Weiß wie das Email des Bidets. Das
waren unsere Tage in Paris. Ich war zwanzig, und die Welt verströmte einen Duft,
als würde sie jeden Tag frisch gebacken.
Mon petit bourgeois suisse, nannte
mich Chantal. Mon petit suisse. Vor ihr hatte ich meine verschämten Liebschaften
gehabt, Schulfreundinnen, Chantal war die erste wirkliche Frau. Mußt du schon
wieder weg, klagte sie. Ich werde dich ans Bett fesseln, dann entkommst du mir
nicht mehr!
Chantal pinnte Che,
Simone de Beauvoir und Marlon Brando an die Klotür, ihr Kühlschrank war fast
immer leer. Sie nahm an Kundgebungen teil, sie schluckte Tränengas, einmal wurde
sie verhaftet und drei Tage festgehalten, mit Schrammen und blauen Flecken
kehrte sie zurück. Scheißpolypen ! Sie war sauer auf mich, als wäre ich an den
blauen Flecken schuld.
Muß man seßhaft sein, um jemanden an sich zu binden?
Chantal lachte mich aus, als ich ihr einen Heiratsantrag machte. Das war auf
einem Abstecher in den Süden, Côte d’Azur oder Camargue, ich weiß es nicht mehr.
Wir liebten uns an einem Strand, es regnete, alle waren in ihren Häusern und
Hotels geblieben, und ich machte Chantal, die fast acht Jahre älter war als ich,
einen Heiratsantrag.
Chantal liebte den Midi, das Meer. Ich bin ein
Mittagskind, sagte sie, ich habe immer Hunger, ich verschlinge das Licht, den
Wind, die Männer. Sie legte Jazz auf und wollte, daß ich mich zur Musik bewegte,
in ihr bewegte, genau zur Musik. Ich habe drei Tage frei, laß uns ans Meer
fahren, sagte sie, aber wenn wir endlich aus dem Bett kamen, war es für den
Süden meist schon zu spät.
Sie streichelte die Wampe eines Gipsbuddhas, sie
blies mir den Puderzucker ihres Lucumwürfels ins Gesicht, unter ihren Händen
bekam selbst der Stein eine Haut. In ihren Händen wohnte die Neugier und der
Hunger, ihre Hände waren klein und unruhig, und wenn sie einkaufen ging, sah sie
nicht mit den Augen, sondern mit den Händen, was nicht alle Ladenbesitzer
ertrugen.
Auf der Place Furstemberg fotografierte eine Japanerin die Stille,
die Gänge der Metro verschlangen sich zu einem gordischen Knoten, der Libanese
säbelte mit einem langen Messer dünne Lammfleischscheiben in Chantals
Brottasche. Der erste warme Frühlingstag, doch meine Reisegruppe wollte zu den
Toten, auf die berühmten Friedhöfe, ins Pantheon. Diese verdammten Toten, wegen
der Friedhöfe und Denkmäler in jeder Stadt mußte ich mich mit Staatsmännern und
Verbrechern befassen.
Chantal strich mich mit Eigelb ein, bestäubte mich mit
Mehl, panierte und frittierte mich, ließ mich schmoren, schob mich ins
Gefrierfach, taute mich am nächsten Tag wieder auf, ließ mich aufgehen wie ein
Hefegebäck und
verschlang mich. Sie war klein und wetterfest, ich habe sie nie müde gesehen. An
jeder Wand ihrer beiden Zimmer hingen Spiegel, auf dem Bücherregal saßen
Plüschtiere. Was soll ich nur anziehen, wie lange kannst du bleiben? Sie stand
in bloßem T-Shirt vor dem offenen Kleiderschrank, sag mir endlich, was ich
anziehen soll! Das war leicht gesagt, der Kleiderschrank war geplündert und die
Wäsche seit Wochen nicht mehr gewaschen, wir kippten den Wäschekorb und
beschnupperten zerknitterte Blusen und T-Shirts.
Ich erinnere mich nicht
mehr, wann es war, ob ich einen Tag früher als versprochen in Paris ankam.
Niemand öffnete, aber am nächsten Tag waren Stimmen hinter der Tür. Ich hielt
die Klingel gedrückt und rief Chantals Namen. Stille ! Ich setzte mich wieder
ins nahe Café, jemand nagelte mich ans Kreuz, jemand flocht mich aufs Rad,
jemand schoß Pfeile auf mich ab, und obwohl ich katholisch erzogen worden war,
hielt ich das nicht lange durch und klingelte wieder. Chantal öffnete im
Morgenmantel, als wäre alles wie immer.
Krieg ich keinen Kaffee ?
Sie
setzte mir einen Kaffee auf. Sie
stellte die Tasse vor mich hin, ich schob die Tasse mit dem Arm vom Tisch, der
Kaffee zeichnete eine Landkarte auf den Fliesenboden. Wir starrten auf das Land,
das immer größer wurde. Ich will, daß du gehst, sagte sie.
Warum?
Weil es
zu Ende ist.
Ich hörte Schritte im Schlafzimmer. Ein Typ, brusthaarlos, blieb
in der Tür stehen, als wagte er sich nicht in die Küche, er lächelte freundlich,
fast entschuldigend. Wir blickten alle drei auf die Kaffeelache, die nun ihre
endgültige Form angenommen hatte und Italien glich.
(Aus "Das Gewicht einer Nacht" von Jürgen Beeler.)
So rasch wie möglich will der Ich-Erzähler,
ehemaliger Reiseleiter und begnadeter Fabulierer, wieder aus Zürich weg. Doch
die Folgen eines Unfalls halten diesen Wanderer
zwischen Welten, Städten und Frauenherzen in seiner Heimatstadt fest. Von einer
Bekannten lässt er sich überreden, Touristen durch die Stadt zu führen. Listig
und hinterhältig beginnt er vor seinem Publikum Dichtung und Wahrheit zu vermischen,
der Leser erfährt Unerhörtes über durchtriebene Äbtissinnen, eine folgenreiche
Wappenfälschung, über Zwinglis Visionen oder die Gefährlichkeit von Kopfsteinen.
Während einer seiner Führungen glaubt er seine ehemalige
Freundin Mira zu sehen, die zehn Jahre zuvor aus seinem Leben verschwunden ist.
Was er vergessen wollte, bricht wieder auf, die Erinnerungen an die gemeinsamen
Jahre in Amsterdam verfolgen ihn. War es wirklich Mira, oder doch nicht? Die
Suche nach ihr wird zur Auseinandersetzung mit seinem vergangenen und
gegenwärtigen Leben. Und wie die Sehnsucht nach Mira wächst auch die Angst, ihr
wieder zu begegnen.
Jürg Beeler erzählt in eindringlichen und poetischen
Bildern von leidenschaftlicher Liebe und verspieltem Glück - und von der
Unzuverlässigkeit historischer Überlieferung sowie des eigenen Erinnerns. Mit
Ironie und Witz beleuchtet er nicht nur die spannungsgeladene Beziehung der
Geschlechter zueinander, sondern auch das ambivalente Verhältnis von Dichtung
und Wahrheit. (Haymon)
Buch
bestellen