(...) Dein Kopf drehte sich meinem Gesicht zu, deine Augen schlossen sich, und dein Mund näherte sich meinem, legte langsam eine Wegstrecke aus Licht, Lachen und Tränen zurück. Als deine Zähne in meine Lippen bissen, rief jemand "Bravo!" wie in der Oper, und ich wusste, dass niemals ein Mädchen so sehr geliebt worden war. "Warten Sie es nur ab", sagtest du, "mit uns wird es anders sein." Mit einem Kuss in die Handfläche lähmtest du meinen Körper, meine Finger hielten sich schwindlig an der eingewölbten Linie unter deinen Lidern fest, und aus diesem weichen Eckchen Haut schuf ich mir einen Mann, um bis zum weißen Tag unserer Ewigkeit zu träumen. António. Ich schenke dir diesen Ehering zum Zeichen meiner Liebe und meiner Treue.
António. Angenehm. Ich heiße António José Castro Morais, aber alle nennen mich Tó Zé. Du hast mich am dritten Tag entführt. "Jennifer. Sagen Sie Ihrer Mutter, Sie seien heute für einen Ausflug zu müde, und kommen Sie mit mir, das wahre Leben anschauen." Mein Name ist Jenny, weil mein Vater, den ich nicht mehr kennen gelernt habe, für die Heldin des Buches "Die englische Familie" von Júlio Dinis schwärmte, eine Familie, die übrigens darin, wie sie diskreten Reichtum als physische Verlängerung geistiger Festigkeit kultivierte, meiner ähnlich war. Aber du, António, zogst etwas anderes vor. Ich gab dir deinen ursprünglichen Namen wieder, war außerstande, diesen Allerweltsdiminutiv auszusprechen, der dich den anderen gleichmachte, und du erfandest mich jenseits des Buches, dem ich entsprungen war.
Damals kam es mir so vor, als wären diese gegensätzlichen Absichten ein und dieselbe, ein geheimer, von der offensichtlichen Liebe geschriebener, automatischer Code. Erst in unserer Hochzeitsnacht erfuhr ich, dass es noch jemanden gab, der dich António, lieber António, nannte. Mein Lieber. Vorsicht. Die Sonne steht im Zenit, und alle Formen des Gebirges unterwerfen sich dem totalitären Gewicht des Lichts. Du gehst, das Fernglas auf den fernsten Gipfel gerichtet, und plötzlich sehe ich, wie du den rechten Fuß über dem Abgrund in der Luft hältst. Ich schreie "Vorsicht!" und umarme dich von hinten, hoch über Meteora fällst du auf mich. Du legst einen Arm um meine Hüfte, und dein vom Gegenlicht zum Scherenschnitt gemachtes Gesicht zerreißt mich, unerträglich schön wie eine Erscheinung. "Wie heißt du, Schutzengel?" Es war dies das einzige Mal, dass du mich geduzt hast.
In jenem Sommer 1935 hast du den Rest der Reise mit uns zusammen gemacht. Du kamst von den Klöstern des Berges Athos, in denen nicht einmal der Schatten einer Frau zugelassen ist, wir kamen von der Enttäuschung Athens, das meine arme Mutter unablässig als "die fröhliche Witwe der Götter" bezeichnete, um zu verstehen zu geben, dass sie gebildet, bissig und sehr verwitwet war. Ich erinnere mich an keine der männlichen Statuen der Museen von Saloniki, nur an Marmorflecken, über die deine langen, ob der Durchsichtigkeit der Knochen und Nägel geradezu lasziven Finger wanderten. Dieser Verzauberung durch deine Finger verdanke ich ein halbes Dutzend Siege beim Backgammon an jenem Tag, an dem du mich heimlich mitgenommen hast, um das wahre Leben im Schatten der prächtigen orthodoxen Kirchen zu sehen und in den Cafés am Hafen, die von alten, wie Moslems gestikulierenden griechischen Seeleuten bevölkert waren. Du hast mir die Regeln erklärt, aber es gelang mir nicht, dir zuzuhören, ich vermischte deine Stimme mit der Schnelligkeit der Worte und der ungewissen Farbe deiner Iris, wenn du lächeltest, waren sie hellgrün, und anschließend wurden sie dunkel, die schmale Nase, vollkommen und statisch wie eine Entscheidung, der übermäßige Mund passte nicht dazu, volle Lippen mit herabgezogenen Mundwinkeln, einem ständigen Schützengraben des Misstrauens gleich.

Ich habe nie viel geredet. Meine Mutter verstärkte meine Schweigsamkeit noch, indem sie mir das Gesetz von der Sparsamkeit der Worte eintrichterte: ein Gedanke, ein halbes Wort. Ich verfolgte verzweifelt den Pfad deiner Finger auf den hölzernen Spielsteinen, damit du mich intelligent fandest, imstande, dich zu besiegen. Ich würde nie wieder gegen dich gewinnen.
Es heißt, Liebe bestehe aus einer Gemeinsamkeit verborgener Interessen, sie sei geschaffen aus dem Nachhall von Stimmen, aus Gewohnheiten, die uns aus der Kindheit verbleiben wie ein Lied ohne Worte, aus zertretenen Leidenschaften, tief in der Masse der Zeit, aber in jenen Jahren zwischen den Kriegen interessierten erklärte Gefühle niemanden. Die Liebe war damals eine fulminante Schöpfung der Langeweile und der Unschuld, gemacht aus dem fleischlichen, in seiner Grausamkeit herrlichen Teil der Schönheit. Ich liebte dich plötzlich, mit einer leuchtenden Ungerechtigkeit, die mich von allen entfernte, die mich liebten, weil sie mir ähnlich waren. Sie liebten mich darauf noch mehr, während unserer langen Verlobungszeit, die mich mondän gemacht hat, und von dem Tag an, an dem ich offiziell zu deiner Frau wurde, beteten sie mich an, hörte ich sie flüstern, wie merkwürdig, sie wird immer mädchenhafter, so etwas hat es noch nie gegeben.
Wir sahen uns auf Bällen und Empfängen, ich gab dir die Hand, und Pedro nahm sofort meine andere, ich spürte, wie sich der Neid in den Salons ausbreitete wie ein sinnliches Parfüm, die begehrtesten jungen Männer Lissabons waren mein. Möglicherweise waren sie nicht einmal ausnehmend schön. Wenn ich jetzt die Fotos unserer Jugend ruhiger anschaue, sehe ich zwei elegante junge Männer, die durch die Andersartigkeit ihrer Garderobe - breitkrempige Hüte, Foulards aus bestickter Seide, italienische Westen, Jacketts mit breiten Schultern - gewisse Makel in der Erscheinung und in den Zügen zu mildern versuchten. Sie waren schlank, Pedro etwas größer als du und fast mager.
Sie traten immer gemeinsam auf, und ihr Blick verweilte nie auf einer Frau. Sie sprachen über Malerei, Literatur, Reisen, hassten Politik und Geschäfte. Die Mischung aus diesen bei Männern damals so seltenen Interessen und eure Gleichgültigkeit gegenüber der Affektiertheit weiblicher Schönheit machte euch unwiderstehlich. Ein glühendes Summen entstand, wenn ihr hereinkamt, die Mädchen fassten sich gegenseitig an den Handgelenken und flüsterten: "Schau nur, die Sonne und der Mond." Du, mein lieber António, warst der verwirrende Mond - trotz deines eher blonden Haars und deines Schrittes, der sehr viel entschiedener war als der Pedros. Er mit seiner dunklen Haartolle war die Sonne, die, um zu blenden, immer lächelte. Es gab auch eine Art Leuchten, das um beide herum strahlte und erlosch, wenn man jeweils nur einen von euch ansah.
Du hattest für mich ein eigenes Schimmern, António, du verbreitetest ein trübes, purpurnes Licht, das mich wie eine Fieberwelle durchschüttelte. Wenn wir tanzten, folgte ich mechanisch deinen Schritten. Ich vermochte keine andere Musik zu hören; ich wurde vor Verlegenheit und Freude fast ohnmächtig, wenn ich das donnernde, hypnotische Pochen des Blutes hörte, von dem ich nie wusste, ob es das deines oder meines Herzens war. Niemand hatte dich zuvor tanzen sehen.
Die Mädchen umringten mich in Schwärmen, fragten, wie es mir gelungen sei, dich zu verhexen. Die kühneren unter ihnen haben, wie man mir erzählte, unzählige Male versucht, in deinen oder in Pedros Armen zu kreiseln, vergeblich. Diese Mädchengespräche ödeten mich an, ich habe nie eine beste Freundin gehabt. Die Komplizenschaft aufgrund unseres gemeinsamen Standes erschien mir beinahe peinlich, ich kannte sie allzugut aus dem Internat, in das meine Mutter mich fünf Jahre lang gesteckt hatte, um mich auf die englische Art, die sie von ihren Eltern ererbt hatte, "zu bilden und zu disziplinieren".

Ich glaube, ich habe mich nie vom Gekicher Veras im Refektorium vor dem morgendlichen Vaterunser erholt, "ich habe geträumt, ich wäre mit Salazar im Bett gewesen, ich glaube, ich muss unbedingt heiraten". Fast alle bekamen Liebesbriefe mit weiblichen Unterschriften, "meine liebste Freundin, schau heute nacht um halb zehn zum Mond, ich werde dann auch dorthin schauen. Deine sehnsuchtsvolle Alexandra", und die Nonnen, die alles lasen, wunderten sich nicht über diese Schwärmereien unter Mädchen, sind nie darauf gekommen, dass die Jungen von der Militärakademie die mit Alexandra und Paula und Júlia unterzeichneten Briefe schrieben.
Uniformen, die Leute verlieben sich durch das der Uniform innewohnende Verbot ineinander. Ich hatte einen toten Vater voller Orden auf der Brust, einen Vater, der 1917 zum Wohle der Zukunft eines nicht existierenden Europas gestorben war, ohne mich gesehen zu haben. Du trugst weißes Leinen oder grauen Flanell und statt Krawatten fast immer Seidentücher, die mich schwindlig werden ließen vor Verlangen nach deinem langen Knabenhals.
Niemand wusste genau, wovon du lebtest, du reistest viel, Geschäfte, sagtest du und wechseltest schnell das Thema. Meine Mutter war hingerissen von dem, was sie Scham nannte, ein Verlobter, der als chaperon fungierte und nicht seine berufliche Mitgift herzeigte, war ein Wunder. "Ich verstehe überhaupt nicht, was ein junger Mann, der so exquisit ist wie er, an dir gefunden hat", sagte sie einmal in dem scherzhaften Tonfall zu mir, den sie für die schmerzlichsten Wahrheiten benutzte. Sie schaffte es immer, ein oder zwei Wörter auf englisch in jeden Satz einfließen zu lassen, und exquisit war eines ihrer Lieblingswörter. Am Tag unserer Hochzeit fing sie an, dich zu duzen und dich mütterlich zu umarmen. Sie fragte dich, ob du wirklich bereit seiest, this little lady glücklich zu machen, und du hast ihr auf deutsch geantwortet. Hätte ich das getan, hätte sie mich frech genannt und beleidigt geschmollt.
Meine zerbrechliche Mutter erlaubte nicht, dass fremdes Wissen sie überflügelte, und sorgte dafür, dass ich immer hinter ihr zurückblieb. "Gib das her, ich mach das schon, du kannst das nicht." Diese Worte wurden wie ein Kehrreim immer gesagt, wenn ich etwas Neues versuchte; ich habe beinahe unbemerkt von ihr Klavier spielen gelernt. "Hör bloß damit auf, du verstimmst mir noch das Klavier, du glaubst wohl, du könntest deine fehlende Technik durch Temperament ersetzen." Wir waren bereits mehrere Monate verheiratet, als du gesagt hast: "Sie sind so intensiv, Jennifer, ich hätte nie gedacht, dass eine Frau so eine Intensität haben könnte." Das war das größte Lob, das ich je von dir erhalten habe, und die Feindseligkeiten zwischen mir und meiner Mutter endeten in diesem Augenblick. Mein Temperament war also eine Gabe, eine Tugend, die dich dazu gebracht hatte, mich zur einzigen Frau deines Lebens zu erwählen, zur Erbin deines Namens, zur Herrin all dessen, was dir gehörte.

Pedro liebte es, mein Haar zu bürsten, bevor er es zu Zöpfen flocht, du wolltest mich immer mit Zöpfen und Schleifen sehen. Während der häufigen kleinen Fluchten Pedros kürzte ich den Saum der weißen Kleider aus Lochstickerei, zog Söckchen an und kuschelte mich auf deinen Schoß, du streicheltest mein Gesicht, meine Hände, meine Beine. Einmal hast du mich sogar auf den Boden gelegt und meine Brust mit Bissen und Tränen bedeckt, hast mich fast besessen und mich dann um Verzeihung gebeten, ich sagte zu dir: "Komm in mich hinein, hab keine Angst", und du sagtest: "Ich kann nicht, mein Engel. Es wäre Ihnen gegenüber nicht recht. Ich gehöre ihm, Jennifer. Verlassen Sie mich, wenn Sie wollen."
Jemanden verlassen ist kein Willensakt, sondern die Folge des Vergessens, mein Liebster. Hättest du eine andere Frau geliebt, mein verratener Stolz hätte die Kraft gefunden, Schaufeln voller Erde in das dunkle Loch meiner Brust zu häufen. Aber deine verbotene Liebe drängte dich in den tragischen Limbus, in dem meine Liebe zu dir letztlich zu leben verdammt war. Mir ist nicht eine einzige Sekunde lang der Gedanke gekommen, unsere Ehe aufzulösen. Dennoch muss ich dir sagen, dass meine Entscheidung, für immer bei dir zu bleiben, nicht nur aus reiner Leidenschaft und freiem Willen erwuchs. Es lag auch Hochmut darin, lieber António. Ich hätte die enttäuschte Verachtung meiner Mutter nicht ertragen und auch nicht das Lachen der Klatschmäuler. Der Schmerz über deine Nichtliebe hat mich unfähig gemacht, derartige Beleidigungen zu ertragen. Ganz allmählich habe ich gelernt, mich auf das wesentliche Glück zu beschränken, deine Frau zu sein. Du, der du eine Frau nicht einmal anschautest, hattest mich erwählt, ein ganzes Leben lang an deiner Seite zu leben. Das Geschlechtliche, das ich nicht kannte, konnte mir nicht die Ekstase dieses Abenteuers rauben. Ich würde deine Freundin bleiben, die Komplizin deines Liebhabers.

Camila zufolge macht verzweifelte Liebe eine schlechte Haut, entstellt und vergilbt unsere Umrisse, aber bei uns war es nie so, António. Die Verzweiflung verlieh dir den Glanz des Goldes, ich glaube fast, dass du dich an dem Tag verwandelt hast, an dem Camila auftauchte. "Wie konntest du mich so sehr verraten, Pedro?" Du hast die ganze Nacht in seinen Armen geweint, ganz allmählich hat er dich überzeugt, sie zu akzeptieren, hat er sie dir zwischen Bitten um Verzeihung und Liebesschwüren geschenkt. So hast du mir die Tochter gegeben, die mich daran hinderte, wahnsinnig zu werden.
In jenen Jahren, in denen Liebe nur die wilde Anziehungskraft der Körper war, konnte man ein ganzes Leben lang nur vom Geschmack eines Lippenpaares leben. Ich zumindest habe gelebt.


(Aus dem Roman "In deinen Händen" von Inês Pedrosa.
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann)

Drei außergewöhnliche Frauen auf der Suche nach Liebe, drei Generationen der Einsamkeit, die das zwanzigste Jahrhundert versinnbildlichen: Aus ihren unterschiedlichen Stimmen hat Inês Pedrosa einen Roman voll zarter Schönheit, sprachlicher Eleganz und seltener Gefühlsintensität geschaffen - ein Meisterwerk der modernen portugiesischen Literatur. Ines 
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