Peter Braun: "Lust auf Literatur!"
Von
Taugenichts bis Steppenwolf - Eine etwas andere Literaturgeschichte
(Hörbuchrezension)
Eine
elegante, interessante und humorvolle kleine Reise in die Deutsche
Literatur
Um Jugendliche auch für die "staubigen Klassiker" zu
interessieren und vielleicht gar zu begeistern, hat Peter Braun einen
anderen Weg gewählt: Er zeigt die "Heroen" als ganz normale,
ja fehlbare und manchmal sogar am Leben zerbrochene Menschen, stellt
ihr Schaffen vor den Hintergrund ihrer ganz persönlichen
Geschichte und ihres jeweiligen politisch-sozialen Umfeldes.
Lessing, Goethe,
Schiller,
Heinrich
Heine, Thomas Mann und viele der anderen Klassiker erzeugen
bei jungen Menschen meist langgezogene Gesichter und Desinteresse. Vor
allem deren Sprache ist es, die bei Schülern häufig
zu Stöhnen oder gar Unverständnis ganzer Passagen
führt. Inspirierende Diskussionen, scharfsinnige Analysen
- Fehlanzeige; heruntergeleierte Gedichte, notgedrungen
überflogene Textpassagen - die Regel.
Und zugegeben, selbst wenn es einem wie Peter Braun ergeht, der im
Vorwort zu seinem Hörbuch "Lust auf Literatur!"
erwähnt, dass er sich im Großen und Ganzen an kaum
ein Buch aus seiner Schulzeit erinnert, das er im Deutschunterricht
besprochen und gelesen hat.
Aber warum ist das so?
Der Stoff war trocken, das Lesen selbst mühsam und die
großen Dichter waren allesamt schwer zugänglich. Die
meisten Lehrer haben leider nicht dazu beigetragen, die Staubschicht
von deren Büsten zu blasen.
Deutschunterricht hatte und hat viele Gesichter und leider nicht immer
ein frisches, spritziges. Im 17. Jahrhundert gab es ihn noch gar nicht,
im 19. Jahrhundert wurde er ideologisch missbraucht. Heute bietet das
Fach Deutsch alle Möglichkeiten, Leben und Kultur auf
vielfältige Weise zu erleben. Auch die Buchverlage
bemühen sich stetig, "alte" Literatur jungen Lesern
schmackhaft zu machen, sie an die Texte heranzuführen: Da wird
gekürzt und illustriert, nachgedichtet und vereinfacht. Doch
der alte Goethe bleibt der alte Goethe, und Faust bleibt Faust. Im
heutigen modernen Zeitalter, welches geprägt ist durch mediale
Reizüberflutung, schrille Werbung und Zurschaustellung, muss
versucht werden, junge Menschen auf andere, lockere Art und Weise mit
alten Texten vertraut zu machen.
Vielleicht würde man sich an die Bücher der Schulzeit
noch erinnern, wenn .. ja, wenn die Lehrer sich dazu herabgelassen
hätten, auch einmal pikante oder witzige Details aus dem Leben
der Schriftsteller zu erwähnen.
Das holt der Autor hier nach. Peter Braun, der gewissermaßen
seine Stimme dem Schauspieler Friedhelm Ptonk übertragen hat,
plaudert zum Teil charmant-witzig über die
Berühmtheiten. Vielleicht hätte man Schiller
vergnüglich gefunden, hätte man gewusst, dass Ludwig
Tieck vor Lachen vom Stuhl fiel, als er die "Glocke" las oder dass
Schiller sein eigenes "Lied an die Freude" nachher peinlich war.
Durchaus hätte man Eduard Mörike von einer anderen
Seite betrachtet, hätte man gewusst, dass er von seiner
Pfarraufsicht ein "faules Luder" genannt wurde und sich lieber krank
meldete, als zum Dienst zu erscheinen.
Braun holt die Dichter von ihrem hohen Sockel herunter und nimmt ihnen
den Lorbeerkranz ab. Den oftmals fast Glorifizierten haucht der Autor
Leben ins blutleere Gesicht, erlöst sie von ihrer Starre, ohne
jedoch ihre Leistung zu schmälern. Er macht aus "Helden"
normale Menschen, zeigt, dass die meisten dem Hunger näher
waren als dem Ruhm. Viele verzweifelten in Einsamkeit oder Krankheit,
manche begingen Suizid oder verfielen dem Wahnsinn, einige
saßen gar im Gefängnis.
E.T.A. Hoffmann war ein Trinker,
Georg Trakl schwer rauschgiftsüchtig, Hans Fallada
schoss im Morphiumrausch auf seine Frau, Lessing frönte dem
Glücksspiel.
Und viele waren schlechte Schüler.
"Keiner muss ein keimfrei guter Mensch sein, um ein gutes Buch
zu schreiben. Und oft werden Bücher noch weit spannender durch
das Wissen um die Lebensgeschichten, derer die sie schrieben."
Gerade weil Braun von den Lastern und Besonderheiten der Klassiker
schreibt, weil er ihre Krankheiten und auch ihr Scheitern nicht
unerwähnt lässt, bringt er sie dem Hörer
näher. Er weckt Lust auf ihre Werke und die in den
Büchern verborgenen eigenen, oft traurigen Lebensgeschichten.
Vom bedeutendsten Dichter der Aufklärung (Lessing),
über die Weimarer Klassiker (Goethe, Schiller), über
ausgewählte Vertreter der Romantik, des Biedermeier, des
Realismus und des Naturalismus bis ins frühe 20. Jahrhundert
spannt Peter Braun einen weiten Bogen und erzählt
über mehr als 200 Jahre literarisches Schaffen in Deutschland.
27 Lyriker, Schriftsteller und Dichter sowie eine Auswahl ihrer Werke
werden von ihm auf ebenso charmante wie natürliche Weise
vorgestellt. Die Kurzporträts sind wunderbar in die jeweiligen
politisch-gesellschaftlichen Zeitumstände eingebettet und mit
geschickten Überleitungen zum Folgekapitel versehen. Von Zeit
zu Zeit lockern Zitate oder Auszüge aus den einzelnen Werken -
wunderbar frisch und jugendlich vorgetragen von Dominik Freiberger,
Silvia Fink, Anja Niederfahrenhorst und Peter Lieck - die warme,
souveräne, wohltuend modulierte, charismatisch-nasale,
volltönende Stimme des Erzählers Friedhelm Ptok auf.
Und niemals wird mit Germanistenphrasen gequält.
Friedhelm Ptok vermag klar und untheatralisch das knappe, fast
schlagzeilenartige Stakkato der unkomplizierten, geradlinigen Sprache
Peter Brauns wiederzugeben, der in wenigen Sätzen die
politischen und gegebenenfalls sozialen Hintergründe
nachzeichnet, die Einfluss auf die Biografie und die Arbeit der
vorgestellten Schriftsteller nahmen.
Ganz sparsam fügen sich von Zeit zu Zeit zwischen den
einzelnen Kapiteln Musikstücke ein.
Fazit:
Ein wirklich gelungenes Hörbuch für Kinder ab 14
Jahren, welches sich gleichermaßen für den
Deutschunterricht wie für die private auditive
Lektüre eignet und ganz unaufdringlich einen wunderbaren
Zugang zu den Werken der Größen der deutschen
Literatur schafft.
Literatur hat viele Gesichter, und eine reizvolle, vielseitige Auswahl
davon findet man in Peter Brauns Hörbuch "Lust auf Literatur!
Von Taugenichts bis Steppenwolf - eine etwas andere
Literaturgeschichte".
(Heike Geilen; 09/2007)
Peter
Braun: "Lust auf Literatur! Von Taugenichts bis Steppenwolf - Eine
etwas andere Literaturgeschichte"
Gelesen von Friedhelm Ptonk u. a.
IGEL GENIUS, 2007. 4 CDs; Laufzeit 240 Minuten.
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