(...) Aber Albine hatte dem Magister schon längst durch Albano die Einladung und das Verziehen aller Gewitter und des neuen Kommis Ankunft sagen lassen. Wehmeier aß eigentlich mit dem größten Widerwillen bei einem Edelmanne, bloß weil er wie ein speisender Akteur des Tisches mit Reden, savoir vivre, Aufpassen, Halten aller Gliedmaßen und Spedieren aller Eßwaren so viel zu tun hatte, daß er aus Mangel an Muße kleine Dinge - z. B. Essiggurken, Kastanien, Krebsschwänze - bloß im ganzen und ohne Geschmack verschluckte, so daß er nachher das Hartfutter wie einen verschlungenen Jonas oft drei Tage in der Weidtasche seines Magens herumtragen mußte. Allein diesesmal zog er sich gern zum Essen an, weil er auf seinen pädagogischen Nebenmann neugierig und ungehalten war, und das aus Angst, der neue Mitpächter gebe vielleicht die herrliche Wintersaat in Albans besäetem Lande für seine eigne Sommersaat aus. Er schrieb seiner abbrevierten Lehrmethode alle Wunderkräfte seines Lehrlings, d. h. dem Boden aus Wasser den aromatischen Geist der Pflanze zu, die darin wuchs.
Mit größerer nachsichtiger Liebe kam er, den halbierten Liebling eigenhändig führend, vor Rabettens Kabinett in einem saftgrünen Flaus mit dreiblättrigem Kragen an. - - »Herr von Falterle hier« (sagte bei seinem Eintritt Rabette, nicht aus Neckerei, sondern aus Unbesonnenheit) »meinten vorhin, Sie wärens, als der Hund hereinwollte.« - »Mein Herr,« (versetzte kalt und ernst der Paradeur von Falterle neben unserm Ackergaule) »der Hund kratzte an der Türe - aber sowohl bei dem Minister als in allen großen Häusern in Paris kratzet jedermann mit dem Fingernagel, wenn er bloß in ein Kabinett und in kein großes Zimmer will.« -
Welcher herrliche malerische Abstand beider Amtsbrüder! Der Exerzitienmeister mit der bunten Flughaut oder Rückenschürze eines gelben Sommerkleidchens, gleichsam mit den gelben Oberflügeln eines Buttervogels, dessen dunkle Unterflügel das Gilet (wenn ers aufknöpft) vorstellen; - Wehmeier aber im geräumigen saftgrünen Flause hängend, den ein Zeltschneider um ihn gespannt zu haben scheint, und mit Unterleib und Schenkeln in der schwarz-samtnen Halbtrauer der Kandidaten pulsierend, die sie anlegen, ehe sie sich zur ganzen verkohlen - Falterle hat sein Glatteis von Beinkleidern plattiert um die Beine gegossen, und jede Falte in diesen bricht sich in seinem Gesichte zu einer, als wäre dieses das Unterfutter von jenen; indes an den Schenkeln des Schachtelmagisters die Wendeltreppe seiner Wickel-Modesten) aufläuft - jener in Brautschuhen, dieser in Pumpenstiefeln - jener schnalzt als eine weiche schleimige Goldschleie empor mit den Bauchfloßfedern des Jabots, mit den Seitenfloßfedern der Manschetten und mit den Schwanzfloßfedern des an drei Hermelin-Schwänzchen hängenden trinomischen Würzelchens oder Zöpfleins; der Magister sieht in seinem grünen Flause bloß wie der grüne Schnäpel (Weißfisch) oder die Kaulquappe aus - herrlicher Abstich, wiederhol' ich! -
Der Schnäpel hätte die Schleie gern gefressen, als der Goldfisch mit dem rechten Arme Rabetten und mit dem linken Albano zum Essen vorausführte. Aber jetzt wurd' es viel ärger. Alban hatte mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit die Serviette zuerst offen, die nun gleichsam das Antrittsprogramm und Dokimastikum von Falterles Lehrart wurde; »posément, Monsieur,« (sagt' er zum Novizen) »il est messéant de déplier la serviette avant que les autres ayent déplié les leurs.« Nach einigen Minuten gedachte Alban seine Suppe - es war eine à la Britannière mit Locken - kalt zu blasen: »Il est messéant, Monsieur,« (sagte der Exerzitienmeister) »de souffler sa soupe.« Der Schachtelmagister, der schon mit dem Gebläse seiner Brust zu einem Zugwinde für einen Löffel voll Locken angesetzt hatte, schnappte erschrocken mit einer Windstille ab.
Als nachher eine farschierte Weißkohlbombe wie eine Zentralsonne auf das Tischtuch niederfiel: schlang der Magister den brennenden Kalbfleisch-Farsch kühn hinein, wie ein Taschenspieler oder Vogel Strauß glimmende Kohlen, und atmete mehr ein- als auswärts.
Nach der Bombe kam ein Hecht au four herein, dem bekanntlich der Wegschnitt des Kopfes und Schwanzes und die Verschlossenheit des Bauchs die Gestalt eines Rehziemers schenken. Als Alban seinen alten Lehrer fragte, was es wäre, versetzte solcher: »Ein delikater Rehziemer.« - »Pardonnez, Monsieur« (sagte der Gegenzüngler) - »c'est du brochet au four, mon cher comte - mais il est messéant de demander le nom de quelque mets qu'il soit - on feint de le savoir.«
Es ist leicht zu zeigen, daß dieser Kernschuß aus einer Doppelbüchse dem Magister durch Mark und Bein durchfuhr; die Passions-Instrumente, die im weggeschnittenen Kopfe des Hechts au four wie in einer Gewehrkammer lagen, arbeiteten in seinem weiter. Wie die meisten Schullehrer glaubt' er so lange die feinste Lebensart zu haben, als er sie dozierte und die gröbste bekriegte - ebensolange schätzt' er sie ungemein, so wie den Putz -; wurd' er aber in beiden besiegt, so mußt' er sie von Herzen verachten. Es bracht' ihn wieder auf die Beine, daß er den Exerzitienmeister im stillen bei sich gegen beide Katos und die homerischen Heroen hielt, die nicht viel besser aßen wie Schweine, und daß er so den Wiener an einen Schandpfahl anband und ihn daran mit der einen Hand wacker drasch, indes er mit der andern über ihm die Schandglocke läutete. Ja er stellte sich, um den Amtsbruder klein zu machen, auf einen fernen Irrstern und sah herunter auf die Bombe und auf den Hecht au four und mußte droben auf seinem Planeten sehr herablachen, als er den gelbseidnen Ladenhüter der Natur mit dem Wrack von Gehirn nicht größer befand als einen Kleisteraal. Dann dauerte ihn der verlaßne Zögling, und er fiel wieder herunter und schwur unterweges, aus ihm jeden Tag so viel auszujäten, als jener einharke. (...)


(aus "Titan" von Jean Paul; 1763-1825)
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