Leseprobe aus "Rette mich!. manche Kinder werden ohne Schutzengel geboren" von Angela Moonlight


Erinnerungen

Ich kann mich erst ab dem ca. 8. Lebensjahr an meine Kindheit erinnern. Ich habe ein zwei Erinnerungen an den Kindergarten, die aber so verschwommen sind, dass ich nicht weiß, wo ich sie einordnen soll. Einmal sehe ich einen Tisch in der Gruppe und das andere Mal sehe ich. mich in einem Kostüm, das mir nicht gefällt, und ich weine. Aber beginnen wir einfach wieder in der Familie. Wir sind mittlerweile insgesamt vier Kinder, mein großer Bruder, ich und noch zwei kleinere Brüder. Meine Mutter arbeitet irgendwie immer und mein Vater ist häufig arbeitslos und außerdem trinkt er sehr viel. Er wird sehr schnell wütend auf meine Brüder und er schlägt sie oft. Er sagt sehr schlimme Dinge zu ihnen wie" ldioten, Kriminelle, Dreckspack, Straubebrut usw., der Geburtsname meiner Mutter ist Straub. Zu mir sagt er so etwas nicht, aber zu meinen Brüdern. Mein großer Bruder schlägt mich, er hasst mich, das kann ich deutlich spüren. Ich bin halt Papas Liebling und er ist der Liebling von Mama. Er möchte, dass Papa ihn sieht, und ich möchte so gerne, dass die Mama mich sieht. Sie soll mich lieb haben, genauso wie meinen Bruder. Ich. tue doch alles für sie, ich wasche die Wäsche und hänge sie raus, ich bügle auch für sie und die anderen. Ich putze alles, ich spüle Geschirr, trockne ab und räume es weg. Wenn die anderen raus gehen und spielen, muss ich drinnen bleiben ‑ und aufräumen. Ich muss die Kinder versorgen, wenn Mama arbeitet oder sich ausruht. Ich tue doch alles, was sie will, so gut ich kann. Ich widerspreche nie laut bzw. gar nicht, warum hat sie mich nicht lieb, warum will sie mich nicht? Ich gehöre nicht dazu, ich bin nicht erwünscht, genauso wenig wie die anderen, nur mein großer Bruder ist geliebt, er bekommt alles, was er braucht, Liebe, Anerkennung, Trost; Hilfe, Liebkosungen und ganz viele Geschenke zu seinem Geburtstag. Ich bekomme selten etwas zum Geburtstag, da ich ja kurz vor Weihnachten geboren bin und dann ein größeres Geschenk zu Weihnachten bekomme. Es ist nie wirklich größer gewesen, aber selbst wenn, es hätte nichts ausgemacht. Sie wussten wohl gar nicht, wie weh sie mir taten. Ich wollte auch mal etwas besonderes sein und als Person im Mittelpunkt stehen, sowie es bei meinem Bruder immer war, und das wäre nur am Geburtstag möglich gewesen, aber nicht einmal das haben sie mir gegönnt.

Wie sehr müssen sie mich wohl gehasst haben? Wie wenig muss ich ihnen als Kind bedeutet haben? 

Was mache ich falsch? Was stimmt nicht an mir oder mit mir? Bin ich wirklich so furchtbar? Kann man mich gar nicht lieben? 

Mein Lieblingsmärchen ist Aschenputtel, können Sie das verstehen? 

Ja, ich bin eine Träumerin, denn das ist für mich der einzige Weg, dieses Leben zu ertragen. 

Wir wohnen zu sechst in einer Drei‑Zimmerwohnung ohne Dusche oder Bad. Wir haben nun ein Zimmer unter dem Dach dazubekommen, das natürlich mein großer Bruder bekommt, weil er ja mehr Platz benötigt als wir. Meine Brüder und ich liegen im hinteren Raum zusammen. Im Zimmer steht ein Etagenbett für uns drei Mädchen und ein Sofa zum Ausklappen, auf dem meine beiden Brüder schlafen. Es bleibt nur noch Platz für einen Kleiderschrank. Die wenigen Spielsachen, die wir haben, werden am Körper und im Sofa verstaut. Aber Hauptsache, Manuel der große hat ein eigenes Zimmer und genügend Platz. 

Es fehlt uns immer an Geld, wir haben nie genug zu Essen oder Trinken, geschweige den Geld für Schulsachen, Kleidung, Spielzeug usw. Im Winter wenn es kalt wird, gehen wir in den Wald und sammeln Holz zum Heizen. Natürlich gehen wir zu Fuß und mit dem Kinderwagen. Mein Vater liegt betrunken im Bett und es ist ihm wohl scheißegal, ob wir frieren oder nicht. Also gehen wir los und sammeln Holz. Irgendwann stellen wir einen Ölofen in die Wohnung, da man damit auch über Nacht heizen kann und morgens nicht friert. Oh, wie toll! - nur leider hat mein Vater keine Lust, das Öl mit Kanistern bei meinem Onkel abzuholen, der uns manchmal aushilft, wenn das Geld knapp wird. Er könnte einfach mit dem Auto hinfahren, er tut es aber nicht. Mein Bruder und ich müssen hinlaufen und die 10 Liter Kanister auf den Schultern nach Hause tragen. Ich glaube nicht dass ich erwähnen muss, wie schwer die Dinger waren, und dass mir mein ganzer Körper wehtat. Auf dem Weg zu meinem Onkel hat mein Bruder mich dann regelmäßig verprügelt. Es war ja schließlich meine Schuld, dass er mit musste und mir beim Tragen helfen musste, da ich ja so ein Schwächling war. Ich hatte keine Chance gegen ihn, also habe ich mich schlagen lassen. Er hat mir gedroht, wenn ich was erzähle, schlägt er mich noch mehr. Na ja, erstens hätte ich eh nichts gesagt, weil ich Angst vor ihm hatte, und zweitens hätte ich nichts gesagt, da meine Mutter eh immer auf seiner Seite war. Er war der tolle, der gute, der wunderbare, der heilige Manuel, und ich war nur der Dreck, der Abfall, der Müll, auf dem man herum trampeln konnte. Niemand hat sich wirklich für mich interessiert. Also wie gesagt, das Geld war auch immer knapp. Ich habe in dem Haus, in dem wir wohnten, oft die Treppe geputzt und das dann auch für die Nachbarin, die mir dann immer etwas Geld zugesteckt hatte dafür, damit ich mir etwas kaufen konnte. Ich habe das Geld natürlich nicht behalten, sondern es meiner Mutter gegeben, damit sie damit etwas kaufen konnte, was uns fehlte, und die hat sich riesig darüber gefreut. Nun war ich endlich etwas wert, mit Geld kann man Anerkennung, Liebe usw. bekommen. Wer sich selbst aufgibt, alles tut, was anderen wollen, um denen zu gefallen, der wird geliebt werden, das habe ich so gelernt. Mittlerweile, habe ich noch eine Schwester bekommen, die ist aber nicht ganz gesund. Sie hat Probleme mit ihrer Hüfte und mein Vater nennt sie immer Krüppel oder Behindi. Meine Mutter ist jetzt oft weg, da meine Schwester Sabrina ständig nach Mannheim ins Krankenhaus muss. Sie wird dort mehrfach operiert, da ihr Bein auch noch drei Zentimeter kürzer ist. Nun habe ich noch mehr Verantwortung, dabei bin ich selber mal gerade sieben oder acht Jahre alt. Meine Schwester hatte zu Beginn eine Spreizschiene an. Seit sie aus dem Krankenhaus wieder da ist, hat sie die Beine eingegipst, nur der Genitalbereich ist frei. Sie ist nur am Schreien und Weinen. Sie liegt den ganzen Tag mit einer Decke auf dem Tisch und man muss sich ständig um sie kümmern und aufpassen, damit sie nicht vom Tisch fällt. Mein Vater ist nun immer öfter betrunken und ständig ohne Arbeit - leider ist er auch nicht zu Hause bei uns, sondern ist den ganzen Tag bei seiner Mutter oder bei anderen Leuten, die ihm wichtiger sind als wir. Es fehlt immer noch an Geld. Irgendwann fragt mich der alte Herr Rotfuchs, ob ich ihm die Wohnung putzen würde, da er nicht mehr so gut gehen kann. Er bietet mir dafür 2 DM an. Das ist viel Geld, denke ich, damit kann man ein Brot zu 1,29 DM und ein Becher Margarine zu 0,59 DM kaufen. Ich sage, dass ich es mache. Also gehe ich jetzt einmal die Woche unten Putzen und einmal alle zwei Wochen putze ich die Treppen für die Frau Mandani. Das ist gut für meine Familie, wir brauchen jeden Pfennig. Die ersten paar Male, als ich unten bei Hr. Rotfuchs geputzt habe, war alles in Ordnung. Doch dann begann sich etwas zu verändern. Als ich heute komme, sind die Läden im Wohnzimmer halb zu, ich denke nicht weiter darüber nach und beginne zu putzten. Ich sehe Hefte auf dem Tisch liegen, auf denen nackte Frauen und Männer abgebildet sind. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was die da machen oder warum die Hefte da liegen. Ich sehe, dass die Menschen seltsame Dinge miteinander tun, aber wie gesagt, ich verstehe nichts davon. Ich bin nicht aufgeklärt, was den sexuellen Bereich angeht. Während ich damit beschäftigt bin zu sehen, was das für Hefte sind und was die da machen, sitzt er auf dem Sofa und beobachtet mich. Dann bittet er mich, das ich mich zu ihm setze, was ich dann auch tue. Wie hätte ich ahnen sollen, was von diesem Tag an geschieht. Wie hätte ich wissen sollen, dass es nicht in Ordnung ist. Niemand hat mir gesagt, dass diese Art von Liebe verboten ist. (...)


Angela Moonlight: "Rette mich!. manche Kinder werden ohne Schutzengel geboren"  
Bettina Peters Verlag, 2007. 344 Seiten
Dieses Buch ist die wahre und ungeschönte Lebensgeschichte der Autorin. Ihre Geschichte liest sich wie ein Psychothriller. Aber dies ist kein Thriller - es ist die tägliche und brutale Realität der kleinen Angela gewesen.
Bereits im zarten Kindesalter wird sie vom Nachbarn missbraucht. Vom Nachbarn, bei dem sie - um das schmale Einkommen der armen Familie aufzubessern - putzt. Aus Angst, das wenige Geld, das ihre Familie dringend braucht, zu verlieren, schweigt das kleine Mädchen. Sie leidet - täglich - schweigend. Als der Nachbar stirbt, freut sich Angela - Ihr Martyrium scheint beendet. Ihre Familie zieht um - in die Wohnung, in der das Mädchen missbraucht wurde. Albträume begleiten das Mädchen ihre gesamte Kindheit hindurch. Angela hat keine schöne Kindheit ..... 
Dies ist der Anfang von Angela Moonlights Geschichte. Heute ist Angela - trotz vieler Symptome, unter denen sie immer noch leidet - und trotz therapeutischer Behandlung ein positiver, lebensfroher, glücklicher - und sehr liebenswerter Mensch.
Dieses Buch umfaßt die ganze Geschichte von Angela. Eine Geschichte, bei der man manchmal denken könnte - "das kann nicht wahr sein - so grausam sind Eltern nicht".
Heute hat Angela ihren Schutzengel gefunden.
Dieses Buch fühlt mit Betroffenen mit, gibt Eltern Hinweise, woran Missbrauch zu erkennen ist - und schreit das heraus, was missbrauchte Kinder nicht können.

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