Rüdiger Iwan: "Die neue Waldorfschule"

Ein Erfolgsmodell wird renoviert


Waldorf - dieser Begriff ist seit jeher Grundstein vieler Diskussionen. Begeisterte Anhänger des Prinzips und der Pädagogik liefern sich anscheinend nie enden wollende Diskussionen mit Gegnern. Dass ausgerechnet ein Waldorflehrer jedoch ein Buch schreibt mit dem Untertitel "Ein Erfolgsmodell wird renoviert", das ist neu. Zwar lässt die Verwendung des Wortes "Erfolgsmodell" erkennen, dass auch Iwan hinter dem Konzept steht, doch eine Renovierung? Liegt denn etwas im Argen?

Allerdings, wie der Autor im ersten Teil seines Buches klar herausarbeitet. Offen und schonungslos prangert er die Stagnation der Waldorfschule an, beschreibt sie als eine Institution, die auf tollen Theorien fußt, letztlich aber an sich selber krankt und sich immer mehr selbst überholt. Es ist die Schule selbst, und es sind ihre Regeln, die im Mittelpunkt von Iwans Interesse stehen, nicht die dahinter stehende Theorie. Dass er hinter letzterer steht, wird deutlich, und so ist "Die neue Waldorfschule" nicht allein ein Werk, das sich an Waldorflehrer und vergleichbar vorinformierte Leser richtet, sondern Iwan nimmt auch die Leser an die Hand, für die Waldorf eben irgendein anderes Schulkonzept ist.

Sehr (selbst)kritisch, offen und dabei in fesselnder Plaudermanier betrachtet der Autor die Waldorfschule von ihrer Gründung bis in die Neuzeit und zeigt dabei auf, dass das Kränkelnde im System schon immer gegeben war und keine neue Entwicklung darstellt. Mit Zitaten belegt er, dass schon Steiner selbst seine Schwierigkeiten hatte, die Vision in eine gangbare Praxis umzuwandeln. Ein Manko wird dabei besonders deutlich: Die Angewohnheit Steiners, über bessere Methoden und Wege zu dozieren - wo es gerade das Dozieren ist, das die Waldorfschule zu vermeiden sucht.

Iwan stellt die den Waldorfschulen eigenen Methoden nicht grundsätzlich in ein schlechtes Licht. Während er wie beiläufig Begriffe wie Epoche und Monatsfeier erläutert, erläutert er zugleich, welche Ideen hinter solchen Begriffen stehen, worin ihr Nutzen liegt, aber eben auch, warum sie in der Praxis nicht oder nur bedingt funktionieren. Ausgerechnet mangelnde Flexibilität ist es, mit der die Waldorfschule sich selbst im Weg steht, hinzu kommt die Unkenntnis oder Verweigerung grundlegender Struktur, durch die man sich in die Starre begeben würde - dass diese Starre jedoch bereits existiert, wird intern kaum wahrgenommen.

Es liegt dem Autor jedoch fern, das Prinzip der Waldorfschule grundsätzlich schlechtzumachen. Er steht hinter dem Konzept, das ist deutlich zu erlesen, nur eben nicht in der gegebenen Struktur. Iwans Engagement ist nicht nur den einzelnen Zeilen des Sachbuchs selbst leicht zu entnehmen, sondern zeigt sich auch in seiner Biografie. Seinem Anliegen, die Waldorfschule (und Bildung an sich) zu modernisieren und konkurrenzfähig zu machen, bessere Wege der Umsetzbarkeit zu finden, verschafft er bereits seit 1999 als Geschäftsführer der "perpetuum novile Schulprojektgesellschaft" Gehör, außerdem entwickelte er in Zusammenarbeit mit verschiedenen Schulen und Industrie die "Neuen Wege in die Ausbildung", ein Konzept, durch das unterdurchschnittlich benotete Schüler die Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten sollen.

Zu den von Iwan vorgeschlagenen Maßnahmen zur Renovierung der Waldorfschule gehört in erster Linie das Konzept des Portfolios, also das einer Arbeitsmappe. Anstatt mit der Zeit langweilige und stupide anmutende Feiern abzuhalten, sollen die Schüler ihren eigenen Lernzuwachs im Verlauf eines bestimmten Zeitraumes in selbst erstellten Arbeitsmappen dokumentieren. Diese wiederum sollen nicht einzig präsentiert werden, sondern auch bewertet - und zwar von Mitschülern. Die Bewertung ist hierbei allerdings nicht als solche in Noten zu verstehen, sondern in Form einer Rückmeldung, einer Diskussion. Überhaupt gehört die Abschaffung der Leistungsbeurteilungen anstelle von Noten nicht zu den Dingen, die Iwan kritisiert, sondern vielmehr plädiert er dafür, aus dieser Besonderheit der Waldorfschulen mehr zu machen - und das nicht nur intern, sondern auch im Gespräch nach außen hin, in der Diskussion mit anderen Schulen und Ausbildern in erster Linie.

"Die neue Waldorfschule" ist ein sehr interessantes und intelligent geschriebenes Buch, zumal sich Iwan keineswegs darauf ausruht, Kritik zu üben, sondern zugleich zahlreiche Ansätze und Lösungsvorschläge bietet. Damit stellt er eine wertvolle Grundlage zur Verfügung, mit der entsprechende Diskussionen im Fachlichen begonnen oder weitergeführt werden können.

Sicherlich hat jedoch auch dieses Buch so seine Tücken. Einige werden für die geäußerte Kritik kaum zugänglich sein, wie die skizzierte Entwicklungsgeschichte mehrfach schon belegen kann. Eltern hingegen, die sich in einer Entscheidungsphase für oder wider die Waldorfschule befinden, werden nach der Lektüre des Buches eher Abstand von dieser Schulform nehmen und es der nachfolgenden Generation überlassen wollen, diese Entscheidung noch einmal neu zu überdenken, vielleicht dann, wenn die Waldorfschule den Weg aus der Stagnation heraus zu beschreiten begonnen hat.

(Tanja Elskamp; 08/2007)


Rüdiger Iwan: "Die neue Waldorfschule. Ein Erfolgsmodell wird renoviert"
Rowohlt, 2007. 256 Seiten.
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Rüdiger Iwan wurde 1955 in Gelsenkirchen geboren. Nach dem Studium arbeitete er als Oberstufenlehrer in Waldorfschulen.