Die Perücke

Im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Bartlosigkeit, erlebte nicht nur die Profession der Barbiere eine zuvor ungekannte Blüte, die sich auch in der Kultur widerspiegelt. Am Ende des 17. Jahrhunderts teilte sich das Gewerbe der Bader in das traditionelle Handwerk einerseits und in das der Perückenmacher andererseits. Letzteres, eindeutig ein Handwerk des Luxus, entfaltete sich zunächst in Frankreich als dem Geburtsort der barocken Schönheitspflege und Repräsentation. Erst mit mehreren Jahrzehnten Verzögerung folgten die deutschen Fürstenhöfe der französischen Sitte, um sie jedoch dann vollkommen zu übernehmen.
Die Mode, tagein, tagaus eine Perücke zu tragen, geht zunächst auf den früh erkahlten französischen Bourbonenherrscher Ludwig XIII. zurück. Er schämte sich, haarlos vor seinen Hof zu treten, wurde doch die Haarfülle als Symbol der männlichen Potenz angesehen. Da sich Ludwig zudem eher seinem eigenen Geschlecht zugeneigt fühlte, wollte er keinen weiteren Gerüchten über seine Männlichkeit Nahrung geben. Er kompensierte sein körperliches Manko mit einer hüftlang gelockten und naturfarbenen Perücke. Die Mode der Frauen blieb zu diesem Zeitpunkt davon noch unberührt. Der modischen Eingebung ihres Herrschers mußte sich zwar die gesamte männliche Aristokratie in den folgenden Jahren mehr oder weniger anpassen. Das Bürgertum, insbesondere die calvinistische Stadtbevölkerung, stand der eitlen Mode von Anfang an abweisend gegenüber.
Der mit dem französischen eng verwandte englische Hof folgte zunächst als einziger dem Vorbild Ludwigs XIII., sah sich aber gleichfalls in eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Bürgertum verwickelt. Die puritanischen Reformer des Bürgertums lehnten den eitlen Schmuck der Stuart-Höflinge kategorisch ab und kreierten ihrerseits eine Mode, die als "Roundheads", als Rundköpfe, in die Geschichte einging. Der Begriff "Roundheads" bezeichnete später alle Gefolgsmänner der Bürgerkriegspartei rund um Oliver Cromwell. Erst mit der Restauration der Stuarts kehrten die Perücken wieder auf die britische Insel zurück. Der französische Hof des Sonnenkönigs, den sie als Zufluchtsort gewählt hatten, diente als Vorbild für das restaurative Regime. Ludwig XIV. prägte allerdings nicht nur die Mode in St. James entscheidend, sämtliche absolutistischen Höfe Europas waren bereit, seiner Art der Selbstinszenierung und seiner Haarmode zu folgen. Widerstand dagegen kam sowohl in England als auch in der Neuen Welt von den Puritanern. Sie vermochten aber nie einen tatsächlichen Einfluß auf die Inszenierung der Politiker zu nehmen. Bis 1817 ließen sich alle amerikanischen Präsidenten auf ihren offiziellen Porträts mit einer Perücke abbilden, wenngleich die ausladende und pompöse Haartracht des 17. Jahrhunderts längst einer wesentlich bescheideneren weißen Lockenpracht gewichen war. Ludwig XV. und sein Hof bewirkten eine neuerliche modische Wendung, nachdem auch diesem König durch die Windpocken die Haare ausgegangen waren. Ludwig bevorzugte die kurze, weiß gepuderte Perücke, die noch heute jeden einschlägigen Kostümfilm prägt. Einzig die dandyhaften "Maccaronis" am englischen und französischen Hof trugen extravagante, gepuderte Perücken, die hoch wie Türme über ihren Häuptern aufragten und auf ihren Spitzen zusätzlich winzige Hütchen balancierten. (...)


Daniela F. Mayr, Klaus O. Mayr: "Von der Kunst Locken auf Glatzen zu drehen"
Spätestens seit Erfindung des Frisiersalons gut 300 Jahre vor Christus gilt auch im Alltag, was in der Politik schon lange galt: das Haar macht den Mensch. Schon ägyptische Pharaoninnen mußten sich künstlich das Kinn verzieren – galt der Ziegenbart doch als Symbol der Macht. Und Alexander der Eroberer revolutionierte seine Armeen, indem er den Soldaten den Bart abschneiden ließ. Fortan konnte sie keiner mehr mit einem Zug am Rauschebart kampfunfähig machen. In ihrem mit wunderbarer Eleganz geschriebenen Buch sind die Geschwister Mayr der Spur der Haare quer durch die Welt-, Kultur- und Zivilisationsgeschichte gefolgt: von Barbarossas rotem (!) Bart bis zu Fidel Castro, von der Perückenmode des glatzköpfigen Ludwig XIII. über Trendsetter wie Jaqueline Kennedy und David Beckham bis zu den künstlichen Wimpern der drag-queeens und der rasierten Scham moderner Porno-Größen. Sie erfahren, welche Haarfarbe in der Antike die beliebsteste war, warum auch Keltenmänner sich die Beine epilierten, warum Marx, Lasalle, Bebel, Kautsky Bärte trugen, Thierse immer noch einen hat, Blair, Schröder, Haider aber nicht. Beim Bart der Pharaonin: Das unterhaltsamste Buch, das je übers Haar geschrieben wurde. Erstaunliches, erbauliches, entzückendes und verrückendes über Bart-, Haupt- und Achselhaar, Wimpern, Perücken und Friseursalons aus mehr als zwei Jahrtausenden. (Eichborn)
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