Miklós Bánffy: "Verschwundene Schätze"


Zweiter Teil von Bánffys bedeutungsschwerer Siebenbürgen-Trilogie

Wenige Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs spiegeln die Aristokraten in den europäischen Monarchien eine heile Biedermeier-Welt vor, um nicht den Abgrund sehen zu müssen, auf den sie immer schneller zusteuern. Das gilt auch für den Vielvölkerstaat der Habsburger, ein zunehmend labiles Gebilde. In etlichen seiner Territorien bringen nationalistische Strömungen das Gefüge zum Wanken, so auch in Siebenbürgen.

Bálint Abády, ein junger Siebenbürger Graf und Parlamentsabgeordneter, nimmt sein schwieriges Amt ernst und ist auch gern dazu bereit, die Angelegenheiten zu ordnen, die die Güter seiner verwitweten Mutter betreffen. Dies umso lieber, weil er auf diese Weise Adrienne näher sein kann, seiner verheirateten Geliebten, mit der er eine gemeinsame Zukunft plant. Allerdings wehrt sich seine Mutter vehement gegen die Verbindung, und Abády droht der Verlust eines Großteils seines Erbes, sollte er sich weiter mit Adrienne einlassen. Zudem hat Adriennes cholerischer und heimtückischer Ehemann Verdacht geschöpft und bedroht Adrienne wie auch Abády. Adrienne, die von ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter gequält wird, müsste es eigentlich leichtfallen, ihre Scheidung voranzutreiben, doch dann kommt es zu einer unvorhergesehenen Wendung.

Parallel zu dieser Geschichte entwickelt sich der tiefe Fall von Abádys Verwandtem László Gyerőffy, auch er Graf und aufgrund einer unglücklichen Liebe der Spielsucht und dem Alkohol verfallen. Er ist ein Frauenliebling, und auch in seinem verzweifelten, demütigenden Zustand versuchen Frauen, ihn vor sich selbst zu retten. Doch Gyerőffy will nicht gerettet werden.

Den zweiten Teil von Bánffys Trilogie kann man auch problemlos verstehen, ohne den ersten Band zu kennen, man findet gut in die Handlung hinein; allerdings entfalten sich die Charaktere vor dem Leser besser, wenn man zuvor "Die Schrift in Flammen" gelesen hat, insbesondere Abády und Gyerőffy.

Beide Protagonisten stehen in gewisser Weise für ihr Land, beide vollführen einen Tanz am Rand des Vulkans. Sie müssen sich Konventionen beugen, die vor den gewaltigen politischen Umwälzungen nur noch lächerlich wirken. Während Abády sich anpasst und die gesellschaftlichen Verpflichtungen des auf komplizierte Weise durchweg versippten Siebenbürger Adels erfüllt, steigt Gyerőffy aus. Abády kämpft systematisch für Gerechtigkeit und gegen bösartige Intrigen, ebenso für seine Liebe, Gyerőffy treibt dahin und verelendet.

Bánffy lässt den Leser am Leben und Leiden der von ihm Porträtierten geradezu unmittelbar teilnehmen, er zeigt die Probleme auf, mit denen sich ernsthafte Menschen wie Abády befassen, ebenso jedoch die Oberflächlichkeit, Engstirnigkeit und fast zwanghafte Promiskuität der meisten anderen Menschen aus seiner Gesellschaftsschicht, die Miklós Bánffy, selbst Graf aus Siebenbürgen, sehr gut kannte. Mit Abády erlebt der Leser wichtige politische Ereignisse und Debatten, wirtschaftliche und politische Erfolge und persönliches Scheitern im Wechsel mit glücklichen Momenten.

Der Autor versteht es, Spannungsbögen zu bauen und intensive Dialoge zu gestalten. So zieht sich die Lektüre der weit über fünfhundert gehaltvollen Seiten an keiner Stelle. Und der Leser beendet die Lektüre in der Hoffnung auf ein baldiges Erscheinen der Fortsetzung.

(Regina Károlyi; 03/2013)


Miklós Bánffy: "Verschwundene Schätze"
(Originaltitel "És hijjával találtattál")
Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka.
Zsolnay, 2013. 574 Seiten.
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Miklós Bánffy wurde am 30. Dezember 1873 in Klausenburg geboren, studierte Jura, leitete zwischen 1912 und 1918 die Budapester Oper und das Nationaltheater und war 1921/22 ungarischer Außenminister. 1926 optierte er für die rumänische Staatsangehörigkeit. Er starb 1950 verarmt in Budapest.

Zwei weitere Romane des Autors:

"In Stücke gerissen"
zur Rezension ...

"Die Schrift in Flammen"
Luxuriöse Bälle und große Jagden auf prächtigen Landschlössern, Affären in Budapester Palais, Duelle im Morgengrauen, Intrigen im Parlament: Sie bilden den Hintergrund dieses Romans, der die untergehende Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Sicht der beiden jungen Grafen Bálint Abády und László Gyeröffy schildert. Das Buch erzählt vom Versagen der herrschenden Schichten und entwirft ein Gesellschaftsbild vom Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dieser erste Band der "Siebenbürger Geschichte" wurde vor dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn publiziert, Jahrzehnte später wiederentdeckt und erstmals auf Deutsch veröffentlicht. (Zsolnay)
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Noch ein Lektüretipp:

Szilárd Rubin: "Die Wolfsgrube"

Sechs alte Schulfreunde kommen mit ihren Frauen zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren zu einem gemeinsamen Wochenende in einem Landhaus zusammen. Die Wiedersehensfreude ist groß, aber schon bald stellt man fest, dass man sich voneinander entfernt hat. Es kommt zu Verstimmungen, bis schließlich bei "Mörder und Detektiv", einem harmlosen Gesellschaftsspiel, das die Lage entspannen soll, das Unfassbare passiert: Nachdem für kurze Zeit das Licht gelöscht war, liegt eine der Mitspielerinnen erdrosselt im Wohnzimmer. Hauptmann Beke, Ermittler der ungarischen Spionageabwehr, macht sich umgehend daran, den Fall aufzuklären. Im Folgenden spielen verstecktes Geld, ein Selbstmord mittels Zyankalikapsel, ein möglicher Doppelgänger und englischer Geheimagent, giftige Pilze und ein dubioser Wildschweinbraten eine Rolle - ein wahnwitziger Reigen von Ereignissen, in dem sich alle vermeintlichen Wahrheiten verflüchtigen ...
"Die Wolfsgrube" liest sich packend, und zugleich zeichnet Szilárd Rubin das Bild einer Gesellschaft, die von alten Vorurteilen und ewiger Missgunst zerfressen wird. Ein fesselnder Krimi und eine zeitlose Parabel auf den Menschen, der dem anderen immer und überall ein Wolf ist. (Rowohlt Berlin)
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