nebelsängerin" auffällt, ist der sprachliche Wechsel. Sobald Ajana beschrieben wird, fällt der Stil weich und freundlich aus, hingegen tritt an anderer Stelle ein harter Realismus zutage: Vergewaltigung, Erbrochenes, Exkremente - Begriffe, die in der Fantasy meist nur als Euphemismen vorkommen? Welches Konzept steckt hinter diesen stilistischen Wechseln?

In dem Buch treffen zwei Welten aufeinander. Die eine, unsere "moderne" Welt, wird durch Ajana verkörpert, die andere, eher mittelalterliche und raue Welt durch die Protagonisten aus Nymath.
Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass man sein Wesen auf Schlag ändert, wenn man wie Ajana plötzlich in eine andere Welt verschlagen wird. Ajana ist gewissermaßen ein Fremdkörper in Nymath.
Diesen Unterscheid soll der stilistische Wechsel zumindest im ersten Band verdeutlichen.
Ajana spricht und denkt modern. Sie misst z.B. die Zeit in Jahren und Minuten und die Entfernung im Metern. Alle Anderen rechnen in Wintern, Silbermonden und Herzschlägen und die Entfernung in Schritten oder Speerweiten.
Auch ist die Wortwahl in Nymath sehr mittelalterlich. Das "Ihrzen" gibt es bei uns ja so gut wie gar nicht mehr. Auch daran muss Ajana sich erst langsam gewöhnen.

Das kriegerische Volk der Uzoma weist auf den ersten Blick Parallelen zu den klassischen Ork-Bösewichten auf. Je mehr die Handlung sich ausbreitet, wird allerdings deutlich, dass die Uzoma nicht "böse" per se sind, sondern auch Gezwungene widriger Umstände. Ein Beispiel: Erst durch das Eindringen der Menschen - also der "Guten" - kam es zum Krieg. Kann an den Uzoma eine Metapher gegen Kolonialismus aufgemacht werden, etwa was die Invasion weißer Siedler in Afrika oder Amerika anging?

Der Grundgedanke zu dem Volk der Uzoma stammt tatsächlich aus unserer eigenen Geschichte.
In der Fantasy wird die schwarz- weiß Malerei oft sehr krass und unumstößlich gehandhabt. Die Bösen sind nur böse und die Guten unerschütterlich gut.
Aber können nicht auch Gute Böses tun? Und haben die vermeintlich Bösen nicht sogar gute Gründe für ihr Handeln? Sind sie vielleicht sogar nur Opfer einer höheren Macht, die die Not des verzweifelten Volkes für ihre eigenen Zwecke missbraucht?
Mit den Uzoma wollte ich erreichen, dass sich der Leser eben diese Fragen stellt.
Dabei informiere ich den Leser bis zum Eintreten Faizahs in die Geschichte ganz bewusst nur einseitig, um ein Bild des Bösen aufzubauen, wie es bei den vereinigten Stämmen in Nymath vorherrscht.
Dem Leser ergeht es wie Ajana. Auch sie muss erst Wissen sammeln, um zu verstehen was in Nymath wirklich vor sich geht. Ajana wird sich mit den gleichen Gedanken beschäftigen wie die Leser, denn auch sie kennt die tragische Geschichte der Indianer oder der kolonialisierten Völker in ihrer Heimat.
Als Einzige ist sie daher in der Lage, die Situation objektiv zu betrachten und zu erkennen, dass auf beiden Seiten fatale Fehler gemacht wurden, die dann zum Krieg führten.

Krieg wird in der "Nebelsängerin" nicht glorifiziert. Ganz im Gegenteil, die Angriffe der Lagarenreiter kommen einem Albtraum an Chaos, Verbrennung und Tod gleich. Ein Plädoyer für den Frieden? Noch dazu in der Fantasy?

Warum nicht?
Krieg, wo immer er stattfindet, ist mit großem Leid und Elend verbunden. Den Menschen in den Geschichten ergeht es da nicht anders als denen in der Realität.
Natürlich sind epische Schlachten ein wichtiger Bestandteil der High-Fantasy, aber ich bin kein Freund davon, diese zu verherrlichen. Ich möchte sie so darstellen, wie sie wirklich sind.

Wenn man J.K. Rowling nach ihrer Lieblingsfigur im Potter-Zyklus fragt, heißt die Antwort Hermione. Haben auch Sie eine Protagonistin oder einen Protagonisten, der Ihnen vor allen anderen ans Herz gewachsen ist?

Die Protagonisten in "Die Nebelsängerin" sind mir alle sehr nahe, aber es gibt tatsächlich einen, den ich besonders mag. Obwohl er eigentlich nicht als Protagonist in die Geschichte eingetreten ist, ist mir Abbas zumindest im ersten Band von allen am meisten ans Herz gewachsen.
Ja, manchmal überrascht der Geschichtsverlauf selbst den Autor.

Tiere kommen in der "Nebelsängerin" sehr positiv weg. Selbst die Lagaren-Flugechsen spucken nicht aus Jux und Tollerei Feuer, sondern weil sie dazu konditioniert worden sind. Ganz zu schweigen von der Symbiose, die der Junge Keelin und der Falke Horus eingehen. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Tieren?

Obwohl ich haustierlos leben muss, liebe ich Tiere (besonders Katzen) und ich liebe es, mit den Möglichkeiten zu experimentieren, die sich ergeben könnten, wenn solche Symbiosen wie im Buch wirklich möglich wären (die frei gewählten ebenso wie die aufgezwungenen). Tiere sind nicht von Natur aus böse, sie folgen lediglich ihren Instinkten. "Böse" werden sie erst dann, wenn es ihnen gegen ihren Willen aufgezwungen oder eben antrainiert wird, so wie es z.B. bei den Lagaren der Fall ist.
Treue Freundschaften und Zusammengehörigkeitsgefühle (wenn auch nicht so intensiv, wie in dem Roman geschildert) finden wir ja auch in unserer Welt - und das ganz ohne Magie.

Am Ende des ersten Bandes schwirren der Leserin/dem Leser natürlich einige Vermutungen durch den Kopf, wie es wohl in der Handlung weitergehen könnte. Müssen dazu die Runen geworfen werden oder sickert Ihrerseits schon etwas über das weitere Schicksal Nymaths durch? Eine kecke Frage: Avanciert z.B. Faizah zur Retterin der Uzoma aus der Versklavung durch den Dunklen Gott?

Nein, die Runen müssen dafür nicht bemüht werden.
Ich habe da schon ganz konkrete Vorstellungen.
Ohne zuviel zu verraten, kann ich schon jetzt sagen, dass sich Vhara natürlich nicht so schnell geschlagen gibt. Faizah avanciert zwar nicht direkt zur Retterin, doch wird sie einen großen Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern leisten.
Ajana und ihre Begleiter sind zwar auf dem Rückweg, aber ihre Reise hat gerade erst begonnen.
Was Abbas angeht, verrate ich aber noch nichts (dazu bekomme ich die meisten Fragen).

Punkt elf soll natürlich den Elben gewidmet sein. Als Sprache dieser spitzohrigen Ästheten bauen Sie das Tolkiensche Sindarin ein, z.B. in der Grußformel "Mae govannen". Ungewöhnlich, dass dieselbe Kunstsprache bei unterschiedlichen AutorInnen auftritt. Welche Idee steckt dahinter?

Die Elben in "Die Nebelsängerin" sind dort als Schiffbrüchige gestrandet.
Wo kamen sie her? Wo wollten sie hin? Die Sprache gibt dem Leser Hinweise auf eine mögliche Abstammung, auch wenn in dem Roman nicht näher darauf eingegangen wird. Wer möchte, kann darin durchaus Brückenschläge zu den Elben anderer Zyklen sehen.
Das Sindarin und die Elben gehören für mich zudem so untrennbar zusammen wie Klingonisch und die Klingonen. Viele Menschen beschäftigen sich mittlerweile mit der schönen Kunstsprache Sindarin, die in England an einer Universität sogar als Unterrichtsfach angeboten wird. Sie entwickelt sich weiter. Sie lebt. Das finde ich großartig.

Abschließend - mehr Wunsch als Frage: Wird es auch in den nächsten beiden Bänden zauberhafte Sphärenklänge von Anna Kristina in beigelegter CD-Form geben?

Das ist so geplant. Jeder Roman soll drei (unterschiedliche) Songs von Anna Kristina enthalten.

Ich bedanke mich recht herzlich für das Interview und sehe mit unumwundener Neugier dem nächsten Band der "Nebelsängerin" entgegen.

Auch ich bedanke mich ganz herzlich für Ihr Interesse. Ein kurzer Hinweis noch zum Schluss: Der nächste Band wird "Die Feuerpriesterin" heißen und im Oktober 2005 auf den Markt kommen.