Brief an Ana
Olímpia
Quinta da Saragoça, Juli 1877
Geliebte!
Ich habe die
Insel Cajaiba gekauft, da ich Dir, wenngleich nicht das Paradies,
so doch zumindest einen vorübergehenden Zufluchtsort bieten wollte, und
als wir im Mai auseinandergingen, dachte ich noch, das Eiland
könne dies tatsächlich sein. Weit gefehlt. Ich habe schlechte
Nachrichten für Dich, furchtbar als solche und beunruhigend, was Deine
Sicherheit angeht. Wenige Tage vor meiner Abreise nach Lissabon
versuchte mich ein Mann auf der Fähre zwischen Rio und der kleinen Stadt
Niteroi zu erschießen, es gelang ihm, schwimmend zu entkommen. Dieser
Zwischenfall hat mich nicht sonderlich beunruhigt, zumal ich überall in
der Welt treffliche Feinde habe und Bekundungen ihrer Antipathie ebenso
gewohnt bin wie Schüsse! Ich habe dem guten Patrocinio von besagtem
Vorfall berichtet, der in dem Schützen einen gedungenen Mörder vermutet
und sogleich zwei Capoeira-Kämpfer
zu meinem Schutze anheuerte. Was zur Folge hatte, daß ich den Rest der
Woche vergeblich versuchte, Patrocinios Männern zu entkommen, und mich
erst am Montag, als ich endlich an Bord gehen konnte, wieder als freier
Mensch fühlte. Es regnete. Die Luft war erfüllt von feinen, lästigen
Tropfen, melancholisch wie Tränen, die bei uns Portugiesen im Volksmund
»Narrenregen« heißen. Ich verweilte lange an Deck und sah Brasilien
traurig im
Nebel zurückbleiben. Anschließend suchte ich meine Kajüte auf. Ich
fand dort einen Koffer vor, der fast identisch war mit dem meinen. Im
ersten Augenblick dachte ich, man habe versehentlich ein Gepäckstück
vertauscht, was früher oder später jedem Reisenden einmal widerfährt,
und rasch wieder in Ordnung gebracht werden kann. Doch dann bemerkte
ich, daß der Koffer mit meinem Namen versehen war. Ich öffnete ihn
beunruhigt, und was ich sah, verschlug mir den Atem: zwei kalte, glasige
Augen starrten mir entgegen. Vor mir lag der präparierte Kopf eines
schwarzen Mannes.
Ich schlug den Koffer wieder zu. Welch gräßlicher Alptraum; Übelkeit
stieg in mir auf, mir war, als drehte sich das Schiff auf dem Meer,
ich entriegelte die Luke und legte mich in die Hängematte. Ich weiß
nicht, wie lange ich so da lag und krampfhaft die schwere, feuchte Luft
einatmete. Als ich mich wieder beruhigt hatte, stand ich auf und öffnete
erneut den Koffer. Der Kopf war immer noch dort, doch erst jetzt
erkannte ich zu meinem Entsetzen, daß er die edlen Züge des alten
Cornélio trug.
Ich weiß, daß diese Nachricht Dich verstören wird. Und Du wirst Dir
vorstellen können, wie verstört ich bin. Der Tod des alten Cornélio ist
ein Verbrechen, das sich um so schändlicher und absurder darstellt, als
es gewiß einzig in der Absicht begangen wurde, uns zu ängstigen und zu
verhöhnen. Zu allem Unglück sind mit meinem Koffer auch jene Dokumente
verschwunden, mit denen ich Europa aus seiner Altersstarre reißen und
Sklavenhändler und Sklavenhalterpack, die sich dem Fortschritt in
Brasilien entgegenstemmen, einen gezielten Schlag versetzen wollte. Wir
haben verloren! Doch nur eine Schlacht, denn der Krieg, der Krieg hat
soeben erst begonnen.
Ich habe Cornelios Kopf ins Meer geworfen. Auf der Höhe der
Kapverdischen Inseln. Die Nacht war dunkel und mondlos. Iemanjä, die
Quiandas und alle mächtigen Gottheiten der lauen Gewässer Afrikas werden
seine Seele zurück ins Land der Haussas begleiten. Cornelio hat sich nie
versklaven lassen: Selbst am Pranger, selbst in Ketten, an den höchsten
Mauern blieb er doch immer eine freie Seele. Jetzt endlich wird er
seinen Weg nach Hause finden.
Ich schwöre Dir, dieses furchtbare Verbrechen wird nicht ungesühnt
bleiben. Ich, Du, unsere Freunde, wir alle müssen Cornélios Tod rächen.
Unterdessen aber flehe ich Dich an, unternimm nichts. Bitte Ernesto,
Sorge zu tragen, daß die Fazenda Tag und Nacht bewacht wird; vermeide
auszugehen, und so Du es tust, gehe nie alleine und nie ohne die
entsprechenden Vorkehrungen.
Ich liebe Dich
Fradique
(aus "Ein
Stein unter Wasser" von
José Eduardo Agualusa)
(Originaltitel: Nacao Crioula)
aus dem Portugiesischen von Inés Koebel
Fradique sagte, Städte wie Frauen ließen sich an ihrem Geruch erkennen.
Die Hafenstädte Französisch-Westafrikas rochen für ihn nach in Butter
gebratenen Zwiebeln; Rio de Janeiro roch nach reifen Guaven, Lissabon
nach Sardinen, Basilikum und Abgeordneten. Fradique wollte wissen, wie
ich dazu stand. Ich sagte ihm, ich zöge den schlichten Geruch des Regens
allen anderen vor. Drei Monate später erhielt ich in Luanda ein
versiegeltes Kristallflakon mit Wasser. Auf dem Etikett stand in
Fradiques Handschrift: ›Erster Pariser Herbstregen, Oktober 1868‹.«
Ana Olimpia Vaz de Caminha, als Sklavin in Angola geboren, wird nach dem
Tod ihres Mannes zu einer der vermögendsten und einflußreichsten Frauen
in der portugiesischen Kolonie. Der Abenteurer Carlos Fradique Mendes, in Paris
und Lissabon genauso zu Hause wie in Luanda oder Rio
de Janeiro, kommt 1868 nach Angola und verliebt sich unsterblich
in diese faszinierende Frau. Ana Olimpia und ihm bleiben nur fünf
gemeinsame Monate, dann trennen sich ihre Lebenswege. Agualusa erzählt
von einer Liebe, die nach Fradiques Tod eine wundersame Verewigung in
der Literatur erfahren soll.
José Eduardo Agualusa wurde am 13. Dezember 1960 in Huambo/Angola
geboren, lebt heute in
Lissabon und arbeitet als freier Journalist und Buchautor. Sein
erster Roman ›A Conjura‹ erschien 1989; seither gilt Agualusa als
Vertreter einer neuen Generation afrikanischer Autoren, die sich der
Sprache der Kolonialherren bemächtigen und damit einen neuen Ton in die
portugiesische Literatur bringen. Außerdem Kurzgeschichten und
Lyrik-Veröffentlichungen. (dtv)
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