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Vom Tee und Kaffee und Tabak war in seinem Hause niemals die Rede, wohl aber von Obst und Früchten, wie es die Jahreszeit mit sich brachte.
Vielleicht wird es einige meiner Leser interessieren, zu erfahren, wie Albertine ihrem Manne den Rauchtabak und er ihr zur Dankbarkeit den Kaffee abgewöhnt. Albertine hatte ihm einigemal gesagt, daß sein Zimmer übel röche und daß sich der Geruch in seine Kleider zöge; er spottete ihrer falschen Delikatesse, nahm seine Tabakdose, sie zu quälen, auf ihr Zimmer und rauchte ihr beim Vorlesen den ganzen Abend vor. Sie ließ es hingehen. Einen Monat mochte vom Tabak gar nicht wieder die Rede gewesen sein, als er auf einmal an einem Morgen seinen kleinen Johannes, das erste und nun schon zweijährige Söhnchen, das sie ihm geschenkt hatte, mit einer langen, tönernen Pfeife im Munde gewahr ward. "Frau", sagte er, indem er rot ward und dem Kleinen nicht ohne Widerstand die Pfeife aus den Händen nahm, "das Spielwerk taugt nichts für Kinder." Die Frau verbiß ein geheimes Lächeln und sah emsig auf ihre Arbeit. Er kam am Abend wieder mit seiner Pfeife auf ihre Stube; den Morgen fand er seinen kleinen Jungen wieder in der nämlichen Stellung. "Was ist denn das mit der Pfeife?" sagte er und konnte sich nicht enthalten zu lachen und zugleich noch röter zu werden. "Kann ich´s ihm abgewöhnen", sagte sie mit der größten Sanftmut, "wenn er dich alle Abend rauchen sieht? Du weißt, wie die Kinder sind; alles, was die Alten tun, macht ihnen Freude." - "Und wer hat ihm die Pfeife gekauft?" fragte Mannheim und versteckte seinen Kopf an ihrer Brust; hier fand sie es für gut, ihm aus dem Stegreif eine kleine Gardinenpredigt über das Rauchen, sobald es zur Gewohnheit wird, zu halten. "Es ist eine Kette", sagte sie, "an der du ziehst, die dir alle deine übrigen Vergnügungen verdirbt, darum nur, darum habe ich was dagegen einzuwenden. Du bist nirgends ruhig, wenn dich nicht die Pfeife begleitet, und du magst es dir verhehlen, wie du willst, es bleibt immer eine kleine Unreinlichkeit. Ich habe einen Menschen gekannt, der sich parfümierte, wenn er geraucht hatte, und er kam mir geradeso vor wie ein Schinken, den man aus dem Rauch nimmt und eine Sauce von Zitronen dran macht. Überlassen wir das Rauchen den Unglücklichen, die keine andere Freude haben, den Walfischfängern in Grönland oder den Negern in Zuckerplantagen, die ein Opium brauchen, um sich gegen ihr Elend zu betäuben, aber du, im Schoße des Glücks, in meinem Schoße" - hier faßte sie ihn mit unaussprechlicher Schmeichelei unter das Kinn. Er ging trotzig fort. Den Abend ward Pfeife und Tabak in den Ofen geworfen, und den Morgen ließ er sein Studierzimmer von neuem ausweißen und flüchtete in das Zimmer seiner Frau.
Nach langer Zeit ward er inne, daß seine Frau es mit dem Kaffee hielt wie er mit dem Rauchtabak. Ihr war nicht wohl, wenn sie des Morgens ihren Kaffee nicht genommen, und sehr oft überfiel er sie mit ihrem Liesgen auch des Nachmittags am Kaffeetisch, wo sie einander wie wahre Stadtweiber, die Schale in der Hand, mit den Neuigkeiten ihrer Korrespondenzen unterhielten. Sobald sein Weib oder ihr Liesgen übles Humors war, ward es hernach zur Gewohnheit, daß zweimal Kaffee getrunken werden mußte. Er wollte beide einmal auf die Probe setzen und las ihnen bei Tisch einen erdichteten Brief vom Präsidenten vor (mit dem er wirklich korrespondierte), in welchem dieser ihm meldete, es würde nächstens eine landesfürstliche Verordnung bekanntgemacht werden, worin allen Privatpersonen ohne Ausnahme der Gebrauch des Kaffees bei schweren Geldstrafen untersagt werden würde, dafern sie sich nicht eine unmittelbare Erlaubnis vom Landesherrn, durch Bezahlung einer dazu ausgesetzten Geldsumme, auswirkten. Seine Frau und Liesgen sahen einander an; beide suchten die verschiedenen Empfindungen, die diese Neuigkeit in ihnen Veranlaßte, jede auf ihre Art zu verbergen, endlich konnte sich Liesgen nicht länger halten und brach aus:"Werden Sie uns diese Erlaubnis denn kaufen?" Mannheim lächelte. "Du würdst wohl ohne Kaffee nicht leben können, aber ich hoffe, was meiner Frau gut ist, wird dir auch recht sein." Hierauf setzte er ein sehr ernsthaftes Gespräch mit einem seiner jungen Freunde fort. Als er vom Essen aufstand und sie küssen wollte, stürzten zwei unbändige Tränen, die sie mit aller Mühe und Kraft beim Essen zurückgehalten hatte, ganz wider ihren Willen und Absicht von den Wangen der armen Albertine den mutwilligen Lippen Mannheims entgegen, die sie wollüstig aufschlürften. "Und so weinst du denn, meine liebe Frau", sagte er laut und triumphierend, "und meinst, der Kaffee sei keine Kette, kein Opium, das dich für alle andere Vergnügungen taub und ungestimmt macht. Wenn haben unsre Vorfahren Kaffee getrunken, die doch auch ihre Freude hatten, und herzlicher als wir. Trinken wir den Kaffee wie sie, als etwas Außerordentliches, als etwas, das alle Jahre einmal kommt und bloß etwas zu lachen gibt, gewöhnen wir unsere Nerven aber nicht an ein Opiat, das viel feiner und reizender und eben deswegen auch viel schädlicher ist als der Tabak und das Opium selber. Der Kaffee ist in der Tat nur eine galante Unreinlichkeit, und ich bin versichert, daß der saubere Porzellan, in den wir ihn fassen, das meiste und vielleicht das einzige zu seinem Wohlgeschmack beiträgt. Können wir aber nicht ebensowohl von porzellanenen Kredenztellern Obst und andere Sachen essen, die unsern Nerven nichts schaden und uns nicht zur schädlichen Gewohnheit werden?" Albertine ließ sich diesen Nachmittag einige Pfirsiche heraufbringen, und wenn Fremde zu ihr kamen, setzte sie ihnen Wein, eingemachte Sachen und Obst vor, wobei die Munterkeit und das Scherzen und das Hüpfen und die Pfänderspiele und das Tanzen und das Jauchzen viel allgemeiner wurden. Des Morgens war ihr Frühstück ein Äpfelkuchen oder ein Butterbrot oder sonst etwas, wovon ihnen nur ein Gelüste durch den Kopf zog, nie aber banden sie sich an etwas, und sie schämten sich hernach nicht wenig, als ihnen Mannheim sagte, das Verbot vom Kaffee sei nur eine Erfindung von ihm gewesen. (...)



(aus "Der Landprediger" von Jakob Michael Reinhold Lenz; 23.1.1751 - 24.5.1792)