(...)
Der Philosoph war ein dienstfertiger Mann, der seine Entdeckungen gern mitteilte, und er hatte daher viele Besuche, zuweilen auch die Ehre, Frauenzimmer bei sich zu sehen. Um demselben eine Freude zu machen, wurde ich zum Unglück eines Morgens, da ich mir es am wenigsten vermutete, meiner Familie entrissen, und auf das Foltergerüste eines Sonnen
vergrößerungsglases geleget. Nachdem ich ihrem Erstaunen und Vergnügen bei nahem eine Stunde hindurch entsprochen hatte, ließ mich Unmenschlichkeit und Undankbarkeit zwischen den beiden Stücken des Fernglases, durch welches ich gezeiget worden, hungernd liegen. Also blieb ich drei Tage und drei Nächte eingemauert; und in der vierten würde ich unfehlbar umgekommen sein, wenn ein Junge von sieben Jahren, der aus Unbehutsamkeit allein im Zimmer gelassen worden, seine Finger nicht in die Höhle gestecket, darin ich eingeschlossen war, und mich mit einmal in Freiheit gesetzet hätte. Doch war ich überaus schwach, und, weil das Fenster offen stand, wehete mich der Wind durch dasselbe gegen der Gasse hinaus, und ich fiel auf die unbedeckte Perruque eines Arztes, der eben vorbeiging, um einen Kranken zu besuchen. Dieses war das erstemal daß ich in einer Perruque einzog, einem kaum weniger abscheulichen Orte, als das Vergrößerungsglas war; ich fand sie gleich einer öden Wildnis, ohne Einwohner und ohne Grenzen. Ich durchkreuzte sie bald nach dieser bald nach jener Seite, ohne zu wissen nach welcher Himmmelsgegend, und verzweifelte bald, wieder einmal zur Nahrung und Ruhe zu gelangen; durch diese ungläubliche Mühe wurden alle meine Lebensgeister erschöpfet, ich konnte mich unmöglich mehr halten, und fiel bei nahem in einem Stande der Unempfindlichkeit von dem Gipfel des Labyrinths, in welchem ich mich verirret hatte, auf den Kopf eines Kranken im Spitale, über welchen sich, wie ich nachwärts merken konnte, der Arzt gebückt hatte, um die Zunge zu betrachten.

Wärme und Nahrung, dazu ich hier gelangte, belebten mich bald wieder. Ich erfreute mich über meine Befreiung, und glaubte nichts weiter zu beförchten zu haben, als den Tod des Kranken, der mich so gut beherbergte. Doch sahe ich meinen Irrtum nur zu bald ein: Unter andern Patienten in der nämlichen Stube lag ein Kind von ungefähr sechs Jahren, das wegen einem Bruche hineingekommen war, und nun die Gelbsucht hatte. Gegen diese Krankheit hat die Wärterin, in Abwesenheit des Arztes, eine gewisse Zahl von Geschöpfen meiner Art verordnet die ihm lebendig in einem Löffel voll Milch sollten eingegeben werden. Man machte sogleich eine Sammlung, und ich kam unter die unglückliche Opfer, welche Unwissenheit und Unmenschlichkeit dem Verderben gewidmet hatten; ich fiel in den Trank, und sah mich dem greulichen Schlunde nahe, von welchem ich glaubte, daß er sich den Augenblick hinter mir schließen werde; die einzige schwache Hoffnung blieb mir übrig, ich werde vielleicht unbeschädigt den Schlund hinunter kommen, und mich im Abgrunde irgendwo seßhaft machen können. Mein Schicksal aber hatte es anderst beschlossen: das Kind, das verdrüßlich und zornig wurde, schlug der Wärterin den Löffel aus der Hand; und durch unglaubliche Bemühungen gelangte ich wieder auf des Kranken Kopf.

Ich wünschte mir wieder Glück zu meiner fast wunderbaren Errettung, als ich durch einen Barbierer erschreckt wurde, der sich mir mit seinem fürchterlichen Handwerksgeräte näherte. Ich erfuhr bald, daß der Mann, dessen Kopf ich mir zur Freistätte gewählet hatte, wahnsinnig geworden, und daß man das Haar wegscheren mußte, um nach Befehl des Arztes ein Pflaster auflegen zu können. Itzt entfiel mir der Mut ganz, und alle meine Hoffnungen verließen mich. Ob ich aber gleich in den Schaum des Seifenwassers geriet, so wurde ich doch unbeschädigt auf des Operators Sudeltuch gelegt; ich hängte mich ihm an; und als er Ihnen, mein Herr, diesen Abend den Bart herunter nahm, kroch ich an Sie; und diesen Augenblick bin ich aus den Falten Ihrer Halsbinde gekrochen, die Sie neben sich auf diesen Tisch geleget haben. Ob dieser Zufall für mich glücklich oder unglücklich sein werde, kann nur die Zeit entdecken; ich hoffe aber noch immer, einen Wohnort zu finden, dahin kein Kamm dringen wird, da keine Nägel nie kratzen werden; sicher vor der Schere, und kein Barbiermesser förchtend; wo ich den übrigen Teil meines Lebens in vollkommener Sicherheit werde zubringen können, in erfreulicher Ruhe mitten unter dem Zulächeln der Gesellschaft, und in reichem Überflusse. (...)


(aus "Die Abenteuer einer Laus" von Gottlieb Konrad Pfeffel; 28.7.1736 - 1.5.1809)