Wenn die Nacht sinkt

Rings lag schon die Nacht so barmherzig und mild,
des Tages Getön war verklungen:
wir gingen selbander durchs weite Gefild
und hielten uns selig umschlungen.
Da war es durchs Herze so jauchzend und wild
und doch so beseligend gedrungen.
Doch nun - längst entschwunden das liebliche Bild, -
die Saite, die volle, zersprungen ...

Doch immer noch steht es mit himmlischer Macht
in helfender Brust mir geschrieben;
das Feuer wird mächtig aufs Neue entfacht,
vom Sturme der Weihe getrieben.
Und wenn - so wie damals - die liebliche Nacht
sich senkt von den Bergen dort drüben,
da glänzet im Aug eine Träne mir sacht
und ich träume - vom Lieben, vom Lieben!


(von Rainer Maria Rilke)