Meister Hans Puchsbaum

Durch mehr als ein Jahrhundert hatte sich bereits die Arbeit am Bau der Stephanskirche hingezogen. Nun aber war das stolze Werk fast vollendet. Der schlanke Südturm ragte in seiner ganzen Schönheit himmelwärts, sogar das Langhaus war fertiggestellt. Es fehlte nur mehr der Nordturm. Der Stadtmagistrat hatte ein großes Ausschreiben erlassen, um dem tüchtigsten Baumeister die Arbeit zu übertragen, der den Turm in kürzester Zeit und unter den billigsten Kosten vollenden würde.

Da meldete sich unter vielen anderen Bewerbern auch der Baumeister Hans Puchsbaum und erklärte kurz und bündig: "Ich mache die Arbeit in der Hälfte der Zeit, die Andere dazu brauchen." So wurde ihm der Bau übertragen.

Puchsbaum, ein bisher ziemlich unbekannter Meister, hoffte, durch rasche Vollendung eines so gewaltigen Werkes Ehre und Ansehen zu erringen und sich dadurch die Hand seiner geliebten Maria zu erwerben, deren geldstolzen Eltern der einfache und unberühmte Bewerber nicht allzusehr gefallen hatte.

Rasch wurde der Bau in Angriff genommen, rüstig schritt das Werk anfangs vorwärts. Doch schon nach kurzer Zeit gab es Schwierigkeiten und Hindernisse. Die Bauberechnungen wollte nicht stimmen, die Zufuhr des Baumaterials verzögerte sich, und bald erkannte Meister Puchsbaum, dass er mit dem Bau zum angegebenen Termin nicht fertig werden würde. Sorgenvoll stand er oft vor dem angefangenen Werk und suchte einen Ausweg aus seiner schwierigen Lage zu finden. Doch guter Rat war teuer.

Als er eines Abends wieder am Füße des Turmes stand und verzweifelt darüber nachdachte, wie er die Arbeit beschleunigen und sein Versprechen einhalten könne, stand mit einem Male ein sonderbar aussehender Mann in grünem Wams neben ihm und blickte ihn lachend an.

"Du erbarmst mir", begann der Fremde, "denn ich weiß, welcher Kummer dich bedrückt."

"Wer bist du und was willst du?" fragte der Meister erschrocken.

"Wer ich bin", entgegnete der Fremde, "ist rasch gesagt. Man nennt mich den Höllenfürsten, andere nennen mich Teufel, und was ich will, soll dir von Nutzen sein; ich will dir helfen."

Abwehrend streckte der Meister seine Hände aus und rief: "Du Schrecklicher, heb dich hinweg von mir; ich will mit dir nichts zu schaffen haben!"

Der Satan aber setzte grinsend fort: "Wenn ich imstande bin, dir zu helfen, den Turm in weit kürzerer Zeit fertig zu stellen, als du versprochen hast, und wenn du dadurch die Hand deiner Geliebten erringst, willst du auch dann auf meine Hilfe verzichten?"

Der Meister begann zu schwanken; die Versuchung war zu groß. "Und was verlangst du für deine Hilfe?" fragte er schließlich den Versucher.

"Nicht viel", entgegnete dieser. "Du darfst nur während der ganzen Zeit des Baues weder den Namen Gottes noch der Jungfrau Maria, noch sonst eines Heiligen aussprechen." Die Bedingungen einzuhalten schien unserem Meister weder schwer noch gefährlich, und er zögerte nicht länger; der Pakt wurde geschlossen.

Von diesem Tag an wuchs der Bau zusehends. Es gab keine Hindernisse und Verzögerungen mehr; alles ging wie am Schnürchen. Nicht nur der Magistrat und alle Zuschauer wunderten sich, auch der Meister selbst war aufs Höchste erstaunt, mit welcher Schnelligkeit die Arbeit nun vorwärts ging. Fröhlich dachte Hans Puchsbaum, dass es nun sicher gelingen werde, den Bau weit vor der gesetzten Frist zu vollenden, und freudigen Herzens dachte er an seine Maria, deren Hand ihm nun gewiss schien. Er hatte im Drang der Arbeit in den letzten Tagen gar nicht mehr an sie gedacht und war um so freudiger überrascht, als er sie heute von der Höhe des Turmes aus, wo er den Fortschritt der Arbeit überwachte, unten am Fuße des Domes über den Platz gehen sah. Sie war es, ganz sicher, es war seine Maria. Aber sie wandte den Blick nicht zu ihm empor. Da rief er aus übervollem Herzen hinunter, sich vorbeugend, dass sie in sehen musste: "Maria!"

Noch hatte er das Wort nicht zu Ende gesprochen, da schwankte plötzlich das Gerüst, auf dem er stand, ein donnerähnliches Krachen erscholl, und die Balken des fallenden Gerüstes, Schutt und Mauertrümmer des einstürzenden Turmes rissen Hans Puchsbaum in die Tiefe.

Ein hohles Hohngelächter gellte über den Platz, und für einen Moment soll die riesenhafte Gestalt eines grüngekleideten Mannes mit grinsender Fratze über den Trümmern des zusammengestürzten Bauwerkes geschwebt haben. Der Leichnam des Meisters aber blieb verschwunden.

Der Bau des zweiten Turmes wurde eingestellt und niemals weiter fortgeführt.


(Sage aus Wien)