Interview mit Heinrich Steinfest, dem Autor von "Das Leben und Sterben der Flugzeuge"


sandammeer: Wie vermutlich in vielen Städten, treten in Wien Spatzen extrem selbstbewusst auf, sie zeigen mitunter das Benehmen von Halbstarken und kennen keine Scheu vor Menschen. Hatten Sie vielleicht spezielle inspirierende Erlebnisse mit (einem besonderen?) Spatzen (z.B. den erbitterten Kampf um ein Tortenstück)?
Wie ist der Name "Quimp" aufgekommen?


Heinrich Steinfest: Wie im Roman beschrieben, ergab sich mein romanstiftendes Erlebnis am Gare Montparnasse dadurch, daß ich dort, auf einen Zug nach Quimper in der Bretagne wartend, von einem Spatzen bedrängt wurde, der sich für mein Croissant interessierte und den meine halbherzigen Versuche, ihn abzuwehren, wenig beeindruckten. Ich sah den Spatz und sah damit auch meinen Romananfang, einen denkenden, handelnden Sperling, der aber beginnt, die eigene Würde in Frage zu stellen. Der in eine gedankliche Krise gerät. Und aus der Krise in das Abenteuer, das ihn letztlich zu sich selbst und eben seiner Würde zurückführt. - Sein Name? Wie gesagt, ich wartete auf den Zug nach Quimper.

sandammeer: Nicht selten gibt es in Ihren Romanen kuriose Wendungen, die nichtsdestotrotz aus dem Leben gegriffen wirken. Das Leben schreibt ja selbst auch sonderbare Geschichten - lesen Sie in Tageszeitungen möglicherweise gern den Chronikteil?

Heinrich Steinfest: Ich bin Sammler und schaue, was ich finden kann. Dazu kommt aber, daß ich über einige Helfer verfüge, die mir Geschichten zutragen, von denen sie meinen, selbige seien "steinfestisch", gerade dadurch, daß sie trotz aller Unwahrscheinlichkeit dennoch geschehen sind. Da kommt aber wenig aus dem Chronikteil, dafür viel aus den Wissenschaftsseiten. Gerade während der Arbeit am Spatzenroman wurde ich da reich beschenkt: Quantenverschränkung, Mitochondrien, Endosymbiontentheorie. Letztlich sind aber auch meine eigenen Träume Lieferanten "sonderbarer, aus dem Leben gegriffener Geschichten".

sandammeer: In "Das grüne Rollo" stellt sich ein Messer gewissermaßen tot, wenn es beobachtet wird, in Ihrem neuesten Roman sind die Dinge beleidigt, sobald sie analysiert werden. Wollen Sie zum Ausdruck bringen, dass man die (auch materielle) Welt insgesamt mit seelenvolleren Augen betrachten sollte?

Heinrich Steinfest: Das kann man wohl sagen. Es ist der Umgang mit den Dingen, ihr Wert, ihre Bedeutung, und daß wir ihnen einen bestimmten Raum zur Verfügung stellen, damit sie wirken können. Im Gegensatz zu jenem reinen Konsum, der mit dem Kauf bereits seinen Höhepunkt erreicht hat. Ich glaube in der Tat, daß es eine Bedeutung hat, ob wir die Gegenstände unseres Alltags wie einen Haufen austauschbarer Idioten behandeln oder ihnen mit Sorgfalt und Sympathie begegnen. Was nicht ausschließt, daß wir auch gut zu unseren Kindern und Tieren sein dürfen.

sandammeer: Besonders auffällig ist an den beiden zuletzt erschienenen Romanen die positive Einstellung der Protagonisten gegenüber Widrigkeiten und Problemen, kombiniert mit einer Prise Schicksalsergebenheit. Wieviel von Ihnen selbst steckt diesbezüglich in Ihren Figuren?

Heinrich Steinfest: Mitunter bin ich nur noch verzweifelt ob des Lebens und des eigenen Scheiterns, aber dann gibt es diese Momente - von denen ich meine, sie seien ein Geschenk des Alters -, da ich zu erkennen meine, wie sehr alles seine Ordnung hat, und daß diese Ordnung eine große Schönheit besitzt. Wie die Kunst selbst, die ja nicht hübsch zu sein braucht, um schön zu sein. Davon fließt natürlich einiges in meine Figuren, die schließlich all die Abenteuer und Schrecknisse und Überraschungen durchleben, um genau auf diese Weise zur Ruhe zu kommen. Ich liebe diesen Satz von Augustinus, wenn er erklärt, "Gott ist der Ort, wo die Unendlichkeit des menschlichen Begehrens endlich zur Ruhe kommt." Ein wenig darf das schon im Hier und Jetzt geschehen.

sandammeer: Es wirkt so, als hätte bei Ihrem Roman Dschuang Dses Geschichte über den Schmetterlingstraum Pate gestanden. Wie weit haben Sie sich mit Parallelwelten beschäftigt, und haben Sie beispielsweise die Erzählungen E.T.A. Hoffmanns mit Ihren Parallelwelten und zum Teil auch tierischem Personal inspiriert?

Heinrich Steinfest: Ich kann wirklich nicht sagen, was alles mich inspiriert hat, es ist einfach zuviel. Mein Schreiben ist der Topf, in dem die Ingredienzien eines ganzen Lebens köcheln. Aber wenn ich vielleicht ein "Tier-Buch" erwähnen darf, das mich bei seinem Erscheinen - als ich noch nicht Schriftsteller, sondern Maler war - sehr beeindruckt hat, dann war das John Irvings "Das Hotel New Hampshire". Abgesehen davon, daß ich mit denkenden Enten aufgewachsen bin.

sandammeer: In "Das Leben und Sterben der Flugzeuge" taucht immer wieder ein (und derselbe?) Golfball auf. Gott würfelt ja angeblich nicht - spielt er vielleicht neuerdings Golf?

Heinrich Steinfest: Sollte er tatsächlich golfen, dann denke ich, daß er weniger daran interessiert ist, den Ball mit möglichst wenig Schlägen ins Loch zu befördern (wozu er als Gott natürlich in der Lage wäre), sondern die Welt dadurch zu verblüffen, ein paar eklatante Fehler zu machen. Und sich Zeit zu lassen.

sandammeer: Gibt es ein Vorbild für die "Traumzwillinge" Quimp und Blind?
Sind Ihnen die beiden eventuell in Ihren Träumen begegnet? Tauchen Figuren aus früher veröffentlichten Büchern manchmal erneut vor Ihrem inneren Auge auf?
Sollten wir Europäer uns ein Beispiel an Kulturen nehmen, für die Träume ein wichtiger Bestandteil des Lebens darstellen?


Heinrich Steinfest: Na, ich denke, unsere Kultur besitzt eigentlich genügend Kenntnisse und Erkenntnisse, um Träume ernst nehmen zu können. Dazu braucht man nicht die Religion oder den Erdteil zu wechseln oder nur noch grünen Tee trinken, gegen den ich grundsätzlich nichts sagen möchte. Jeder träumt, Nacht für Nacht. Wir führen im wahrsten Sinne ein Doppelleben. Es wäre komisch, dies nicht ernst zu nehmen.
Vorbilder: mehrere Spatzen, denen ich begegnet bin, sowie mehrere Männer, denen ich begegnet bin. Meine Figuren sind stets Collagen aus Vertrautem.

sandammeer: Gewisse Zeitgeisterscheinungen thematisieren Sie am Rande, jedoch sehr pointiert. Was ist die Voraussetzung dafür, dass es eine Modetorheit (z.B. Ernährungsgewohnheiten, Kapselkaffeemaschinen) in eines Ihrer Bücher schafft?
Wie sehr spekulieren Sie damit, einmal ein Buch zu schreiben, in dem die Zeitkritik stärker im Vordergrund steht?


Heinrich Steinfest: Ins Buch kommt, was rein muß: Dinge des Lebens. Ich plane das nicht, aber wie sollte ein Buch ohne die Erwähnung einer Kaffeemaschine möglich sein. Viele Torheiten kenne ich aus nächster Anschauung und jahrelanger Erfahrung.
Zur zweiten Frage: Sie meinen wahrscheinlich ein Buch, das dann alle Kritiker mögen, nicht wahr? Glaube ich nicht, bei mir werden wohl immer die Innenwelten der Figuren die tragende Rolle spielen. Und ihre Reaktion auf das, was von außen kommt und sich in ihnen verwandelt.

sandammeer: Bei Ihrer Lesung in Wien am 1. September 2016 haben Sie einen "Orpheus"-Film von Jean Cocteau erwähnt, der Sie während der Arbeit an "Das Leben und Sterben der Flugzeuge" begleitet hat. Hat dieser Film die Arbeit an Ihrem Roman beeinflusst? Wenn ja, auf welche Weise?

Heinrich Steinfest: Das hat er, der Film. Einerseits durch sein Motto, nämlich "mit der Strenge des Realismus die Phantasien des Irrealen" zu zeigen, aber auch mittels seiner diversen Techniken, zum Beispiel eine Zeitlupe, die dem Gehenden etwas Schwebendes verleiht, im "Testament des Orpheus", oder auch das Motiv des Spiegels und des Übertritts in die andere Welt im Film "Orphée". Im übrigen war auch ein Musikstück aus dem Testament-Film für mich von großer Bedeutung: Händels "Concerto grosso Op 6 No 4". Der Anfang dieser Komposition gehört zum Schönsten, was ich kenne und wird durch Cocteaus Bilderwelt noch schöner.

sandammeer: Welche Bücher haben Sie als Kind gern gelesen, und hatten Sie ein regelrechtes Lieblingsbuch?
Welche Bücher lesen Sie als Erwachsener, und können Sie eventuell einige nennen, die Sie in der letzten Zeit gefesselt haben?


Heinrich Steinfest: Als Kind war ich in erster Linie in Comics vernarrt, Batman und Donald Duck waren meine Helden (der Fledermausmann als der Held des Phantastischen, Donald als der Held des realen Lebens).
Bücher, die mich zuletzt "gefesselt" haben, waren Terry Eagletons "Das Böse" und Sören Kierkegaard, den ich so spät im Leben erst für mich entdeckt habe, seine Schrift "Furcht und Zittern". Wobei ich auch beim Lesen immer ein Sammler bin, gerne kreuz und quer lese, heraussteche, herausschäle, weniger das Ganze im Blick als jenes Detail, das ich neu ansetzen kann.

sandammeer: Vielen Dank für das Interview!


Das von Doris Krestan geführte Interview entstand per E-Mail im Oktober 2016.