Dagmar H. Mueller, Verena Ballhaus: "Opa sagt, er ist jetzt Ritter"

Vom Leben mit Parkinson


Opa hat die "Zitter-Ritter-Krankheit"

Mit dem Band "Meine Füße sind der Rollstuhl" begann der zum Wiener Ueberreuter Verlag gehörende Annette Betz Verlag im Jahr 2003, eine Kinderbuchreihe über den Umgang mit Behinderungen und soziale Integration der Betroffenen herauszugeben. Blindheit, Gehörlosigkeit, Alzheimer oder, wie im Startband, ein Leben im Rollstuhl, waren unter anderem Gegenstand dieser mittlerweile auf sieben Bände angewachsenen sehr einfühlend erzählenden Sachbilderbuchreihe.
Nun hat das Team um Autorin Dagmar H. Mueller und Verena Ballhaus, die als Illustratorin an allen sieben Bänden beteiligt war, ein neues Thema aufgegriffen: die Parkinson-Krankheit.

"Parkinson" ist eine Krankheit, die relativ häufig vorkommt. Allein in Deutschland gibt es rund 250.000 Betroffene. Die meisten Menschen haben schon einmal davon gehört, doch genaueres Wissen fehlt meist. Fehlinterpretationen der Betroffenen und daraus falsch gezogene Schlussfolgerungen führen nicht selten zu Missverständnissen.
Einem kleinen Kind ungezwungen zu erklären, warum Opa auf einmal so anders ist, fällt dabei bestimmt doppelt schwer.

Warum tobt er nicht mehr mit mir? Weshalb werden seine Bewegungen immer langsamer und eckiger, ja "erstarrt" er manchmal beinahe? Warum zittert er ständig? Weshalb spricht er so undeutlich oder lacht nicht mehr, wenn man ihm den besten Witz erzählt?
Opa ist krank, das verstehen die kleinen Knirpse noch, aber warum ihm keine Medizin, kein warmer Schal und keine Spritze helfen können, um wieder gesund zu werden, und dass die Symptome vollkommen anders ausschauen als bei einem Schnupfen oder einem gebrochenen Bein, das können sie noch nicht verarbeiten.

Eindrücklich ist das Bild, das die Autorin Dagmar H. Mueller, (Kinderbuchpreisträgerin des Landes NRW), gefunden hat, um die Parkinson-Krankheit bereits Kindergartenkindern begreiflich zu machen: Opa hat sich auf eine hohe, einsame Ritterburg zurückgezogen und muss dort den ganzen Tag mit einer schweren, großen und ihn in seinen Bewegungen stark einschränkenden und behindernden Ritterrüstung herumlaufen.

Opa sagt, er sei jetzt Ritter

Im Mittelpunkt dieses großartigen Bildersachbuches steht Jonathan, der aus der Ich-Perspektive von einem Wochenendbesuch bei seinem an Parkinson erkrankten Opa erzählt. Jonathan kann zwar die Rüstung seines Opas nicht sehen, aber er spürt sie sehr deutlich. Dann nämlich, wenn sich sein Großvater nur noch mit kleinen trippelnden Schritten fortbewegen kann und er manchmal beinahe umkippt. Er weiß auch, warum es in der Wohnung seines Opas so viele Haltegriffe und abgepolsterte Ecken gibt und warum dessen rechter Arm immer viel mehr zittert, als der linke.
Sein Opa hat es ihm mit vielen treffenden Vergleichen erklärt. Manchmal wird Opa gar zum "Eiszeit-Ritter", dann scheint er fast zu erstarren und kann sich gar nicht mehr bewegen.

Weil Jonathan seinen Opa über alle Maßen liebt, hat er ihm diesmal ein Geschenk mitgebracht: ein selbst gebasteltes Ritterschild. Da freut sich der alte Mann riesig. Aber warum kann er das nicht zeigen? Sein kleiner Enkel weiß es zu erklären: "Opas Lachen ist ein Lachen, das man kaum sieht. Denn Opas Ritterkrankheit hat sich in seinem ganzen Körper ausgebreitet. Auch in seinem Gesicht. Es ist, als ob er auch dort eine schwere Rüstung tragen würde. Er kann das Gesicht kaum noch bewegen oder laut reden. Und manchmal bewegen sich nur noch seine Mundwinkel ein klitzekleines bisschen." Aber wenn Jonathan in seine Augen schaut, dann kann er die Freude in ihnen sehen.

Der kleine Junge hat mit der Krankheit seines Großvaters und dessen Behinderungen umzugehen gelernt. Liebe- und verständnisvoll muntert er ihn bei seinen Besuchen am Wochenende auf, vertauscht gar die ursprünglichen Rollen. So liest der kleine Knirps - auch wenn er eigentlich noch gar nicht lesen kann - seinem Opa aus dem Bilderbuch vor bzw. erzählt ihm, was auf den Bildern zu sehen ist. Er knöpft ihm die Jacke zu und bindet dessen Schnürsenkel. Oder die Zwei sitzen zusammen am Computer und gucken sich Sachen an.
Auch wenn Opa etwas länger braucht, um zu antworten oder zu reagieren, so kommt das nur daher, das seine "Zitter-Ritter-Krankheit" ihn überall langsam macht. "Langsam. Nicht dumm! Mein Opa ist genauso schlau und lustig, wie er ohne seine Ritterkrankheit war! Nur eben viel, viel langsamer."
Lieb hat der Bub seinen Opi auf jeden Fall so "wie immer, immer, immer!"

Kindgerechte Sprache, fantasievolle Illustrationen
Dagmar H. Mueller ist es gelungen, ein schwieriges Thema wunderbar für Kinder aufzubereiten. Das Buch verschweigt nichts und nimmt gerade so die Angst vor der Krankheit oder das Unverständnis dem Patienten gegenüber.
Der Text ist für ein Bilderbuch sehr ausführlich, wird aber zu keiner Zeit langatmig. Das Thema braucht die Wiederholungen, die unterschiedlichen Erklärungen und die vielen Beispiele. Kurze, prägnante Sätze und die frische, lebendige und lebensnahe, kindgerechte Sprache erleichtern das Verständnis und das Vorlesen.

Das Verhältnis der Illustration zum Text ist sehr ausgewogen.
Verena Ballhaus findet mit ihren fantasievollen Zeichnungen, die mit klarem, kräftigem Strich die zwei Hauptpersonen umreißen, gelungene und eindrucksvolle Bilder für die Gedankenwelten von Opa und Enkel. Manchmal wirbeln sie beinahe losgelöst durch das Bild, immer begleitet von dem bedrohlichen großen Ritterschatten des Großvaters. Ballhaus spielt mit Perspektive und Größenverhältnissen und bringt gerade so die Gefühle der Zwei wirkungsvoll zum Ausdruck.
Äußerst treffend das Bild vom einsam und verloren hoch oben auf seiner riesengroßen Ritterburg sitzenden alten Mann, der den Berg nicht mehr hinabsteigen kann. Einprägsam die Darstellung der liebevollen Gefühle des erkrankten Großvaters für seinen Enkel in warmen roten, gelben und orangefarbenen großen Punkten, die in seiner Brust sitzen.

Fazit:
Großartig und mit erstaunlich viel Sachinformationen gelingt es Dagmar H. Mueller und Verena Ballhaus zu vermitteln, was die Symptome der Parkinson-Krankheit sind sowie ungewöhnliche Verhaltensweisen der Erkrankten besser zu verstehen.
Eine einfühlsame Geschichte, die Kindern erklärt, was in den betroffenen Menschen vorgeht.

Empfohlen für Kinder von 5 bis 7 Jahren.

(Heike Geilen; 03/2008)


Dagmar H. Mueller, Verena Ballhaus: "Opa sagt, er ist jetzt Ritter. Vom Leben mit Parkinson"
Annette Betz Verlag, 2008. 32 Seiten. (Ab 5 J.)
Buch bei amazon.de bestellen