Wolf Erlbruch: "Ente, Tod und Tulpe"

Wolf Erlbruch ist ein Kinderbuchautor, der es auf hervorragende Art und Weise versteht, kleineren wie größeren Kindern tiefgehende Daseinsfragen auf eine Weise näher zu bringen, die den kleinen Lesern Sinnangebote macht, die ihnen die Freiheit des Denkens lässt, ja sie geradezu fördert, die ihnen - undogmatisch und religiös nicht eindeutig festgelegt - Antworten anbietet, sie gleichzeitig einlädt und auffordert, nach eigenen Antworten zu suchen und diese Suche niemals aufzugeben.

Deutlich ist Erlbruchs Büchern abzuspüren, dass der Autor es für ein sinnvolles und menschenwürdiges Menschenleben für absolut notwendig hält, sich diesen Fragen zu stellen, was ja angesichts des Niedergangs der Deutungshoheit, besonders aber der Deutungskraft der christlichen Religion und vor allem der beiden großen Kirchen in Deutschland nicht gerade einfacher geworden ist. Zahllose verschiedene Stimmen und Sinnangebote überfluten schon kleine Menschenkinder und haben vor allem eines im Sinn: diese vom eigenen Denken abzuhalten, sie zu guten und unkritischen Konsumenten zu machen.

Zuletzt hat Wolf Erlbruch mit einfachen Texten und Bildern in seinem Buch "Die große Frage" darüber nachgedacht, welche Antworten möglich sind auf die Frage, warum ein Mensch respektive ein Kind auf der Welt ist, eine Frage, die früher oder später über jede Kinderlippe kommt und leider selten angemessen aufgenommen und noch seltener beantwortet wird.

In "Ente, Tod und Tulpe" denkt Wolf Erlbruch über den Tod nach. Ähnlich wie die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz, ihrer Begründung und ihrem Anfang, gerät auch die Frage der Endlichkeit allen Lebens und das Phänomen des Todes ziemlich bald in den Focus kindlichen Bewusstseins und Erlebens. Kinder fragen danach, warum etwas sterben muss, was dann mit dem ehemals Lebendigen geschieht, und wie man damit umgehen kann und soll, dass etwas - ein geliebter Mensch oder ein Tier - das lange gegenwärtig war, nun nicht mehr da ist.

Wolf Erlbruch wählte eine Ente als Protagonisten aus. Sie ist guter Dinge und freut sich ihres Lebens, doch schon lange hat sie so ein seltsames Gefühl, bis sie den Tod erkennt und ihn fragt, warum er ihr dauernd hinterher schleiche. "Schön, dass du mich endlich bemerkst," sagt die Gestalt, "ich bin der Tod."

Diesen hat Wolf Erlbruch schlicht gemalt mit einem einfachen, kaum Furcht erregenden Totenkopf, einer karierten Ober- und Unterbekleidung sowie einfachen, flachen Schuhen. Was man zunächst kaum wahrnimmt, ist, dass der Tod quasi hinter seinem Rücken eine Tulpe hält und diese auch bis kurz vor Ende des Buches nicht loslässt.
Die beiden kommen miteinander ins Gespräch, und die Ente erfährt vom Tod, dass er immer wieder und zu allen Zeiten schon in ihrer Nähe ist, eine wunderschöne Umsetzung der paulinischen Erkenntnis, dass wir alle mitten im Leben vom Tod umfangen sind.
Die Ente und der Tod freunden sich an, der Tod folgt dem Vorschlag der Ente und begleitet sie zu ihrem Teich. Als er im Wasser zu frieren beginnt, wärmt ihn die Ente mit ihrem warmen Körper, und sie schlafen eng umschlungen ein. Am nächsten Morgen wird sich die Ente bewusst, dass sie gar nicht gestorben ist, obwohl sie sich so eng mit dem Tod eingelassen hat.

Dann folgen tiefsinnige Gespräche der beiden über Vorstellungen von Himmel und Hölle, und sie sind die folgenden Wochen täglich zusammen. Eines Abends wird der Ente kalt, und sie bittet den Tod, sie etwas zu wärmen. Die Ente stirbt, der Tod legt sie auf das Wasser, die Tulpe auf ihre Brust, und gibt ihr einen vorsichtigen Schubs. "Lange schaute er ihr nach. Als er sie aus den Augen verlor, war der Tod fast ein wenig traurig. Aber so war das Leben."

Ein wunderbares, ebenso schlicht wie einfach gezeichnetes und knapp, aber tiefsinnig getextetes Bilderbuch für Kinder ab etwa fünf Jahren, sobald sie durch eigene Fragen über den Tod und das Sterben signalisieren, dass ihre Seele für das Thema offen und bereit ist.

(Winfried Stanzick; 07/2007)

Wolf Erlbruch: "Ente, Tod und Tulpe"
Antje Kunstmann Verlag, 2007. 40 Seiten. (Ab 5 J.)
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