Das Eigenartige war, dass Lea keine 
Angst hatte, als sich der Bienenschwarm auf ihrem Kopf niederließ. Jedenfalls 
nicht gleich. Sie begriff sofort, was da geschah; sie ging gerade durch den 
Garten, zu Jacobs Haus, als der Schwarm landete. Ihr wurde eiskalt, sie hielt 
mitten in der Bewegung inne, schloss fest die Augen. Was da passierte, schien 
weit weg zu sein, in einem anderen Land. Sie stand vollkommen reglos. Erst nach 
einiger Zeit kam die Angst. Die Bienen saßen auf ihrem Kopf, bedeckten ihr Haar. 
Sie fühlten sich an wie ein einziger Klumpen summenden, warmen Lebens. Vor Leas 
Augenlidern wurde es stockfinster, die Bienen krochen ihr in die Augenhöhlen, 
die Nasenlöcher, die Ohren. Lea stand vollkommen still und atmete vorsichtig 
durch Mund und Lippen, durch die zusammengebissenen Zähne. Sie dachte: Ich muss 
ganz soll stehenbleiben. Ich darf mich nicht bewegen. Ich darf mich nicht 
rühren. Ich darf nicht einmal zucken, bis mich jemand findet.
Es kann 
eine Stunde dauern, es kann den ganzen Tag dauern, aber ich darf mich nicht 
bewegen. Ihre Hände wollten die ganze Zeit zum Kopf hinauf, um die Bienen 
wegzufegen, aber sie sagte: Seid ruhig, ihr Hände. Und die Hände gehorchten, für 
ein Weilchen. Sie spürte, wie ihr von diesem lauten Summen allmählich schwindlig 
wurde, auch, weil alle anderen Sinneseindrücke fehlten, aber sie sagte: Körper, 
bleibe aufrecht. Ihre Beine bebten, sie hatte weiche Knie, ihre Hüfte wollte 
wegknicken, aber sie sagte: Beine, bleibt stehen. Unablässig wollte ihr Körper 
etwas anderes als sie, ein seltsames Gefühl. Aber sie blieb stehen, die Bienen 
kamen langsam auf ihrem Kopf und Oberkörper zur Ruhe.
Bald war sie weit 
weg, bald schwebte sie fort und spürte nur noch schwach, wie sie ihrem Körper in 
regelmäßigen Abständen befehlen musste durchzuhalten. Der Impuls kam fast 
automatisch. Sie selber war irgendwo anders im Dunkeln, an einem Ort, wo alles 
schaukelte, golden und warm. Helle, ockerfarbene Häuser in kräftigem 
Sonnenschein, und sie sah sein Gesicht, ölverschmiert im Licht, er war über den 
Motor gebeugt, richtete sich auf und lächelte ihr zu, als würde er alles 
verstehen und vergeben. Hilf mir, mein Geliebter, hilf mir, flüsterte sie hinter 
den Zähnen, sofort verschwand sein Bild, fast bekam sie keine Luft mehr. Dann 
schwebte sie wieder, diesmal weiter zurück, jetzt sah sie einen grauschimmernden 
Schulhof, die Gestalt vor ihr war nur ein Schatten. Du kannst mich haben, hörte 
sie ihre eigene Stimme sagen, herausfordernd, spöttisch. Du kannst mich gern 
vögeln. Oder ich kann dir einen blasen, das gefällt dir sicher.
Der 
Schatten ragte vor ihr auf. Bitte, sagte sie, jetzt dringlich, du kannst alles 
haben, was du willst, Hauptsache, du erzählst es niemandem. Ich mach das gut, 
weißt du. Eine Biene stach ihr in den Hals, und sie kam wieder zu sich, war 
wieder hinter Zähnen und Lidern zur Stelle, und jetzt bekam sie Angst, so sehr 
wie noch nie in ihrem Leben, denn ihr fielen die Halsschlagader und die 
Nervenbahnen im Nacken ein. Wenn ich jetzt ohnmächtig werde, dachte sie, dann 
töten sie mich. Die Bienen. Ihnen muss mein Geruch doch fremd sein. Aber sie 
wimmelten und krabbelten vergnügt summend auf ihr herum, hielten sie offenbar 
für einen zur Gründung ihrer neuen Kolonie geeigneten Baum. Ihr war, als würde 
der Schwarm schon ewig auf ihr sitzen. Lea spürte, dass sie wieder kurz davor 
war, das Gleichgewicht zu verlieren, und zwang sich stehenzubleiben. Und auf 
einmal glaubte sie, das hier sei nur eine Wiederholung, als hätte sie es schon 
einmal erlebt; ihr fiel ein, was sie als kleines Mädchen gemacht hatte, wenn sie 
dem Schlimmen entkommen wollte, dann hatte sie die Augen geschlossen und kare 
kare kare, ma ma ma vor sich hingesagt, tonlos, war 
fortgeschwebt und 
hatte alles mit sich geschehen lassen, so hatte sie überlebt, weil sie weit 
hinter den Lidern einen goldenen Ort hatte, von dem niemand wusste, weit hinten 
kare kare kare, ma ma ma, wo sie allein war und nichts sie erreichte. Es würde 
schon gutgehen, wenn sie bloß nicht stachen.
Kare kare kare, bitte stecht 
mich nicht, ich bleibe still und stumm, auf meinem Gesicht, ma ma ma, ich bringe 
alle um.
Sie hatte vergessen, wie der Garten aussah, wo 
Bäume standen, wo 
das Haus lag, ob es überhaupt ein Haus gab. Aber sie vergaß nicht, dem Körper zu 
befehlen, ruhig stehenzubleiben, regelmäßig, immer wieder, wenn er daran 
erinnert werden musste. Sie war eine ganz andere, war an vielen Orten zugleich. 
Ich bringe alle um. Es wurde hell und still in ihr, weiß von Licht, und mit 
einem Mal erinnerte sie sich an alles, alles, was geschehen war und an das sie 
in den letzten Monaten nicht hatte denken wollen, alles, woran sie in den 
letzten drei Jahren nicht hatte denken wollen ...
... Und sie wusste 
nicht, hatte sie fünf Minuten so gestanden oder fünf Stunden, aber plötzlich, 
durch das weiße Licht, hörte sie eine Stimme, warm und ganz nah, und sehr sanft, 
es war das Schönste, was sie je gehört hatte, beinahe hätte sie angefangen zu 
weinen. Die Stimme klang sehr höflich, fast höfisch und edel, sie sagte etwas, 
das sie zu erkennen glaubte. Bis sie in sich selbst wieder an die Oberfläche 
drang, hatte die Stimme es oft wiederholt; auf einmal spürte Lea ihre Lippen 
wieder, all die krabbelnden Bienen, und die Stimme sagte behutsam:
Lea. 
Lea. Gut machst du das. Halt ganz still. Es ist bald vorbei. Ihr wurde klar, 
dass es die Stimme ihres Großonkels war, die durch die vielen Bienen hindurch 
ganz anders klang. Langsam begann sie wieder, Dinge außerhalb ihrer selbst 
wahrzunehmen, sie spürte eine Bewegung, hörte etwas rascheln, ihr Onkel sagte: 
Denk daran, was ich dir über schwärmende Bienen erzählt habe. Sie sind nicht 
wütend. Sie sind glücklich. Aber sie könnten Angst bekommen. Wir dürfen sie 
jetzt nicht erschrecken. Halt ganz still. Mein Gott, wie gut du das machst, du 
hältst absolut still. Es ist bald vorbei. Auch diese Worte erinnerten sie an 
etwas lang Vergangenes, das sie früher schon gehört hatte, aber ihr Großonkel 
meinte es nur gut und fürsorglich. Sie spürte, dass ihr die 
Tränen kommen 
wollten. Sie stand still. Er ging um sie herum, beruhigte sie, redete ihr 
liebevoll zu. Du wärst fast hingefallen, als ich dich gefunden habe, du hast ein 
winziges bisschen geschwankt, aber du darfst jetzt nicht fallen. Nie mehr 
fallen. So. Hier 
kommt Andersen mit Bienenbesen und Eimer, und dann ist es bald geschafft. 
Hörst du mich, Lea? Halt ganz still. Rühre dich nicht, bevor ich es dir sage, 
wir dürfen keine einzige übersehen. Rühr dich nicht, auch wenn du ein bisschen 
gestochen wirst.
(Aus dem Roman "Momente der 
Geborgenheit" von Erik Fosnes Hansen.
Aus dem Norwegischen von Hinrich 
Schmidt-Henkel.)
Jedes Leben ist eine Sammlung von 
Geschichten und Zufällen, die auf wundersame Weise einem Prinzip gehorchen. 
Davon erzählt Erik Fosnes Hansen in seinem Roman, der den Leser vom Norwegen 
unserer Tage auf eine schwedische Insel zur Zeit der Jahrhundertwende und dann 
ins Italien der Frührenaissance führt. Mit kunstvoller Leichtigkeit spielt 
Fosnes Hansen mit den Grenzen zwischen Figuren und Epochen, zwischen Raum und 
Zeit und schafft somit einen großartigen Roman über die vielen großen und 
kleinen Ereignisse, die täglich die Welt vor ihrem Untergang bewahren.
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