Toskana


Toskana: Impressionistische Farbgefüge und Stimmungen

Der Wilde Westen zwischen Meer und Weideland, die geheimnisvollen Turmstädte, archäologische Wunder über sechs Jahrtausende, die Marmorkathedralen der Alpi Apuane und überall die Spuren von Lorenzo il Magnifico.

Am ersten März 1890 fand in der "Maremma", dem Teil der Toskana von der Provinz Grosseto bis zur Grenze Latiums, ein ungewöhnlicher Wettbewerb statt: Die Cowboys des Oberst William Cody alias Buffalo Bill - sie befanden sich auf einer Welttournee in Rom - wurden von den "Butteri" des Grafen Caetani aus Sermoneta herausgefordert. Es ging nämlich um das Zähmen von wilden Pferden; die Amerikaner hätten die Pferde aus der Maremma zähmen müssen und die Toskaner jene aus den Vereinigten Staaten. Drei Tage lang dauerte das legendäre Spektakel, jeder wendete eigene Methoden an, die Amerikaner vermissten einen Saloon und die anderen die Büffel; es war ein harter Kampf, da es nicht nur um die Ehre ging, sondern auch um 15.000 Lire, damals sehr viel Geld. Laut Jury gewannen am Ende die Italiener, auch wenn die amerikanische Presse den Sieg den eigenen Cowboys zuschrieb.
Die "Butteri" - aus dem Lateinischen "boum ductor", Viehhüter - nennt man heute noch Cowboys der Maremma auf Grund ihres wilden Lebens. Es sind vielleicht Idealisten, die eine alte Tradition nicht aussterben lassen wollen und die täglich nicht nur mit wilden Pferden zu tun haben - die Butteri sind zwar nicht besonders groß, aber dafür aggressiv genug - sondern auch mit wilden Stieren, welche bis 1200 Kilo wiegen und die bei falschen Handlungen ihr Leben in Gefahr bringen können. Die Butteri verbringen den Großteil des Tages beim Reiten, egal ob den Bächen entlang, im Wald, am Seeufer oder in den Sümpfen; eher als ein Beruf ist es fast ihre Berufung, wenn man bedenkt, dass man mit dieser abenteuerlichen Arbeit nicht all zu viel verdienen kann. Aber diese außergewöhnlichen Menschen lieben ihre Tätigkeit und machen damit weiter in den wundeschönen Naturchoreografien ihres Landes, in der Ära der hochtechnologisierten Industrie.
Maremma bedeutet aber viel mehr als ein europäisches Wyoming ohne Revolverhelden; die kleinen Naturparadiese werden von einsamen Wachttürmen bewacht, die faszinierenden Basalt- und Granitklippen, die verborgenen Grotten, in denen sich heimische Seehunde verstecken, die einsamen Buchten, wo der Legende nach erst die Argonauten mit dem Goldenen Vlies landeten und später Verstecke für Piraten waren, die geheimnisvollen etruskischen Gräber und die eleganten römischen Mosaike.
Bis zur Mitte des 19. Jh. war dieses Gebiet eigentlich eine wahre Hölle für Mensch und Tier mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung, die selten 20 Jahre überschritt. Grund dafür waren die malariaverseuchten Sumpfgebiete, welche sich durch die Trockenlegung von Mussolini in ein fruchtbares Weideland verwandelten. Durch dieses schwierige und langwierige Unternehmen ist heute diese Ebene nicht mehr von einer feindlichen und brutalen Natur beherrscht, sondern voll von Pinienwäldern, von zahlreichen Stränden mit feinem Sand, von geheimnisvollen Ruinen, die merkwürdige Geschichten bergen, und von 5-Sternen Hotels, welche wunderschöne Ferienaufenthalte ermöglichen. Man denke an den Argentario, an Punta Ala, an den Golf von Follonica oder an die wunderschönen Inseln der Arcipelago Toscano.
Eine Besonderheit dieses Gebietes stellt die vielfältige Vegetation dar: Tamarisken duften im Wind, Pinien werfen wie Riesenschirme runde Schatten auf das smaragdgrüne Meer, Sträucher mit farbigen Blüten beflecken Hänge und die Kräuter verleihen der Luft eine Apotheose von Aromen.
Es gibt immer noch vereinzelte Kräutersammler, die der alten Tradition nach stundenlang auf die Suche gehen; in der Toskana zählt man ca. 2000 verschiedene Kräuterarten, alle unterschiedlich, einige mit mehr Bitterstoffen wie Malve, wilder Lauch, Radicchio und Scharlachsalbei, die gedünstet und mit Olivenöl und Zitrone serviert werden, andere ohne Bitterstoffe wie die Bibernelle mit ihren gezackten Blättern, die zum Würzen von Salaten verwendet werden; dann Rosmarin, wilde Zichorie, wilder Fenchel, wilde Spargel, Minze und noch eine ganze Reihe von Pflanzen, welche für den Laien lediglich gemeines Gras sind.
Man könnte sagen, dass in der Toskana die Steine den Himmel erreichen möchten. So viele sind die Türme, die man baute, runde Türme, eckige Türme, hohe Türme und konische Türme, voll von Geistern, Legenden, Zinnen, Falltüren und endlosen Geheimnissen.
Der wohl berühmteste ist der schiefe Turm von Pisa mit seinen 293 Stufen und achthundertsiebenundzwanzig Jahre alt. Reich an astronomischen und allegorischen Symbolen stellt er eine Art Enzyklopädie des mittelalterlichen christlichen Wissens dar; die Schiffe des Reliefs am Eingang des Turmes zum Beispiel segeln in den Hafen und symbolisieren sowohl den Schutz der Mutter Gottes als auch die Berufung der Kirche, sich auf der Welt auszubreiten.
Der Turm ist mit sieben Glocken versehen, welche eigene Name haben: Die erste wurde im Jahre 1262 gegossen und heißt "Glocke der Justiz"; nach der Tradition kündigte sie den Tod des Grafen Ugolino an, was auch der Dichter Dante Alighieri in der "Hölle" seiner berühmten "Göttlichen Komödie" erwähnte, die zweite heißt "Glocke des Brunnens", die dritte "Glocke der Maria-Himmelfahrt". Ihr folgen San "Ranieri", "Terza" und "Vespuccio" bis zur neuesten, der "Glocke des Kruzifixes", welche im Jahre 1818 hinzugefügt wurde.
Die berühmte Neigung ist auf eine plötzliche Senkung des Bodens zurückzuführen - im Gegensatz zu der Behauptung, dass sie seitens der Architekten Bonanno, Giovanni da Simione und Tommaso di Andrea Pisano Absicht war - und vergrößert sich durchschnittlich 1 mm pro Jahr; durch zahlreiche Interventionen mit Hilfe computerisierter Berechnungen war man in der Lage, die Gefahr des Einsturzes einzudämmen und seine Wiedereröffnung nach mehr als zehn Jahre Sperre zu ermöglichen. Wissenschaftler aus aller Welt schrieben Theorien und schlugen Lösungen vor, es wurden Tausende von Seiten statischer Studien veröffentlicht mit dem Ergebnis, dass der Zusammenhang der möglichen Kombinationen von Ursache und Effekt dermaßen kompliziert und schwer berechenbar ist, dass nur eine ständige Beobachtung und die Anwendung von immer neuen technischen Mitteln die Erhaltung des Turmes garantieren können.
Fast ein Wächter der Erinnerung an die prunkvolle Zeit der alten Römer und gleichzeitig damaliges wichtiges Mittel zur rechtzeitigen Entdeckung von sich nähernden Feinden ist der Torre Guinigi in Lucca; vollkommen aus Backstein gebaut und mit tragenden Bögen im Erdgeschoss hat er die Besonderheit, dass auf seiner Dachterrasse Olivenbäume und Lärchen wachsen, eine Art hängender Garten. Als Teil des gleichnamigen romanisch-gotischen Ansitzes überragt er das damalige Amphitheater, das heute zum spektakulären elliptischen Platz der Stadtmitte geworden ist.
Der Turm birgt eine dramatische Liebesgeschichte in sich, welche sich zwischen Legende und Wahrheit bewegt, und zwar die des Grafen Guinigi und seiner Braut Ilaria. Wie es des öfteren vorkam, waren die Herren des Mittelalters besitzergreifend und daher meistens eifersüchtig. Und so kam es, dass die unmotivierte Eifersucht dieses arroganten Herrschers Luccas ihn zur Entscheidung führte, seine Frau umbringen zu lassen, und zwar durch Vergiftung; unbestätigten Chroniken zufolge wehrte sich aber bei der Tat das kleine Hündchen der Dame mit dem Resultat, dass ihm auch das gleiche Schicksal zustieß, wie das Relief auf Ilarias Sarkophag erzählt. Über den Tod und um den Sinn des Lebens zu verstehen sind die zahlreichen etruskischen Ruinen die deutlichsten Zeugen einer geheimnisvollen Vergangenheit. Sie entpuppen sich in Form von Nekropolen, Grotten und monumentalen Gräbern und sind sowohl an der Küste als auch im Landesinneren zu finden. Von Vitozza bis Vetulonia und von Populonia bis Sovana kann man in die Emotionen, in den Charme und in die Geheimnisse archaischer Völker hineintauchen. Es handelt sich um eine außergewöhnliche Reise in die Welt des Jenseits, wo der Tod nicht dunkel, traurig und negativ war sondern als Zugang zu dem Reich des ewigen Lichtes erlebt wurde. Zyklopische Mauern umkreisen befestigte Städte mit Tempeln und riesigen Grabkammern, in denen Begleitgegenstände aus Gold, Silber und Bronze, Filigrane und bemalte Vasen zu finden sind, mehr als 200 Höhlen wurden im Tuffstein geschaffen und dienten als Häuser mit Treppen, Öfen, Nischen, Brunnen, Röhren und Wänden voll von regelmäßigen Löchern für die Zucht der Tauben.
Das Meisterwerk der etruskischen Begräbnisstätten ist zweifellos die "Tomba Ildebranda" in Sovana; es stammt aus dem 3. Jh. v. C., hat die Form eines Tempels mit Säulen, deren Kapitelle menschliche Köpfe darstellen.
Aber nicht nur das mysteriöse Volk der Etrusker hinterließ in der Toskana Zeichen seiner Kultur: Noch geheimnisvoller und zauberhafter sind die Stelen in Pontremoli, welche vor über 5000 Jahre gemeißelt wurden und vielleicht heilige Idole einer prähistorischen Gesellschaft darstellen, oder die teils geköpften Statuen in der "Opera della Primaziale" in Pisa, alle aus Kalkstein und mit der noch nicht entschlüsselten Bedeutung.
Der Mond auf Erden: Weiße steile Wände bestimmen die Landschaft, weißes Pulver fliegt in der Luft und alles lebt in weiß in den Alpi Apuane. Es handelt sich um die Berge des berühmten Carrara Marmors, der Michelangelo faszinierte und der seit dem Jahre 177 v. C. von den alten Römern verwendet wurde und heute aus ca. 90 Gruben, fast alle Openair, gewonnen wird. Die merkwürdigen riesigen Kathedralen aus quadratischen Blöcken glitzern in der Sonne und überall hört man das typische Pfeifen des Diamantfadens, der Marmor schneiden kann, als ob es Butter wäre. Die gesamte Gegend lebt von dieser Art von "weißem Gold", dessen berühmteste Stätte die Höhle von Torano ist; hier findet man nämlich den Statuenmarmor, nicht ganz weiß, sondern mit der Farbe des Elfenbeins, welchen Michelangelo für seine göttlichen Skulpturen verwendete.
Die Toskana besaß vor 500 Jahren noch ein Genie der Kultur, der modernen Weltanschauung und der hohen Werte: Lorenzo il Magnifico; vielleicht wäre es richtiger, wenn man sagen würde, dass Lorenzo de Medici, genannt il Magnifico, die Toskana besaß; der Florentiner nämlich herrschte und beherrschte alle damaligen Stadtstaaten - Pisa, Siena, Arezzo usw. mit Ausnahme von Lucca - d.h. bestimmte die Politik, die Kunst, die Kultur und sogar die Küche. Es gab im 15. Jh. ein Gesetz, das prunkvolle Festmahlzeiten mit mehr als drei Gängen untersagte. Also was tun? Lorenzo war listig und schaffte es, dieses Gesetz erfinderisch zu umgehen: Alle Gerichte mit Fleisch wurden nämlich mit süßen Zutaten serviert und auf diese Art aß man zum Beispiel Pasteten mit Schinken und Wurst gefüllt und mit Datteln und Mandeln bestreut; bei bestimmten festlichen Gelegenheiten wurden sogar Statuen aus Zucker angefertigt oder Kompositionen aus den verschiedensten Zutaten. Auch wenn die toskanischen Gerichte tendenziell relativ einfach waren, gab es auch Ausnahmen: In der Zeit der Renaissance nämlich übernahmen die florentinischen Köche einige Rezepte von ihren französischen Kollegen, welche Béchamel und Mayonnaise sind, und verkomplizierten damit die gesamte Küche.
Heute ist die Toskana ein Eldorado für Gourmet-Genießer und Weinfreunde: Der König ist nach wie vor das Olivenöl - aber nur aus der ersten Pressung 24 Stunden nach der Ernte - und die Kronprinzen die Kräuter; dann taucht die Königin Bistecca alla Fiorentina auf - Steak so groß wie eine Tischplatte - von dem Grafen Pecorino aus der Maremma begleitet. Andere Adelige folgen, nämlich die Torta di Verdure - eine Pastete aus Mangold und kandierten Früchten -, die verschiedenen Arrosti o Spiedini - Braten und Schweinewürste mit Brot, Lorbeerblättern und wildem Fenchel - und die allgegenwärtigen Panforte, Cantucci und Ricciarelli, die ursprünglich aus Gewürzen und gemahlenen Mandeln aus dem Orient hergestellt wurden. Also, fertig für das Fest! Was fehlt eigentlich? Soviel des Guten muss auf jeden Fall begossen werden. Und hier treten die Pagen und die Ballerine auf, um dem Ganzen das gewisse Etwas zu verleihen: Sangiovese, Montalcino, Chianti, Valpolicella, Nobile di Montepulciano tanzen dann zwischen Zypressen und Hügeln, landen mit ihren entzückenden Farben und Bouquets in kristallklaren Gläsern und vermählen sich endlich mit den ausgezeichneten Speisen.
Applaus, Applaus!


(Dr. Gianni Lorenzo Lercari ©)