(...) Es ist schwierig und obszön, dem Blick eines Mannes auszuweichen, der so viel Blut verliert, daß er sterben wird, aber noch schwieriger ist es, seinem Blick standzuhalten und den Versuch zu wagen, einzutauchen in den sich plötzlich auf seinen Netzhäuten bildenden Strudel aus widersprüchlichen Gefühlen und Geheimnissen, die mit in den Tod genommen werden. Es ist schwierig und mühsam, in einer noch nicht erkundeten Stadt dem Todeskampf eines Unbekannten beizuwohnen (bald schon sollte ich erfahren, daß es sich um den Kunsthändler und Fälscher Fabio Valenzin handelte), wenn die Nacht jenes Ausmaß an Vorsätzlichkeit oder Heimtücke erreicht hat, das den Tod zu einer unwiderruflichen Tatsache werden läßt. Es ist schwierig und empörend, einen Mann auf einer schneebedeckten Straße verbluten zu sehen und eine Übersetzung für die Verwünschungen in einer fremden Sprache, verworren oder aufschlußreich, wer weiß, zu suchen, die er Sekunden vor dem Tod murmelt. Es ist schwierig und undankbar, zuzusehen, wie Blut aus einer Brust quillt, und weder über eine stillende Mullbinde zu verfügen noch über die rechten Worte, die dem Sterbenden als lindernder Balsam oder letzte Wegzehrung dienen könnten, noch auch nur die Entschlossenheit aufzubringen, die man benötigt, um Hilfe zu rufen oder die Polizei zu benachrichtigen. Es ist schwierig und kann einen zur Verzweiflung treiben, das Röcheln eines Mannes zu hören, dessen Leben mitten auf einer verlassenen Straße zu Ende geht, während das Wasser der Kanäle schläfrig vorübergleitet wie ein Sarg, und auf der Suche nach Beistand weder die Nachbarschaft noch ihn selbst wecken zu können durch Schreie, auf die man als Antwort doch nur ein abweisendes Schweigen erhält, das von den Steinen widerhallt. Es ist schwierig und schicksalhaft, in einer von Gott und der Welt verlassenen Stadt mit einem Mord konfrontiert und in seine Aufklärung verwickelt zu werden, wenn man ursprünglich dorthin gereist ist, um Licht in andere, sympathischere Angelegenheiten zu bringen. Der Tod Fabio Valenzins in meinen Armen war notwendig, damit ich mir des Schicksals, das auf mich wartete, bewußt würde. Doch solange Venedig den Hintergrund meiner durchwachten Nächte darstellte, würde das Schicksal mir zürnen: Auf die unmittelbare Gegenwart des Todes sollte bald der unvermittelte Auftritt der Liebe folgen, jenes andere, vielleicht noch endgültigere Naturereignis. (...)
aus "Trügerisches
Licht der Nacht" von Juan Manuel de Prada Roman »
Vielleicht war der Schnee das erste warnende Zeichen, das Venedig mir gab, die
erste Anspielung auf das Unglück, das mich in seinen Straßen erwartete, ein
Unglück, das sich langsam entwickelte wie ein
Fluch
und sich seinen Weg genauso verstohlen suchte wie der Schnee, der auf die Lagune
fiel, wo er augenblicklich Flocken bildete, als wäre er auf eine trockene Oberfläche
gefallen.«
Der junge spanische Kunsthistoriker Alejandro Ballesteros reist nach Venedig,
um das Gemälde, über das er promoviert hat, im Original zu betrachten. Es handelt
sich um Giorgiones rätselhaftes Bild »Das Gewitter«. In nur vier Tagen wird
seine Vorstellung von Kunst und Leben, Wirklichkeit und Fiktion, Wahrheit und
Irrtum in Frage gestellt. Venedig zeigt sich ihm düster, bedrohlich, morbid.
Und er selbst gerät in einen Strudel von Ereignissen, als er Augenzeuge des
Mordes an Fabio Valenzin wird, dem berühmt-berüchtigten Kunstfälscher. Er verliebt
sich in eine außergewöhnliche Frau, bringt den Koffer des Ermordeten an sich
und findet sich plötzlich in Kreisen wieder, für die Geheimnisse und Verbrechen
zum Alltag gehören. Eine bewegende und spannende Geschichte aus der Stadt, in
der Leben und Kunst nicht voneinander zu trennen sind. (Klett-Cotta)
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Weitere Bücher von Juan Manuel de Prada:
"Junge Damen
in Sepia"
In der Diele, den ganzen Haushalt beherrschend, hängt das Porträt des Großvaters.
Eine Aura umgibt ihn, eine Würde, die »man eher bei Mördern und Asketen« vermutet.
Er ist der berühmt-berüchtigte Ahnherr, den der Enkel in wilden Tagträumen bei
seinen Ausschweifungen und Verschwörungen begleitet. Bis er auf eine Randnotiz
in einem Gedichtband stößt, die unvermutet eine andere Person zeigt. »Ich habe
mich nach Liebe gesehnt und schon geglaubt, sie mit meinen Fingerspitzen zu
berühren...«
Der Junge sucht nach der Vergangenheit.
Photograph
sei der Großvater gewesen, erfährt er, und eine Nachbarsfamilie hat sogar noch
die Bilder, mit denen er handelte: pornographische Aufnahmen junger Mädchen
in den verklemmten Posen der Jahrhundertwende, sepiagetönt wie aus einer anderen
Zeit. Der Großvater, der einsame Voyeur, unfähig zur Liebe. Noch erschreckender
aber ist, daß der Junge plötzlich erkennt, er ist dem Großvater tatsächlich
verbunden - nicht im Abenteuer, sondern in seiner Einsamkeit. Sie sind vom gleichen
Schlag.
De Prada zeigt die Schattenseiten der Dinge, die schreckliche und absurde Innenansicht
einer verborgenen Realität, eines wahren Hexensabbats. Kinder, die bald keine
mehr sein werden, zu jeder Niedertracht fähige Strebernaturen, an Mittelmäßigkeit
erkrankte Schriftsteller, sagenhafte Bohemiens - sie alle fügen sich zu einem
Mosaik zusammen, das Juan Manuel de Pradas kriminelle, rücksichtslose und gefühlsbetonte
Prosa entstehen läßt. Dieses Buch eröffnet neue Welten und läßt den Lesern keine
ruhige Minute.
"In den Winkeln
der Lüfte"
Ein ungewöhnlicher Roman über eine ungewöhnliche Frau und ihr gefährliches Leben:
Dichterin,Vorkämpferin des Feminismus, Journalistin, Athletin, Kriegsberichterstatterin,
Straßenmalerin im Vorkriegs-Paris, Kollaborateurin, Professorin für die katalanische
Sprache. Befreundet mit Lorca.
Der junge Ich-Erzähler ist überzeugt: er wird ein berühmter Schriftsteller werden.
Um seinem Ziel näher zu kommen, hat er mit einem abgehalfterten Kulturkritiker
einen Deal gemacht: je nach finanziellem Bedarf verhökert er dessen Bibliothek,
doch erst nachdem er die Bücher in schlaflosen Nächten förmlich verschlungen
hat.
Ein Name, zufällig in einem Sammelband mit Essays gefunden, fesselt ihn: Ana
María Martínez Sagi. Eine von einem Geheimnis umgebene junge Frau, eine glänzende
Lyrikerin, eine selbstbewußte, eigenwillige Erscheinung (so jedenfalls wird
sie beschrieben). Das war in den späten zwanziger Jahren. Die Suche nach ihr
wird zur Passion.
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